Theater im September: Aufbruch in schöne neue Gewissheiten

Das Bühnenfieber setzt wieder ein. Auf diese Stück kann man sich freuen

Die Verzauberten. Oder der Gesang der Echsen

Einer der bekanntesten Cold Cases der Kriminalgeschichte, die sogenannte „Galápagos-Affäre“, ereignet sich Anfang der 1930er Jahre, als einige deutsche Aussiedlerinnen und Aussiedler auf den Inseln ihr Glück versuchen, aber schon bald mit allerlei menschlichen Abgründen konfrontiert werden. Das Theaterstück von Sonja Graf folgt weniger der historischen Faktenlage, sondern konzentriert sich vielmehr auf die magische, psychische Dimension des Geschehens. So präsentiert das „Theater des hölzernen Gelächters“ mit der Uraufführung einen spannungsreichen Theaterabend open air und indoor.


Honey

Ein bayerischer Polylog über eine Frau, die nicht mehr stillhalten kann. Sonja Rupp spielt neun Rollen und spricht mit einer Stimme: Honey ist eine Naturgewalt – einfallsreich, direkt und impulsiv. Kein Wunder, als alleinerziehende, dreifach geschiedene Mutter von vier Kindern hat sie es gelernt, die Krallen auszufahren und sich nicht unterkriegen zu lassen. Es ist kein Honigschlecken. Endlich findet sie eine Stimme und Raum, Dampf abzulassen und zu ihrer eigenen Verletzlichkeit zu stehen. Es geht um drei Generationen, drei Ex-Männer und eine Selbstbehauptung!


Zangezi

Das könnte ein Raum-Rausch werden, wie ihn die Eingeweihten aus den Ausflugsfahrten mit bewusstseinserweiternden Pillen oder Pülverchen kennen: Chris Salter hat es sich vorgenommen, das titelgebende visionäre, „planetarische“ Poem des russischen Künstlers Velimir Chlebnikow, ein typischer Futurist, multimedial radikal neu zu denken. Dabei rückt man dem 1922 entstandenen Werk von allen Seiten auf die Pelle – mit Musik, Licht, Grafik und einer von einer Game-Engine gesteuerten KI-gesteuerten Szenografie. Alle Künste verschmelzen, dazu gibt es intensive, physische Schauspielkunst mit einem multinationalen Team, das interaktiv mit den Sounds und Sphären agiert. Herauskommen soll eine „Supersaga in 20 Ebenen“. Wenn es ein paar mehr oder weniger werden, dürfte sich wohl niemand beklagen.


Die Turing-Maschine

Pst, nicht gleich weitererzählen. Oder natürlich doch. Dieses Stück erzählt die Geschichte des englischen Mathematikers Alan Turing, dem es im Zweiten Weltkrieg gelang, den Enigma-Geheimcode der Nazis zu knacken. Nerds schreiben Geschichte.


In Memoriam – Der Mensch, das Spiel der Zeit

Inklusives Theater, das wirklich weite Bögen schlägt – nicht nur bei den Teilnehmenden, auch bei den Mitteln und beim Anspruch. Es ist eine Zusammenführung von Vergangenheit und Gegenwart, von Musik aus dem Mittelalter, dem Barock, der Klassik-Romantik bis hin zu neuen Klängen. Und natürlich geht es um Spiel, Tanz und Musik. All inclusive, sozusagen.


Fressen oder gefressen werden

Was für ein wüster, aufwühlender Saisonstart im Kreativquartier an der Dachauer Straße: Das selbstverwaltete Kollektiv Open House, hinter dem junge Theaterbegeisterte stecken, verwandelt ein ganzes Theatergebäude in eine hungrige Glitch-Installation – bei der kein Krümel übrigbleibt.


A Matz bist scho!

Keine Wiesn ohne „Kasimir und Karoline“: Die junge Truppe Theater Perlach hat unter der Regie von Andrea Funk das Volksstück von Ödön von Horvath für ein modernes Musiktheater zeitgemäß gegen den Strich gebürstet. Erzählt wird noch immer vom Verlorengehen und vom Sich-Treiben-Lassen. Aber ganz so leicht will man es den Männern doch nicht machen, die einst wie heute auf Jagd nach „Wiesnbräuten“ ziehen. Diese wissen sich nicht nur zu wehren. Sie wissen natürlich auch, wie man sehr selbstbestimmt feiert. Darum geht’s.

Der Untertan

Sein Bruder Thomas steht noch heute im Zentrum der immer neuen Mann-Beifallsbekundungen. Dabei war Heinrich Mann der wirklich politische Autor – und teilweise deutlich mutiger. Sein Meisterroman gilt noch immer als beklemmend aktuelle Psychostudie des deutschen Buckelns, Schleimens und im Staub-Kriechens. Der deutsche Spießer buckelt nach oben – und tritt nach unten. Georg Büttel und sein Team haben daraus eine beißende Bühnensatire gemacht.


Kaltgestellt

Zurück mit hochprozentigem Komödienspaß, der rührt und schüttelt – eiskalt serviert: Drei Freundinnen bleiben Monat für Monat ihrem eingespielten Ritual treu. Sie treffen sich zu Cocktails und lästern über die Männer. Die sind im Nebenraum – und dann fällt eine Tür zu!


Schauburg Theaterfest

Was bringt die neue Spielzeit? Worauf darf man sich freuen? Wo kann man mitmachen? Mit einem kunterbunten Programm lädt Theaterintendantin Andrea Gronemeyer ihr Publikum ans Haus ein, für Führungen, Workshops und das ganze Drumherum. Zunächst gibt es den Hinter-die-Kulissen-Blick im neuen zweiten Haus, dem Schauburg Labor, in Ramersdorf. Danach wird am Elisabethplatz gefeiert.


Loriots dramatische Werke

Größenwahnsinniges hat auf der kleinsten Bühne Platz – auch in der Badewanne. Ein Wiedersehen mit Opa Hoppenstedt, Herrn Müller-Lüdenscheidt, Lord Hesketh-Fortescue von Gwyneth Molesworth in Nether Addlethorpe und natürlich der Nudel. Gejodelt wird dann auch noch.


Schtonk!

Wer hat’s erfunden? Wer hat’s gefälscht? Stefan Kastner, ein Guru der Freien Szene, bringt den Helmut-Dietl-Klassiker rund um die berühmt-berüchtigten Hitler-Tagebücher auf die (kleine) Bühne.


Kunst

Wie lange kann man sich um eine vermutlich tatsächlich komplett leere Leinwand streiten, die ein „weißes“ Bild zeigen soll? Und wie witzig das doch wird. Die Mini-Produktion von Yasmina Rezas Erfolgsstück sorgt regelmäßig für Standing Ovations. Hut ab!


Mons the Giraffe

Es ist der Perspektivwechsel, der die Augen öffnet und das Grauen sichtbar macht: Eine Giraffe im Tierpark von Charkiw weiß nicht, was da gefährlich Schweres auf sie herabdonnern wird. Es ist Krieg. Auch im Puppentheater.


Glaube Liebe Roboter

Was für ein Horrorlabor: Elisabeth hatte einst ihren Körper an ein anatomisches Labor verkauft. Ein Suizid war für sie der angeblich einzige Ausweg. Doch nun dreht Bonn Park die Schraube gnadenlos weiter. Es geht direkt hinein in die Forschungsanstalt, in der Elisabeths Körper als Mensch-Roboter weiterlebt. Es geht um den Traum von der Unsterblichkeit und die Blindheit, die uns Künstliche Intelligenz immer öfter in unsere Vorstellungswelten diktiert. Wohin jagt der Fortschrittsglaube? Gibt es auf der Autobahn in Richtung unausweichlicher Dystopie vielleicht doch noch eine rettende Ausfahrt? Die Stückumschreibung arbeitet mit Motiven von Ödön von Horváth – und seinen Figuren, die einfach mal durch die Jetztzeit spazieren.


Kasimir und Karoline

Das Oktoberfest in Zeiten der großen Krisen. Damals. Heute. Kann der Exzess ein Ausflug sein? Oder macht er alles noch schlimmer? Von der Banalität des Bösen – und vom Wirbeln auf der Wiesn.


Prima Facie

Wenn das Grauen, sonst professionell kühl betrachtet und bewusst vom eigenen Körper gehalten, plötzlich grausam nah kommt: Tessa ist eine erfolgreiche Anwältin, die sich auf die Verteidigung der ganz bösen Buben spezialisiert hat. Sie springt dann in die Bresche, wenn es um den Vorwurf sexueller Übergriffe geht – und landet immer wieder überraschende Prozess-Siege. Doch dann wird Tessa selbst zum Opfer: Sie wird vergewaltigt. Und den Täter kennt sie nur zu gut: Es ist ein Kollege. Es kommt zum Entscheidungskampf – vor Gericht. Diesmal mit neuen, denkbar unbequemen Rollen.


Der Besuch der alten Dame

Durch weibliche Augen geblickt: Claire Zachanassians Enkelin reist in die Kleinstadt, aus der ihre verstorbene Großmutter einst stammte, und rekonstruiert einen Skandal. Es leben dort lauter Nachgeborene – Menschen, die einst weggesehen hatten und mit ihren Lebenslügen alt werden mussten. Erst nach und nach kommt die Wahrheit ans Licht: Claire wurde mit einem Kind im Stich gelassen. Jeder wusste davon, alle sahen weg. Sapir Heller hat ein wenig den Staub vom Friedrich-Dürrenmatt-Klassiker geblasen. Jetzt ist er wieder schrecklich. Schrecklich schön.


Nach Mitternacht

Sie hat den Sound perfektioniert, der so modern klingt und Leichtigkeit in bleischwere Zeiten brachte: Irmgard Keun war eine Seismographin, die schon früh spürte und vor allem aus der Unmenschensprache heraushörte, was da an Nazi-Terror aufzog. Trotzdem blieb sie in Deutschland und schrieb mutig auf, was sie registrierte. „Nach Mitternacht“ erzählt von den Themen, die sie unmittelbar betrafen – etwa die Angst, am Schreiben gehindert zu werden. Aber auch von Nächten auf Feiern und in Kneipen, in denen schon bald der Spaß vorbei war.


Gschichtn vom Brandner Kaspar

Himmel Herrgott: Das beliebte Volksstück mit dem Boandlkramer, der sich mit Schnaps abfüllen und dann über den Kartenspieltisch ziehen lässt, ist zurück. Franz Xaver Kroetz, bekannt geworden durch archaisch wuchtige Theatertexte, aber eben auch in der „Babi Schimmerlos“-Paraderolle, hat eine ganz eigene Brandner-Kaspar-Variante geschrieben. Und einen anderen grantigen großen Star bringt er gleich mit: Günther Maria Halmer, geliebt seit seinen Tscharlie-Zeiten aus den „Münchner Geschichten“, spielt die Titelrolle.