Die Theater-Highlights zum Monatswechsel

Mit oder ohne Bauch-Schmetterlinge - Das Leben auf der Straße ist hart, das radikale Ringen um die Kunst immer ungemütlich
Wer Frankreich liebt und von romantischen Wochenendtrips nach Paris träumt, der muss auch sie lieben, die Kokser, die Abgestürzten, die politisch völlig Verdrehten, die Schläger, die Schwadronierer und die Herzlosen von heute.
Es ist ein kitschfreies, ein hartes, ein ungeschminktes Gesicht der Großstadt, das Virginie Despentes in ihren „Subutex“-Romanen zeichnet. Und durch die Straßen torkelt – von Sofa zu Sofa, von Parkbank zu Parkbank – der beruflich komplett gescheiterte Ex- Plattenhändler, der seinen Laden nach dem unausweichlichen Bankrott eben doch zusperren musste und der seitdem auf der Straße lebte. Immer wieder kommt er bei den wenigen Freunden von früher unter, aber dann muss er sich ihre Beschimpfungen, ihren Frust, ihren Lebensekel anhören. Das Leben des Vernon Subutex ist kein schönes, aber ein ehrlich nacherzähltes. Die Romane von Despentes werden jetzt schon an der Schonungslosigkeit von Balsac und Zola gemessen. Und auf der Bühne mussten sie natürlich auch landen: Regisseur Stefan Pucher hat sich das zugetraut. Und die Erfahrung dafür hat er. Zuletzt hievte er T.C. Boyles „América“ auf die Bretter. (Kammerspiele, ab 28.3.)
Unerschrocken gibt man sich übrigens auch weniger Meter weiter, die eiskalt elegante Einkaufsstraße hinunter. Antonio Latella holt den Horror der brutalen Ermordung des Dramatikers und Regisseurs Pier Paolo Pasolini am heruntergekommen Strand von Ostia auf die Bühne. Aber natürlich nicht einfach so, als trist-thrillerige Real- Crime-Inszenierung. Auch Pasolini selbst hätte vermutlich der Überbau gefallen: Konfrontiert wird sein ganz persönlicher Albtraum, der sich schon früh durch lebenslange Anfeindungen abgezeichnet hatte, mit dem Höllendarstellungen aus Dante Alighieris „Divina commedia“. Es wird eine zunehmend surrealistische Reise zwischen Leben und Tod. Und Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini ist ein harter, aber erhebender Ritt. (Residenztheater, ab 22.3.)
Eine Lichtgestalt wie der Mann, der schon zu Lebzeiten als JFK zum Mythos wurde, war Pasolini nicht. Und doch eint die beiden die Unerbittlichkeit, mit der es plötzlich tödlich ernst wurde in einem viel zu kurzen Leben. David T. Little, einer der wenigen Vertreter für die zeitgenössische Opern- Komposition in den USA, hat aus den letzten Lebensstunden von Präsident John F. Kennedy ein beklemmendes, radikales Musiktheater gemacht, das 2016 in Texas uraufgeführt wurde und nun eine europäische Premiere erlebt. Und dafür lohnt sich sogar ein Ausflug in die Nachbarmetropole. (Staatstheater Augsburg, 24./28.3.)
In den Raum des Spiels und des tastenden Erkundens flüchtet sich Cristina D’Alberto – gerade weil ihr die Brisanz von real existierenden Machtstrukturen und patriarchalisch geprägten Geschlechterzuschreibungen bewusst ist. Ihre Tanz-Performance Somewhere/ Shared will dabei einen Raum aufschließen, in dem die üblichen sozialen Hierarchien und Boshaftigkeiten außer Kraft gesetzt werden. Kämpfe werden hier auch ausgefochten, allerdings sehr subversive. Und solche weitab vom gesellschaftlich en Mainstream. (Schwere Reiter, 22./23.3.)
Besonders stark unter Druck geraten ja bekanntlich oft die Schwächsten. Und gerade Kinder und Jugendliche, die zuletzt so mutig zum Demonstrieren auf die Straße zogen, beklagen zu Recht, dass sie meist die letzten sind, die wirklich gefragt werden, wenn es wichtig wird. Die Hamburger Choreografin Antje Pfundtner möchte nicht in diese Falle tappen und hat mit Für mich ein mitreißendes Tanzstück entwickelt, dass die Wut im Bauch, den Eigensinn, aber auch die flatternden Schmetterlinge drum herum feiert. (Hoch X, 28./29./30.3.)
Nicht von oben herab behandeln lassen wollen sich auch die Protagonisten aus der sehenswerten Farm Fatale-Versuchsanordnung von Philippe Quesne. Es wäre auch so einfach, ein wenig zu lächeln über die Landfamilie, die sich aufs oft romantisierte, allerdings beschwerliche Selbstversorgerleben auf der eigenen Scholle zurückgezogen hat. Der vielbeschworenen Einklang mit der Natur klingt wie ein Ausweg aus der globalisierten Stresswirtschaft. Aber so einfach ist es eben doch nicht mit den Klischees. Quesne, der wir so oft gern humorvoll Theaterelemente mit bildender Kunst zusammenbringt, erzählt von einer Auflehnung: Plötzlich verlassen die landlustigen Leute die einfache Hütte und leistet harten Widerstand. (Kammerspiele, ab 29.3.)
Gut, vielleicht ist die Formel No Dance, no Paradise, auf die Pere Faura sein Lebensglück bringt, dann doch etwas platt. Aber ansehen kann man sich seine Collage, die sich aus vier sehr unterschiedlichen Einlagen von Gene Kellys „Singing in the Rain“ bis hin zum Discotanz von John Travolta aus „Saturday Night Fever“ und zeitgenössischer Avantgarde – mit einem Schlenker zum klassischen Ballett samt sterbendem Schwan – zusammensetzt, dann doch sehr gut. (Hoch X, 3.4.)
Optisches Überwältigungstheater bietet dann natürlich auch die Moving Shadows-Darbietung mit der Schattentheatertruppe Mobilés, die sich durch gnadenlose Bühnen-Präzision und viele tolle Einfälle auszeichnet. Körper verformen sich und verschmelzen zu Tieren, Pflanzen und fantastischen Hell- Dunkel-Effekten. Und schnell wieder zurück. Muss man mal gesehen haben. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 23.3.)
Ohne Effekthascherei kommt dagegen der durchaus grandiose Schauspielstar Miroslav Nemec aus, der weit mehr kann, als silberhaarig durch „Tatort“- Sets zu schlurfen. Sein Alexis Sorbas - Soloabend ist viel viel mehr als eine Lesung, sondern ein durchkomponiertes Stück für einen Star – begleitet von einem mitreißenden Musikensemble. „Jeder Mensch“, sagte Sorbas, „hat seine Marotten. Die größte aber ist es, keine zu haben.“ Den Luxus dieser Selbstausbeutung gönnt sich Nemec. (Prinzregententheater, 23.3.)
Als „sichtbares Hörspiel“ möchte die Doku-Inszenierung Dreieinhalb Wochen im Münchner Frühling verstanden werden. Renate Groß und Richard „Dr. Döblinger“ Oehmann führen als Sprecher durch einen mit Live- Musik sowie Bild- und Videoprojektionen bewegten Zeitreisespaziergang durch die Münchner Räterepublik, die am 7. April 1919 ausgerufen wurde. (Fraunhofer, 22./23.3.)
Und frech verfremdet empfiehlt sich zu guter Letzt natürlich auch noch der nimmermüde WG-Komödienklassiker Ein ungleiches Paar von Neil Simon. Anschi Prott hat die Handlung ins Mädchen-Milieu verlagert. Und wie jeder weiß: Niemand springt grausamer miteinander um als vermeintlich gute Freundinnen. (Pasinger Fabrik, ab 30.3.)
Autor: Rupert Sommer