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Musiker und Kabarettist Ramon Bessel: „Alle brauchen Zeit – auch das Publikum“

Kultur ist ein Grundbedürfnis, nicht entbehrlicher Luxus: Ramon Bessel
Kultur ist ein Grundbedürfnis, nicht entbehrlicher Luxus: Ramon Bessel © Catherina Hess

Aufbruchsstimmung spürt der Song-Poet Ramon Bessel stark. Doch so ganz leicht lässt sich das Kulturleben eben auch nicht hochfahren. Ein Frontbericht.

Herr Bessel, von Ihnen war mal zu hören, dass Sie für 50 Prozent Klavierarbeit, 50 Prozent Gesang und 50 Prozent Kabarett. Wie sehr platzen Sie aktuell wieder vor Aufbruchsenergie – und wie sehr hat sich der Erwartungsdruck, mit Verlaub, auf die Mathe-Leistungen ausgewirkt?
Eine schöne Vorstellung, dass man als Künstler die letzten 20 Monate mit den Hufen gescharrt und Energie aufgestaut hat, die sich jetzt endlich in einem großen Knall der Spielfreude entlädt. Leider ist es nicht so. Die Pandemie hat das Kulturleben – wie einen Patienten mit schwerem Verlauf – voll erwischt. Von mir und von befreundeten Kollegen kann ich sagen, dass wir uns von den Auswirkungen erholen müssen. Das kulturelle Leben wird nicht aus dem Bett der Intensivstation aufspringen, und alles so sein wie vorher. Der schöpferische Prozess, der Kontakt zum Publikum – das alles muss sich ganz neu aufbauen. Dass man 150% Prozent geben kann, ist in der deutschen Sprache ein geflügeltes Wort – da haben sich Gott sei Dank schon andere vor mir verrechnet.

Wer die Programme der Münchner Auftrittsorte verfolgt – und vor allem wer Sie in der hiesigen Kleinkunstszene erlebt hat -, dürfte Sie gut kennen. Aber natürlich auch vermisst haben in der langen Zeit der geschlossenen Bühnen. Wie ansteckend ist auch für Sie die aktuell Aufbruchseuphorie (mit oft immer angezogener Handbremse)?
Es war ein Schock, als plötzlich nichts mehr ging. Es ist ein Schock, dass jetzt alles vorbei sein soll. Alle brauchen Zeit – auch das Publikum. Viele Veranstalter merken, dass ein attraktives Programm und ein sicheres Hygienekonzept die pandemiebedingten Veränderungen der Lebensgewohnheiten nicht einfach vergessen machen. Es gibt diese Aufbruchseuphorie, aber eher wie bei einem Fußballer, der nach einem Bänderriss mit langem Aufbautraining zum ersten Mal wieder im Spiel steht. Um so schöner ist es dann, wenn der echte und unersetzbare Kontakt zwischen Bühne und Publikum plötzlich wieder lebendig wird. Der einzigartige nicht wiederholbare Livemoment, ohne Schnitt, Kamera und Bildschirmübertragung. Einfach wunderbar! 

Sie melden sich ja mit einem Musikalbum zurück, Ihrem Debüt: Wie sehr tröstet das über die lange Trennungszeit vom Publikum „in echt“ hinweg?
Als die Pandemie begann, dachte ich naiv, jetzt habe ich endlich Zeit mein Debütalbum „Lieder zum Festhalten“ aufzunehmen, und wenn der Spuk vorbei ist, komme ich aus der Studiohöhle gekrochen und bringe etwas Schönes aus der Versenkung mit. Dieser Rückzug ins Studio mit geschätzten Kollegen wie meinem Produzenten Chris Haller, die intensive Arbeit mit Musikern wie Stefan Noelle (Percussion), Karl Lehermann (Flügelhorn) und Roman Sladek (Posaune) hat aus dem Rückzug ein lebenswertes Exil gemacht. Das war der Plan, der anfangs aufzugehen schien – tja… Und dann lag das Album fertig da und lag und lag und lag… Ein Album veröffentlichen, ohne spielen zu können?

Nicht so ganz der Plan.
Ich habe es dreimal verschoben und dann beschlossen – jetzt muss es raus, egal wie die Situation dann ist. Dass wir im Moment wieder live spielen können, ist einfach Glück und ich bin dankbar dafür. Aber wie gesagt, der Kulturbetrieb ist nichts, was sich von heute auf morgen hochfahren lässt. Allerdings entstehen in dem Chaos der Unplanbarkeit und kurzfristigen Änderungen auch spontane Chancen. Dann geht alles plötzlich wiederum so schnell, dass man kaum hinterherkommt. Eine echte Herausforderung.       

Hätte es ohne die Corona-Zeit überhaupt eigentlich ein Studio-Album von Ihnen gegeben, oder tobt in Ihnen doch stärker die Rampensau?
Das Album wäre gekommen, aber die Arbeit daran wäre sicher nicht so intensiv gewesen wie im Corona-Rückzug. Ich mag ja beide Extreme sehr gerne. Das Suchen nach Worten und Tönen in der Stille, die Abgeschiedenheit, um an die Quelle zu kommen, die Feinheit und Konzentration im Studio, und dann das turbulente und lustvolle Rausgehen zu den Menschen.  

Niemand spricht so gern und leicht über sich selbst. Aber wie würden Sie denn Ihre Songs beschreiben: Da mischt sich ja doch auch viel Nachdenkliches und Ernstes hinein, auch wenn der Schmunzelimpuls stark ist?
Überwiegend humorvolle Lebensbetrachtung mittels Klavier und Stimme, so würde ich es beschreiben. Die Lieder teilen sich auf in die Amüsanten und die Wenigeramüsanten. Die Wenigeramüsanten teilen sich auch in die Erbaulichen und die Wenigererbaulichen. Es ist also für jede Lebenslage etwas geboten. Unterhaltsam sollen sie sein und von echten Menschen erzählen – da liegt Humor und Schmerz oft nah beieinander.

Sie legen vorab mit einem Song über eines der Lieblings-Spielzeuge und Lieblings-Hassobjekte vieler Münchner los: einem monströsen SUV. Viele Chansons über solche Wuchtbrummen dürfte es nicht geben, oder?
Ich kenne noch eins von Pigor und Eichhorn. „Ihh ein SUV!“ Als ich deren Chanson im Lustspielhaus hörte, war ich auch erstaunt, dass die das Thema auch musikalisch angepackt haben. Vermutlich sind SUVs einfach nicht inspirierend – außer man geht in die Satire.

Was treibt Sie bei den Songideen eigentlich stärker an: die Musik, die Texte oder vielleicht sogar eine Mitschreib-Botschaft, die unbedingt raus muss?
Am Anfang steht immer ein Anliegen, ausgelöst durch ein Ereignis, eine Begegnung, oder eine Beobachtung, auf jeden Fall ein starker Eindruck. Daraus formt sich dann ein Kerngedanke – wie zum Beispiel aktuell: „Das Leben ist so kompliziert geworden, seitdem alles so einfach geht“. Solche Sätze schreibe ich mir dann ins Notizbuch. Mit der Zeit gesellen sich Themen für Strophen dazu. Wenn dann ein paar Zeilen da sind, lege ich Klänge oder Rhythmen unter die Worte, so wie man vielleicht als Modedesigner Stoffmuster neben gezeichnete Entwürfe hält. Passt das? Ist das spannend? Und dann wächst es zusammen und wird immer feiner. Ich spiele die Lieder so lange, bis alles Störende entfernt ist. Am Ende bleibt hoffentlich etwas Brauchbares übrig.

Sie haben während der langen Lockdown-Zeiten ja – wie so viele Künstler-Kollegen – fleißig zuhause weitergearbeitet. Aus Ihrem nicht ganz freiwilligen Heim-Studio-Arbeiten hat sich ab ja offenbar auch ein neuer Austausch mit Kollegen und anderen Künstlern entwickelt?
Wir hatten das Glück, nach langer Suche in der Pandemie eine Wohnung zu finden. Auf einem ehemaligen großen Bauernhof in Ismaning – dem Dellerhof. Es gab einen Raum, den ich als Musikzimmer einrichten wollte. Ich grub mich immer weiter in das Thema Akustik hinein, und allmählich entstand ein richtiges kleines Studio. Das gefiel auch anderen. Mittlerweile ist hier ein munteres Kommen und Gehen: Podcasts, Gesangstracks, Lesungen, Klavieraufnahmen… Und damit verbunden natürlich auch spannende Menschen mit ihren Projekten.

Sich über die Ignoranz so mancher Behördenanweisungen und die teilweise schmerzhafte gefühlte Geringschätzung durch die Politik war ja das eine. Zum anderen sah man viel Solidarität unter Künstlern. Was denken Sie wie’s weitergeht: In wie weit wird eine Art neues Zusammengehörigkeit – und vielleicht sogar kreative Trotz – künftig die Bühnen beflügeln?
Interessengemeinschaften wie „AlarmstufeRot“ haben sich gebildet, weil das Berufsverbot alle gleichermaßen traf und es klare gemeinsame politische Ziele gab, aber ist das schon Solidarität? Der Königsplatz war spärlich besucht, als es darum ging für die Kultur zu demonstrieren. Ob aus der gemeinsamen Notlage auch in guten Zeiten eine langfristige Solidarität erwächst, wird sich zeigen. Ich würde es mir sehr wünschen. Eine erstaunliche Überraschung allerdings war die Solidarität des Publikums gegenüber den Künstlern. Da kam die Hilfe schnell und aus vollem Herzen und hat belegt, dass die Kultur für viele Menschen eben nicht entbehrlicher Luxus, sondern ein echtes Grundbedürfnis ist. Was die Zukunft angeht: Angeblich müssen Künstler ja hungrig sein – in diesem Sinne dürfen wir uns pandemiebedingt bestimmt auf jede Menge kreativen Trotz freuen!  

Der Münchner Chansonnier und Musikkabarettist hat aktuell das Vorab-Video „SUV“ herausgebracht. Mit November erscheint sein erstes Album „Lieder zum Festhalten“ bei Donnerwetter Musik. Alle Infos: www.ramonbessel.de

Interview: Rupert Sommer