Bühnenschau: Witz und Schmerz

Neues an den Kammerspielen, im TamS und im Volkstheater

„Wachse oder weiche“ in den Kammerspielen

„Ich möcht‘ nicht nochmal wo rausfliegen…“ Der erste Lacher, und jeder weiß Bescheid: Der Ex-Levitenleser vom Starkbieranstich, am Nockherberg abgesägt, will hier an den Kammerspielen noch länger auftreten, und nach diesem Abend muss sich Maxi Schafroth darum keine Sorgen machen. Jubel, Standing Ovations für einen augenzwinkernden Kabarett-Theater-Musik-Mix.

In seinem Theaterdebüt „Wachse oder weiche“ gibt Schafroth den Tausendsassa, er ist Autor (mit Martin Valdés-Stauber), Regisseur und spielt auch noch mit in diesem Culture Clash, wo Stadt und Provinz, mehr Geld und weniger Geld, Bio- und konventionelle Landwirtschaft sich behakeln. Zum Einstieg wird gleich mal die kabarettistische Marke gesetzt: die trachtenanzugdurchsetzte Fusionsversammlung zweier Regionalbanken, maximaler Wiedererkennungseffekt: wo wird unverhohlener gelogen als bei solchen Gelegenheiten?

Dann öffnet sich die Bühne, und vor gemalter Bergkulisse kollidieren die Interessen: Schafroth, im roten Overall der konventionelle Landwirt, fetzt sich mit seinem Bio-Nachbarn – was schwierig ist: denn der tiefenentspannte Kürbisbauer Reto (Stefan Merki) ist Schweizer. Der agile Agraroptimierer von der Baywa (Martin Weigel) kommt schon mal klimabewusst mit dem Radl, die adlige Landverpächterin (Traute Hoess) hat nicht nur ihren Golfschläger im Griff, sondern auch den Grundstückspreis. Ihr Neffe (Elias Krischke) hingegen sucht auf dem Land die Ruhe.

In den starken Momenten ist das bestes Typenkabarett, dazu Musik, ironisch gebrochenen Dreigesang von den Perlseern (im Wechsel mit den Reiwas): Jodeln zum „Ave Maria“, und von Markus Schalk, schon ewig Schafroths Begleiter an der Klampfe, da muss das Publikum dann schon mal aus den Sitzen: „Optimiere Dich!“ Gelacht wird viel, Schafroth, der nette Allgäuer mit dem spitzbübischen Grinsen, weiß aber auch wie’s geht: gern charmiert er unverschämt mit dem Unperfekten des Kammerspiellehrlings. Trotzdem: um die Schwächen kommt er nicht rum, der Plot franst aus, und manchen Durchhänger, im Spiel wie im Text, hätte ein bisschen Sortierhilfe von außen wohl gelindert. Ein humoriger Abend, mit ein paar schönen Seitenhieben, satirisch aber nicht mal mittelscharf.


„Rivka – ein lauter Knall“ im TamS

(c) Claudia Karpfinger

Das TamS kommt uns diesmal nicht absurd, anarchisch, schräg, sondern nachdenklich, ernst. Bei diesem Stück der Niederländerin Judith Herzberg ist das auch nicht anders zu erwarten: „Rivka – ein lauter Knall“ basiert auf ihrer eigenen Geschichte, als Kind, das wegmusste von den jüdischen Eltern, die ins KZ kamen (und überlebten).

An zwei Tagen im Jahr 1942 soll das Stück spielen, aber im Dialog erscheint das nie. Herzberg denkt mit ihrer Arbeit über die Kriegszeit hinaus, und auch Sophie Wendt – es ist die erste Regiearbeit der Schauspielerin – zielt auf das zeitlos Gültige dieser Ausnahmesituation: Wer schickt schon gerne sein Kind weg? Einmal werden die „Ratschläge für ursprüngliche Eltern“ eingeblendet: „besuchen sie es nicht… werfen sie die Kinderkleider weg… bewahren sie kein Foto….“ Heftig.

Das TamS spielt das Stück als Zwei-Personen-Fassung, das Paar auf der Bühne ist älter, als man es bei Herzberg liest, sie könnten die Großeltern sein. Es ist ein Paar von heute, unkonventionell die Frau: Irene Rovan trägt geringelte Ärmlinge zum geblümten Kleid, Helmut Dauner mit brauner Strickjacke über schwarzem T-Shirt, die Brille modern. Auf Freischwingern sitzen sie auf einem Podest, schweigen, dann sprechen sie, tastend, öffnen Klappen unter sich, holen Taschen hervor. Und beginnen zu packen, zu reden, packen auch wieder aus: Aktionismus, der zu nichts führt. Rovan ist die Sorgenvolle, Verhärmte, immer wieder Leere im Gesicht, Dauner tut pragmatischer. Herzbergs Sprache ist rudimentär, die Reduzierung einer Lyrikerin scheint durch, vieles bleibt ungefähr. Gedanken kommen, bleiben im Raum stehen, Ungesagtes lärmt, der Spielradius ist klein: die pure Psyche, die Verdrängung des Schmerzes sichtbar zu machen, war wohl der Regieplan, über einzelne bewegende Momente hinaus wird das aber leider kein schlüssiges Ganzes (woran Helmut Dauners Textprobleme bei der Premiere ihren Anteil haben).


„Trauer ist das Ding mit Federn“ im Volkstheater

Abschied ist auch das Thema am Volkstheater in „Trauer ist das Ding mit Federn“ nach dem gefeierten Debütroman (2015) des Briten Max Porter. Ein Vater, seine zwei Kinder und der Umgang mit dem plötzlichen Tod der Mutter. Es ist schwer, es wird schwarz – und auf einmal ist alles anders: der Vater, Dad, ist förmlich umfangen von einer riesigen Krähe. Ein ungebetener Gast, mit besten Absichten: „Ich bleibe so lange, bis du mich nicht mehr brauchst.“

Diese Krähe ist Porters geniale Idee, die Trauer allegorisch zu personifizieren, und Regisseur Mathias Spaan (am Volkstheater in bester Erinnerung von seinem „Zerbrochenen Krug“) macht aus dem einen Vogel gleich sechs: eine Truppe, die aussieht, als sei die Blue Man Group in den Dreck gefallen und in einem Horrorfilm gelandet: graue, angestaubte Klamotten, im Haar grauer Batz, die Augen hohlschwarz. Und diese Sechs – grandios, man muss sie alle nennen: Julian Gutmann, Maximiliane Haß, Alexandros Koutsoulis, Jonathan Müller, Anton Nürnberg, Baran Sönmez – nisten sich ein auf der Drehbühne. Die segmentiert ist in vier (fast) identische Kopien eines Raumes, mit dem  kalten Charme eines fast leeren Büros: Tisch mit Stühlen, Kartons, Staubsauger. Die Lemuren-Gang, durch deren Körper ab und zu was „Krähisches“ zuckt, verwüstet erst mal alles, lungert im Kühlschrank rum, taucht durch eine Tür auf, durch eine andere wieder weg. Sie gehen ins Publikum, nerven den Vater beim Arbeiten, rauchen mit den Kindern, nur um sie gleich danach dafür zu rügen. Seltsame Trauerarbeiter…

Roman wie Bühnenversion springen wild, von Lyrisch-Poetischem mitten in den schwarzen Humor, mixen Realität und Vorstellung. Ein sphärischer Ton liegt über der oft düsteren Szene, das Wie-weiter-machen, der Schmerz bricht immer wieder durch, bei den Kindern, mögen sie noch so in ihren Pyjamas herumtollen (Ruth Bohsung, Cedric Stern), bei Dad, dem empfindsamen Buchautor (Silas Breiding), der spät erst wieder weinen kann. Spaans empathischer Zugriff kann Tempo und Stille, die Menschen in ihrem Verlust nimmt er ernst, und die dreiste Lust der Trauerkrähen auf ihre Therapieshow auch: denn sie wirkt! Der Besuch einer Raubvogelflugshow (Rummelplatz-Kommentar durch Krähe inklusive) wird zum schönsten Tag seit dem Tod der Mutter. Langer Beifall nach 100 Minuten: selten war Trauer so unterhaltsam – ohne den Schmerz zu verschweigen.