Bühnenschau: Kämpfe aller Art

Aktuelle Stücke: Im theater … und so fort, im Metropol und im Innenhof der Glyptothek

„Die Tür nebenan“ im theater … und so fort

Der Bruckner ist zu laut. Also beschwert sich die Nachbarin beim Nachbarn. Und nicht nur das, es wird eine Belehrung, die Frau ist Psychologin, aber sie kennt sich überall aus in der Geistes- und Kulturwelt. Von „Scherzo“ ist die Rede, und dass Hitler Bruckner mochte. Dem Nachbarn ist das wurscht, er zieht sich den Komponisten nur rein, weil er die Musik super findet: für die Werbung. Schließlich ist er Produktchef in der Milchbranche.

„Die Tür nebenan“ vom französischen Schriftsteller und Drehbuchautor Fabrice Roger-Lacan, 2014 uraufgeführt, bedient ein uraltes Komödienthema: zwei können sich nicht riechen und ziehen sich trotzdem an, bis es Liebe wird. Im theater … und so fort ist das ein sommerlich unterhaltsames Ping-Pong zwischenmenschlicher Attitüden (Regie: Heinz Konrad), mit schmunzelndem Wiedererkennungswert und nicht allzu viel Tiefe. Aber das ist OK bei Roger-Lacans boulevardeskem Zugriff – obwohl man sich ein paar Überraschungstwists mehr schon gewünscht hätte vom Autor.

Den ungleichen Nachbarn Conny Krause und Theaterchef Heiko Dietz schaut man gerne zu. Sie, langes Sommerkleid mit kräftigen Farben, das blonde Haar hochgesteckt, er, graues Businesshemd zur Jeans: so treffen sie aufeinander, und fast immer vor ihren beiden Wohnungstüren. Die Ausstattung braucht, wie immer hier, nur das Nötigste: eine Leseecke, einen Tisch mit Laptop, dazwischen der Hausflur mit Aufzugtüre. Ihre Aufeinandertreffen sind Konfrontationen, gerne face to face, und Heinz Konrad (Regie) vertraut ganz der Qualität des Textes und der Nuancierung der Vorwürfe, mit denen sich beide aneinander abarbeiten.

Von Anfang an denkt man: dafür, dass die sich nicht leiden können, beackern sie sich ganz schön. Das ist kein Wunder, denn sie sind Suchende, wie die Zwischenszenen zeigen, wenn jeder für sich im Datingportal surft. Mit sehr gegensätzlichen Angaben, aber Gegensätze ziehen sich ja nun mal an, und es kommt, wie es kommen muss. „Es wird die Hölle“, sagt sie, „Ja“, sagt er, beim finalen Kuss. Heftiger Applaus.


„Michael Kohlhaas“ im Metropoltheater

1810 hat Heinrich von Kleist seinen „Michael Kohlhaas“ geschrieben, eine Geschichte „aus einer alten Chronik“, wie es im Untertitel heißt. Die aber eigentlich immer Konjunktur hat, denn das Thema ist: Recht und Würde, der Kampf eines Einzelnen um Wahrheit und Gerechtigkeit, gegen ein System von Machthabern und gesetzlicher Willkür. Man könnte aus der Novelle um einen Rosshändler, basierend auf einem realen Fall aus dem 16. Jahrhundert, in der sich ein Zollstreit zum Flächenbrand auswächst, auf dem Theater einen modernen Guerillakampf destillieren (was durchaus schon passiert ist, der Stoff wird gern genommen). Aber Jochen Schölch, der Leiter des Metropoltheaters, ist ein viel zu kluger und empathischer Regisseur, als dass er sich für solche Holzhammer-Plumpheit hergäbe.

Für die neue Arbeit an seinem Theater in Freimann – im vertrauten Stil: eher minimalistisch, fokussiert auf das Wesentliche, mit hochpräziser Textarbeit –  braucht Schölch eine Leinwand, die Titelvorspann und Kapitelunterteilungen zeigt und einen verwaschenen Fleck: das Gebiet Brandenburg/Sachsen, in dem das Geschehen spielt. Auf der Spielfläche davor marmorierte Platten, vernietet in schwarzem Kies, und ein paar Accessoires, ein Stuhl, ein Schwert, das auch Kreuz wird, und Spielzeugfiguren aus der Ritterzeit: Kohlhaasens Haufen und die Truppen des Fürsten.

Und Schölch braucht für diese bestechende One-Man-Show einen profunden Darsteller wie Marc-Philipp Kochendörfer. Der Schauspieler ist Erzähler und Handelnder (und verantwortet auch die klug verdichtete Textfassung, zusammen mit Jonathan Giele). Er ist Kohlhaas, der seine tote Frau im Arm wiegt (ein zusammengelegter Mantel reicht dafür), dem Blut auf den kahlen Schädel und das Unterhemd tropft, wenn er sich radikalisiert, der mit sich selbst als Kurfürst und Luther interagiert, wenn sie, beide in historischem Habit, als Riesenköpfe von der Leinwand mahnen. Und er trampelt durch die Figuren auf dem Boden, wenn gebrandschatzt wird. Wenige Effekte, die immer der Geschichte dienen, mit einer Sprechkultur, die nicht nur Kleists Sprachkunst feiert, sondern unbedingt ein Schicksal erfahrbar machen will. Spannend, erschütternd, großartig. Das Publikum trampelt.


„Kassandra“ bei den Theaterspielen der Glyptothek

Theaterspiele in der Glyptothek
(c) Theaterspiele Glyptothek

„Ich will Macht haben, die Sehergabe ist für eine Frau die einzig wirkliche Macht, die sie erlangen kann. Wie anders sollte eine Frau sonst herrschen können?“ Das ist der Antrieb der antiken Frau, mit deren Geschichte und Schicksal die Theaterspiele Glyptothek ihre jährliche Open-Air-Saison (Juli bis September) im Innenhof des Klenze-Baus am Königsplatz eröffnen. Wo vieles, wieder so ist, wie man das schon kennt: man sitzt gemütlich an Tischen, im Eintrittspreis sind Wein und Brot mit drin, wer mehr will, kriegt gegen Aufpreis Käse und Oliven dazu. Das alte Shakespeare-Brett, das Jahrzehnte die Auftrittsfläche vor dem Haupteingang war, hat ausgedient, die karge schwarze Bühne seitlich neben der goldenen Statue der Pallas Athene (die immer hier steht), braucht nur ein paar Kisten und Requisiten, fertig. Denn hier stand schon immer das Spiel und das Wort im Mittelpunkt, neben dem Reiz des klassizistischen Ambientes natürlich.

Die Frau aus der Antike heißt „Kassandra“, und die Spielfassung dieser Inszenierung von Sven Schöcker greift vor allem auf Christa Wolfs Kassandra-Erzählung von 1983 zurück, ergänzt um weitere Texte von Homer, Seneca und Thomas Brasch. Das große Überthema des Kassandra-Stoffes ist der Trojanische Krieg. Königssohn Paris bekommt von Göttin Aphrodite die schöne Helena versprochen und entführt sie nach Troja, ihr Mann, Spartaner-König Menelaos, will sie zurück. Er verbündet sich mit den Griechen, und erst nach zehn Jahren Belagerung wird Troja fallen, dank des legendären Riesenpferdes mit den darin verstecken Soldaten.

„Der trojanische Krieg wird kommen,“ heißt es früh im Text, die Antwort: „Halt’s Maul, Kassandra.“ Das bringt die Grundproblematik auf den Punkt: die Seherin sieht, aber keiner will es hören. Schöcker entwickelt seine Inszenierung mit nur zwei Darstellern (und den jazzigen Sax-Impros von Götz Grünberg), und das funktioniert prächtig. Julia Gröbl ist Kassandra, die Tochter des Troja-Königs Priamos, eine selbstbewusste, kämpferische Warnerin, aber auch verzweifelnde Frau, die in einer Männerwelt keine Chance hat. Martin Schülke als Apoll weiß den Effekt ihrer Weissagungen zu verhindern, als Priamos wirft er ihr „Feindbegünstigung“ vor und lässt sie einsperren. Großer Beifall nach 100 starken Minuten.