Theater im Juni: Wenn Spiele in wilden Ernst umschlagen

Mit diesen Stücken testet man die eigene Achterbahnfahrt-Belastbarkeit

„Cavalleria Rusticana / Pagliacci“ in der Staatsoper

Es sind blutige Stoffe, die seit 1978 nicht mehr neu an der Staatsoper inszeniert wurden. Nun bringt Regisseur Francesco Micheli die beiden Opern, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts als Meisterwerke des „Verismo“ unabhängig voneinander entstanden, aber oft zusammen gezeigt werden, wieder auf die Bühne. Es sind Stücke, die sich um Leidenschaft, Liebe und Verrat drehen – mit brutalen Konsequenzen. „Wir möchten eine einzige Geschichte konstruieren“, sagt Micheli vom Inszenierungsteam. „Die Geschichte eines Mannes, der in ‚Cavalleria rusticana’ seine Wurzeln verloren hat und in ‚Paglicacci’ versucht, seine ursprünglichen Bindungen in einer neuen Gemeinschaft wiederherzustellen, aber daran elendig scheitert.“ Starker Tobak!


„Tosca“ im Gärtnerplatztheater

Ebenfalls ein Stoff, der schnell für Gänsehaut sorgt – und eine besonders bildgewaltige Inszenierung von Regisseur und Bühnenbildner Stefano Poda: Bei ihm ist „Tosca“ ein Polit-Thriller, getarnt als Oper mit hinreißend schöner Musik. Um einen politischen Häftling, der eben erst entflohen ist, wieder einzufangen, greift ein skrupelloser Polizeichef zu den härtesten Methoden. Er macht vor Erpressung und Folter nicht Halt. Grausam, emotional – beschwingt von Giacomo-Puccini-Klängen.


„Das Stück, das die Welt verändert“ im TamS

Selbstbewusstsein fehlt Carsten Goldbeck und dem TamS-Ensemble schon mal nicht. Oder ist es wirklich pure Verzweiflung? In einer neuen dreiteiligen Serie geht es um das Bemühen dreier Schauspieler, die aktuell so verworrene Nachrichtenlage zu verstehen – und darin einen Platz für sich zu finden. Warten auf einen Retter? Lieber nicht. Stattdessen nimmt das Trio die Sache selbst in die Hand. Es geht darum, ein Theaterstück zu schreiben, mit dem sich schlagartig alles zum Besseren wenden soll. Es geht um die Rettung der Welt – mit den Mitteln des Theaters. Kann man versuchen.


„Wiederumaufbau“ im Prinzregententheater

Hinter den Kulissen: Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Kapitulation der Wehrmacht. Und rasch ging es in eine Zeit des Umbruchs, des Wiederaufbaus und einer mehr oder weniger ernsthaft angelegten Neuausrichtung des Miteinanders. Eine Zeit voller Widersprüche, die am Theater die Master-Studierenden des Fachs Dramaturgie noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen. Heraus kommt eine interaktive Performance, die sich auch mit der Geschichte des Prinzregententheaters, also auch dort um Aufbau, Umbau und Abriss, dreht. Welche Geschichten darf man sich überhaupt noch gesichert weitererzählen?


„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ im Metropoltheater

Vom Theater zurück auf die Bühne: Joachim Meyerhoff, einst ausgebildet an der Otto-FalckenbergSchule und längst einer der ganz großen Burgtheater-Stars, erzählt im zentralen Band seiner Erinnerungen an seine Zeit in München – bei den liebenswerten, permanent betrunkenen Großeltern in hochherrschaftlicher Villa am Nymphenburger Schlosspark. Es ist der Gegenort, an dem der tief verunsicherte Mann seinen Dämonen entkommen möchte, nachdem hoch im Norden sein älterer Bruder bei einem Unfall ums Leben kam. Joachim findet sich selbst – und lernt neue Teufel kennen, mit denen er kämpfen muss. Regisseur Gil Mehmert lässt sein Ensemble brillieren.


„Sauhund“ in den Kammerspielen

Bayern, Anfang der 80er Jahre. Franz Josef Strauß, Freddie Mercury und Rainer Werner Fassbinder leben alle gleichzeitig in einem pulsierenden München. Flori wächst in Wolfratshausen auf, erlebt seine erste Liebe, im Kaufhaus entdeckt er die Faszination für Frauenkleider. Bald wird die Sehnsucht nach der Großstadt und einem offenen schwulen Leben stärker. Regisseur Florian Fischer, der sich immer wieder mit queeren Geschichten beschäftigte, feiert bildstark ein untergegangenes München mit Lion Christs Debütroman.


„Die Fabrik der verlorenen Fäden“ im Pathos

Geschichtserforschung – spannend wie ein Krimi: Beim Theater auf dem Gelände der ehemaligen Luitpoldkaserne hat man herausgefunden, dass hier vor 100 Jahren die Spitzenwäschefabrik der jüdischen Unternehmerin Rosa Klauber stand. Die Truppe Traummaschine rekonstruiert, was mit ihr geschah.


„Die lustigen Weiber von Windsor“ im Gärtnerplatztheater

Endlich wieder lachen. Der Hallodri Sir John Falstaff ist doch auch zu doof. Er verschickt die identischen Liebesbriefe gleich an zwei ehrbare Bürgersfrauen. Und die stecken natürlich sofort die Köpfe zusammen – und schmieden deftige Rachepläne. Nicht nur Antonio Salieri und Giuseppe Verdi hatten das Komödienpotenzial von William Shakespeares Klassikern erkannt. Auch der Deutsche Otto Nicolai komponierte eine Falstaff-Oper – und starb 1849, nur zwei Monate nach der Uraufführung. Am gelungenen Werk lag’s nicht. Spielzeitpremiere!


„3Sis! Oder: Wie viele Leben passen in eins?“ im Fraunhofer

Spannende Versuchsanordnung: Anna Funk schlüpft in gleich drei Rollen und erzählt von Lebensgeschichten, die sich auch auf der Bühne weiter verändern. Zum einen ist da eine Mathematik-Doktorin namens Helga, die samt Hund in München lebt. Zum anderen gibt es Irene, die in Berlin Künstlerin ist – irgendwie, wie man das dort eben so handhabt. Und dann lebt da noch Familienmutter Maria im Umland, ganz nah am einst elterlichen Bauernhof. Nun steht die Frage im Raum: Welcher Zufall entscheidet darüber, wie sich ein Leben entwickelt?


„Caligula“ im Volkstheater

Was für einen Sinn hat das Sterben, wenn schon das Leben keinen hat? Albert Camus beobachtet einen dekadenten Herrscher in der Krise. Es gibt zunehmend mehr als nur einen Grund, ihn zu ermorden.


„Ich legte mich dem Publikum zu Füßen“ im Schwere Reiter

Theatermacher Stefan Kastner, der auch selbst im Stück mitspielt, hat keine Scheu davor, sich ein wenig lächerlich zu machen. Oder wie soll man sonst seine Figur des wirklich nicht mehr jungen Heinz Kaschubek verstehen, der vom Studentenservice des Arbeitsamts beauftragt wird, etwas Staatstragendes zur deutsch-französischen Freundschaft zusammenzuschustern? Heinz nimmt den Job ernst, verheddert sich allerdings hoffnungslos in den Untiefen der Geschichte. Aha-Momente gibt es dann erst wieder beim Torwandschießen.


„Ich bin Sturm“ im Theater Und so fort

Drei verlorene Seelen kann man auf ihrem Weg in die Einsamkeit begleiten. Ein Stück weit. Vielleicht hilft ein wenig Lektüre von Emily Brontë dabei? Man weiß es noch nicht. Das Münchner Heldentheater hat das Stück für die coole kleine Bühne entwickelt.


„Kaltgestellt“ im Hofspielhaus

Treue Fans des zuletzt immer öfter abgemeldeten TV-Zynikers wissen natürlich schon lange: Eigentlich wäre Schmidt am liebsten ganz großer Theaterstar geworden. Jetzt spielt er in der ZDF-„Traumschiff“-Reihe mit. Nun schwelgen „Dirty Harry“ und Volker Heißmann von „Waltraud und Mariechen“ im Erinnerungsschatz.


„Bakkhai“ im Akademietheater

Das Tolle an der gar nicht so staubigen Antike ist doch, was damals alles schon möglich war, was heute Trampeln wie Trump so schwerfällt: Non-Binarität etwa. Oder einfach nur menschenfreundlich lustvolles Herumvögeln in alle Richtungen. Im Euripides-Stück, das Anne Carson bearbeitet hat, steckt viel Zündstoff. Es geht um die Ekstase und das freudige Durcheinander, für das der Gott Dionysos steht. Es geht um den bacchantischen Rauch und geheimnisvolle Rituale. Aber dummerweise eben auch um ein wenig Tragik. Spielverderber.


„Gschichtn vom Brandner Kaspar“ im Residenztheater

Es ist die lange erwartete Sensation dieses Theatersommers, die nun einschlagen muss wie ein himmlischer Blitz: Nach einem Vierteljahrhundert kommt das beliebte Volksstück mit dem Boandlkramer, der sich mit Schnaps abfüllen und dann über den Kartenspieltisch ziehen lässt, endlich zurück ans Residenztheater. Mehr noch: Seit fast genauso langer Zeit hat man dort nichts mehr von Franz Xaver Kroetz gehört, der einst verkündete, nicht mehr für das Theater veröffentlichen zu wollen. Nun hat er sich eben doch überreden lassen – Kirschgeist, hin oder her. Kroetz, bekannt geworden durch archaisch wuchtige Theatertexte, aber eben auch in der „Babi Schimmerlos“-Paraderolle, hat eine ganz eigene Brandner- Kaspar-Variante geschrieben. Und einen anderen grantigen großen Star bringt er gleich mit: Auch Günther Maria Halmer, geliebt seit seinen Tscharlie-Zeiten aus den „Münchner Geschichten“, spielt dabei mit. Die Inszenierung übernimmt Philipp Stölzl als „großes Bilderbuch“, wie es in einer Regie-Anweisung von Kroetz heißt.


„The Old Maid and the Thief“ am Gärtnerplatztheater

Was passiert, wenn man zu lange einsam lebt: Miss Tod aus der amerikanischen Kleinstadt staunt nicht schlecht, als ihr das Dienstmädchen Laetitia einen Landstreicher vorstellt, der eines Tages einfach so an der Tür geklopft hat. Und das in einer Zeit, in der überall von entwischten Strafgefangenen die Rede ist. Die beiden Frauen nehmen den Fremden auf – und genießen den wohligen Schauer, der ihn umgibt. Doch wie lange kann das gutgehen? In der Nachbarschaft häufen sich die Einbruchsdelikte. Gian Carlo Menotti hatte 1939 gesellschaftssatirische, krimi-ähnliche Elemente und Romantik zu einer ungewöhnlichen Mischung verquirlt. Eine bemerkenswerte Opern-Premiere!


„Borda“ in der Muffathalle

Sie zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen Brasiliens. Im neuen Tanzstück umkreist Lia Rodrigues alles, was uns trennt – im geografischen, aber vor allem im politischen Sinne. Wer wagt es, die Grenze zu überschreiten?


„Level up/M&M“ im Muffatwerk

Von der Energie der Straße: Amala Dianor, der französisch-senegalesische Choreograf, steht wie kein Zweiter für die kaum zu bändigende Wucht des New Urban Dance. Mit elf Tänzerinnen und Tänzern aus Südafrika, Indien und Frankreich sowie einem Live-Musiker aus den USA erkundet er einen Austausch – und findet eine übergreifende Gemeinsamkeit: im Tanz. Dazu gibt’s Musik von Electro bis Dancehall.


„Erinnerung eines Mädchens“ im Marstall

Radikal autobiografisch, radikal offen: Die Nobelpreisträgerin Annie Ernaux arbeitet wie eine Forensikerin. Sie seziert die eigene Lebensgeschichte. Was genau hatte sich für die damals 18-jährige junge Frau im Sommer 1958 ereignet? Sie legt immer mehr Verschleierungsversuche frei und entlarvt die sexuelle Doppelmoral, die bis heute anhält: Warum werden Männern und Frauen oft gänzlich unterschiedliche Konzepte von „Freiheit“ zugestanden? Das packend inszenierte Kammerspiel, das die drei Ausnahmedarstellerinnen Sibylle Canonica, Juliane Köhler und Charlotte Schwab zusammenbringt, läuft nun leider schon zum letzten Mal.


„Agamemnon“ im Residenztheater

Abschied auch von dieser Augenweide: Nach zehn Jahren erfolgreicher Kämpfe vor Troja hatte der titelgebende Griechenkönig auf eine friedliche Rückkehr in die Heimat gehofft. Doch seine Gattin Klytämnestra hat den Mord an der gemeinsamen Tochter nicht vergessen. Um die Götter milde zu stimmen und sich günstige Winde fürs Lossegeln zu sichern, hatte Agamemnon einst seine Iphigenie geopfert. Aischylos zeigt, wie sich das rächt – und wie sich das Rad des Grauens weiterdreht.


„Die Schule der magischen Tiere – Voller Löcher!“ im Deutschen Theater

Ins Theater, nicht ins Kino: An Miss Cornfields Klasse an der Wintersteinschule herrscht Verwirrung. Wer gräbt über Nacht die vielen Löcher auf dem Schulgelände? Tristan Berger hat die sympathisch-skurrilen Buchwelten von Margit Auer und ihrer Illustratorin Nina Dulleck auf die Bühne geholt.


„Liebe“ im Volkstheater

Kein Mensch ist eine Insel. Das wusste schon der englische Renaissance-Dichter John Donne. Doch warum ist es nur so schwer, die mehr oder weniger sympathischen Nebenmenschen auszuhalten? Das Theater Grenzenlos versucht sich an Antworten. Beim Festakt zum zehnjährigen Bestehen der Truppe sprechen dann auch Christian Springer und Caro Matzko.


„War Games“ in den Kammerspielen

Hört denn wirklich niemand die „Nie wieder“-Rufe? Seit es Menschen gibt, wird gekämpft. Warum ist es so schwer, aus der Gewaltspirale auszusteigen? Die Gruppe Skart mischt sich in die Debatte ein – mit einem Knall. Ihre vielschichtige Performance mischt Theater, Video, Sound und Tanz. Es geht darum, die Spielregeln zu hinterfragen. Fangen wir endlich an!


„Der Barbier von Sevilla“ in der Pasinger Fabrik

Dass Gioachino Rossini ein gefeierter Opernkomponist war, wusste man. Aber wer kennt ihn auch als leidenschaftlichen Koch und Feinschmecker? Auf dem Höhepunkt seiner Karriere beschloss der Mann aus dem italienischen Pesaro, seine zweite Lebenshälfte der Kulinarik zu widmen, wovon noch heute Gerichte „à la Rossini“ erzählen. Die schmissige Neuinszenierung seiner Oper durch Regisseur Florian Hackspiel beherzigt das: So kommt es zum Spiel im Spiel – im Restaurant „Der Schwan von Pesaro“. Ein Fest für alle Sinne – lecker!


„Die drei ??? – Im Auge des Sturms“ im Deutschen Theater

Und dann sind auch noch Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews vom berühmtesten Detektivtrio der Weltliteraturgeschichte gefragt. Sie lösen – nicht nur für junges Theaterpublikum – einen Fall, der mit einem schwer verletzten Surfer beginnt.