Bühnenschau: Treffen sich Putin und Schiller …

Intensiv bis furios: Residenztheater, Volkstheater und Kammerspiele starten in die Spielzeit

„Kasimir und Karoline“ im Residenztheater

Zur Wiesn ein Oktoberfest-Stück: das Residenztheater bringt Ödön von Horváths Kleinbürgerparabel „Kasimir und Karoline“.Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise (1932 uraufgeführt) dreht sich diese „Ballade von stiller Trauer, gemildert durch Humor“ (Horváth) um Liebe, Existenzangst und die Sehnsucht nach dem besseren Leben. Der Autor wollte keine Parodie, keine Satire, auch keinen Naturalismus – und Barbara Frey hält sich in ihrer stilisierten Inszenierung daran. Keine Volksfeststimmung, die Wiesn weht ab und an als Geräusch vorbei, Biergartenstühle, zwei Riesenmaßkrüge stehen, ein weiterer liegt, Herbstlaub, drumherum dunkel: kein Ort zum Feiern, eher Abstellort für Übriggebliebenes, kalt.

Kasimir, der Chauffeur, hat seinen Job verloren, doch Karoline, die Büroangestellte, will sich davon nicht unterkriegen lassen, ihre Träume fliegen weiter hoch, wie der Zeppelin am Anfang. Anna Drexlers Karoline ist zart und kraftvoll zugleich, empfindsame Kämpferin, auch nach Rückschlägen, der Schürzinger (Thomas Lettow) hat Interesse an ihr, aber sein Chef (Oliver Stokowski) hat selbst angetrunken erst mal bessere Karten: der Großkopferte hat ein „Kabriolett“. Simon Zagermanns Kasimir ist ein Mannsbild, den es zwischen Eifersucht, Wut und Selbstmitleid zerreibt. Er wird sich trösten mit der emanzipierten Erna (Juliane Köhler), die schnell für Ersatz offen ist, als ihr kleinkrimineller Franz (Max Rothbart) verhaftet wird.

Die Bewegungen sind bedächtig in diesem Totentanz, immer wieder auch Stille, die Musik wühlt düster in der Volksmusik, der Einstieg in Moll: In München steht ein Hofbräuhaus, gesungen von zwei Trachten-Gespenstern. Ein leiser, intensiver Schauspielabend (100 Minuten), mit präziser Typenführung und maximalem Ohr für Horváths reduzierte Sprache. Der Beifall ist groß.


„Glaube Liebe Roboter“ im Volkstheater

Am Volkstheater hat man sich auch Horváth vorgenommen – und weitergesponnen, aus „Glaube Liebe Hoffnung“ wird „Glaube Liebe Roboter“. Im Original will die junge Elisabeth aus Geldgründen ihren Körper vorab der Anatomie vermachen, die Bürokratie aber treibt sie früh in den Tod. Autor und Regisseur Bonn Park schnappt sich nun die tote junge Frau und macht sie zum menschelnden Roboter: Elisabot (Henriette Nagel).

Der Arbeitsplatz vom Oberpräparator (Steffen Link) ist ein Sci-Fi-Labor, man denkt an die  „Raumschiff Enterprise“-Serie der 1960er Jahre, Pulte blinken, ein Fax spuckt Nachrichten auf Endlos-Papier aus der Wand. Dazu ein Regal mit Herzen, Vitrinen mit Robotern, einer davon, der Vizepräparator, singt uns erst mal eins: ein Hippie im Silbermantel, Dagobert Jäger, seine (eigenen) Roboter-Pop-Songs geben dem Abend einen Touch Musical. Gegenüber der ruppigen Außenwelt – geht das Eingangstor hoch, dann stürmt’s; ein wandelndes Radio berichtet von draußen: Liv Stapelfeldt – ist dieser blau marmorierte Raum ein Refugium. Bisschen Fantasy, bisschen Alptraum, die Kostüme futuristisch, immer wieder mal schauen andere Figuren aus dem Horváth-Urtext vorbei (Schupo, Amtsgerichtsrat, Postbote). Und allen geht’s ähnlich: die Weltlage setzt ihnen zu, man kämpft mit Strukturen, auch Gefühlen, aber Bonn Park ist ein zu herrlich unkonventioneller Theaterbastler, als dass er es bei dieser dystopischen Stimmung beließe. „Es ist verzwickt“, singen sie am Schluss. Ja, OK. Aber: sooo schlimm wird’s nicht werden. Jubel.


„Wallenstein“ in den Münchner Kammerspielen

(c) Kammerspiele

Was hat Putin mit Schiller zu tun? Eine ganze Menge, belegen die Kammerspiele und powern mit einem atemberaubenden „Wallenstein“ furios los in die neue Spielzeit. Für die Neuinterpretion dieser Trilogie von Friedrich Schiller (1798/99 uraufgeführt) greift das Team um Hausregisseur Jan-Christoph Gockel einen Gedanken des Politologen Herfried Münkler auf: er hat mal Putins Mann fürs Grobe im Ukraine-Krieg, Jewgenij Prigoschin, den ehemaligen Führer der Söldner-Truppe Wagner (dessen Machtphantasien 2023 praktischerweise ein Flugzeugabsturz jäh beendete), mit Wallenstein verglichen. Also dem Söldnerführer und Kriegsunternehmer des Kaisers im Dreißigjährigen Krieg.

Prigoschin war mal Putins Koch, so kommt die Aufführung zu ihrem Motto „Kochen ist Krieg“. Und es wird angerichtet: ein Schlachtfest in sieben Gängen, zur Frage, wie Krieg gemacht und erhalten wird („Der Krieg ernährt den Krieg“), und die Suche danach, wie er wieder endet. Regisseur Gockel ist bekannt für seine genresprengenden Theaterideen, und auch hier zieht er alle Register. Sergei Okunev, ein „Typ aus Russland“, führt mit einer Background-Recherche ein, immer wieder wird er an diesem Abend Analogien aufzeigen zwischen Dichtung und Wirklichkeit. In „Wallensteins Lager“ dann wird mit vollem Einsatz – das ganze Ensemble in Kochmontur – geschnippelt, gebraten und verfeinert (unter Chefin Annette Paulmann, sie ist Wallensteins Gegenspieler Octavio Piccolomini), einige Zuschauer werden später auch auf der Bühne tafeln dürfen. Wenn Party-Time ist, versammelt sich gefühlt das halbe Kammerspiel-Publikum auf der Bühne. Drums und Gitarre von Maria Moling dosieren die Stimmung, die Live-Kamera schaut nicht nur in Töpfe, sie folgt auch einem Militärberater (André Benndorff) auf die Maximilianstraße zum spontanen Passanten-Interview.

Samuel Kochs Wallenstein – Schiller zeigt ja den vom Kaiser bereits abgesetzten Feldherrn in seinen letzten Tagen – ist zurückgenommen, begrenzt in seinem Radius, aber klar in seinen Gedanken, immer noch Machtmensch und handlungsbereit, bis die Intrigen kommen: am Ende hängt der querschnittgelähmte Schauspieler wie eine Marionette in einer Apparatur, die Fäden an ihm ziehen andere. Sein Traum ist der poetischste Moment der Aufführung, durch Michael Pietsch, den Schau- und Puppenspieler, und seinem Puppen-Wallenstein, der zart sein reales Alter Ego aufweckt.

Siebeneinhalb Stunden (inkl. zwei kleine Pausen, eine große) dauert das Ganze, manches bremst, ist zu viel, aber insgesamt ist Gockels Konzept bestechend. Auch die Idee, die meisten Männerrollen von Frauen spielen zu lassen: mit Inbrunst werden maskuline Attitüden auf die Spitze getrieben (und darüber hinaus). Am Ende schält und quält sich Katharina Bach aus der Glatze und dem Silikon-Sixpack ihrer berserkernden Prigoschin-Kopie, bis sie nackt ist – und wieder Frau, mit doch noch Hoffnung: „Der Mensch ist größer als der Krieg“. Standing Ovations für ein überbordendes, sinnliches, hoch intelligentes Erlebnis, eine unglaubliche Ensemble-Leistung. Man geht bereichert. Ein Muss.