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Das Ensemble der/gelbe/klang zur „Nosferatu“-Neukomposition: „Knoblauch hilft nur in Maßen“

Mathias Lachenmayr, Markus Elsner, Armando Merino und Oliver Klenk
Haben keine Angst vor Vampiren: Mathias Lachenmayr, Markus Elsner, Armando Merino und Oliver Klenk © der/gelbe/klang

Das Ensemble der/gelbe/klang hat zum berühmtesten Vampirfilm aller Zeiten eine neue Musik eingespielt. „Nosferatu“ verbreitet am 4. März Schrecken in der Muffathalle.

Programm und Profil des Ensembles der/gelbe/klang werden im Kollektiv entwickelt. Die Organisation des Ensembles liegt in der Hand eines Teams, in dem jeder gleichermaßen Verantwortung übernimmt und das sich immer wieder anders zusammensetzen kann. Derzeit besteht das Leitungsteam aus vier Personen: Markus Elsner, künstlerischer Manager, Oliver Klenk, Klarinettist, Mathias Lachenmayr, Schlagzeuger, und Armando Merino, Dirigent. Sie ließen in ihren Antworten hinter die Kulissen des „Nosferatu“-Projekts blicken.

Herr Elsner, am 4. März jährt sich im runden 100-Jahre-Jubiläum die Premiere des Stummfilmklassikers „Nosferatu“, die kräftig dazu beitrug, dem Kino der Weimarer Zeit zur Weltgeltung zu verhelfen. Wie gut können Sie sich noch an Ihre persönliche Erstbegegnung mit dem Film erinnern und was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Markus Elsner: Das habe ich noch sehr präsent, tatsächlich war es nämlich auch mein erster Kontakt mit dem Format des Stummfilmkonzerts. Freunde von mir waren an einer Aufführung im Gasteig beteiligt, noch während unseres Studiums, und das Ganze hat mich enorm beeindruckt. Ich habe dann Bram Stokers „Dracula“ gelesen und immer gehofft, den Stoff irgendwie auf die Bühne zu bringen. 25 Jahre später darf ich jetzt Teil einer so fantastischen Produktion sein!

Armando Merino: 2003 hat der spanische Komponist José María Sánchez-Verdú eine neue Vertonung des Filmes für großes Sinfonieorchester uraufgeführt. Zwei Lehrer von mir im Konservatorium haben uns den Film gezeigt und den Komponisten eingeladen, mit uns darüber zu sprechen. Eine unglaublich eindrucksvolle Begegnung, sowohl mit ihm als auch mit dem Film!

Natürlich hat sich in den Sehgewohnheiten viel geändert. Aber was macht aus Ihrer Sicht „Nosferatu“ trotzdem immer noch zu so einem spannenden, durchaus beklemmenden Film?
Armando Merino: Man bewundert immer noch die technische Qualität des Filmes und mit welcher Fantasie alle Tricks gemacht wurden. Wie zum Beispiel in der Geisterwald-Szene: Wenn der Regisseur Negativbilder verwendet und damit die Tonwerte umkehrt, entsteht der Eindruck, die Kutsche fahre durch einen weißen Geisterwald. Das zusammen mit der hohen, fast übertriebenen Art der Mimik der Schauspieler, die uns heute fast naiv erscheint, hält den Film ganz aktuell am Leben.

Über dem Film liegt eine Angespanntheit, etwas Unheilvolles, große Unruhe – vieles, was immer wieder auch an heute denken lässt. Wie sinnvoll finden Sie es, wenn Paralellen zwischen den 20er Jahren und der überspannten Gegenwart gezogen werden?
Mathias Lachenmayr: Parallelen zu ziehen ist natürlich immer interessant, und die 20er-Jahre waren in der Tat eine sehr ereignisreiche Zeit. Wenn ich ein antikes Theaterstück lese, dann kann ich auch Parallelen zu heute finden. Warum handelt diese Figur so? Jene wieder so? Trotz des zeitlichen Abstandes sprechen uns viele Stoffe und Handlungen immer noch an. Gerade das macht es für das Publikum ja so spannend. Jede Person nimmt etwas anderes wahr, nimmt etwas anderes mit nach Hause und interpretiert für sich selbst.

Wie kamen Sie eigentlich an das neue „Nosferatu“-Film-Musik-Projekt und wie entstand die Idee dahinter?
Markus Elsner: ARTE produziert regelmäßig neue, zeitgenössische Musiken zu historischen Stummfilmen. Mit Thomas Schmölz, dem Produzenten der Reihe, war ich schon länger im Gespräch, und wir haben Varianten der Beteiligung unseres Ensembles der/gelbe/klang durchgespielt. Dass es nun gerade bei der Jubiläumsproduktion „100 Jahre Nosferatu“ geklappt hat, ist ein außerordentlicher Glücksfall. Und gerade die Zusammenarbeit mit Thomas erweist sich als sehr fruchtbar: Er ist eine echte Koryphäe, wenn es um Stummfilme geht und kann stundenlang darüber referieren. Er hat uns zum Beispiel auf die Kurzfilme von Charly Bowers aufmerksam gemacht, die zu Unrecht fast vergessen wurden, oder auf die Puppen-Animationsfilme von Władysław Starewicz. Wir konzipieren gemeinsam mit ihm jetzt eine Reihe von Stummfilmkonzerten für München, wo diese unter anderem gezeigt werden sollen.

Die Original-Filmmusik gilt als verschollen. Wo fängt man überhaupt an, wenn man zu so einem ikonischen Kunstwerk noch einmal etwas Neues hinzufügen möchte?
Armando Merino: Der Komponist muss sich zunächst mit dem Film bis zum letzten Detail vertraut machen. Olav Lervik kennt mittlerweile praktisch jeden einzelnen Frame, so zumindest mein Eindruck! Die Herausforderung ist dann, eine Musiksprache zu finden, die in unseren Augen zeitgemäß ist – also die unglaublich vielfältige Tonsprache der Neuen Musik verwendet – und dabei mit der bereits 100 Jahre alten Bildsprache in einen lebendigen Dialog tritt.

In Kennerkreisen ist die Rede davon, dass sich Motiv-Ideen des Original-Komponisten rekonstruieren lassen. Inwieweit konnten die bei der Neubearbeitung ein Ausgangspunkt sein – oder „störten“ sie sogar?
Markus Elsner: Die Originalmusik von Hans Erdmann ist, wie Sie schon sagten, verschollen. Es existiert aber eine „Romantisch-Phantastische Suite“ für Orchester, die Motive daraus verwendet. Der Auftrag an den Komponisten Olav Lervik war, dieses Material mit einzubeziehen, und sicher war es eine Herausforderung, mit dieser Vorgabe umzugehen. Es gibt bereits verschiedene „Rekonstruktionen der Originalmusik“, die versuchen, die Suite auf den Film zu adaptieren. Aber das ist reine Spekulation. Gerade als versuchte man die Oper Carmen anhand der Carmen-Fantasie von Sarasate zu rekonstruieren. Man kann es also entweder als Hindernis begreifen, als Einengung, oder aber man lässt die tolle Musik von Erdmann erst mal auf sich wirken, unabhängig vom Film, auch um das Umfeld der Berliner Szene von damals zu erspüren. So hat Olav Lervik es gemacht, er hat einige wenige Motive aus der „Phantastischen Suite“ extrahiert, sie sich zu eigen gemacht, um auf dieser Basis eine ganz und gar originale – und originelle! – Musik zu schaffen.

Armando Merino: Mein Eindruck ist, dass es dem Komponisten fantastisch gelungen ist, noch den Geschmack einer post-romantischen Tradition hörbar zu lassen und gleichzeitig absolut zeitgemäß zu bleiben. Besonders beeindruckend ist, wie die Rollen musikalisch dargestellt werden, Nosferatu erscheint nie mit einer bösartigen Musik, sondern bei ihm hört man immer Sehnsucht, Einsamkeit.

Sie sind in der Musikwelt nicht nur selbst als Künstler, sondern als Möglichmacher und Vernetzungshelfer bekannt. Wie bringt man die für so ein spannendes Projekt Verantwortlichen an einen Tisch – wie schwer war es für Sie, bis der Funke zündete?
Markus Elsner: Bei diesem Projekt gibt es in der Tat viele Beteiligte: Ensemble, Dirigent, Komponist, die ARTE-Redaktion, die Produktionsfirma und natürlich unseren Koproduzenten, die Tiroler Festspiele Erl. In deren Räumlichkeiten haben wir die Musik für die Fernsehfassung aufgezeichnet, was ein sehr intensives Erlebnis war. Fünf Tage war die ganze Mannschaft in Klausur, untergebracht in der Künstlerherberge der Festspiele – eine grandiose Kulisse am Fuß des Wilden Kaisers. Im Sommer begleiten wir den Film bei den Festspielen dann live. Wann der Funke gezündet hat? Eigentlich sofort als die Idee im Raum stand. Um ehrlich zu sein habe ich selten erlebt, dass ein Projekt so schnell eine Eigendynamik entwickelt. Am Ende war sogar ein Kamerateam in Erl, um uns bei den Proben zu filmen; die Bilder fließen in die neue ARTE-Dokumentation „Nosferatu – ein Film wie ein Vampir“ ein, die wir in der Muffathalle als Preview um 18 Uhr zeigen werden. Alle Ticketinhaber sind herzlich eingeladen, sich das mit uns anzusehen! Regisseur, Autor und Komponist werden auch da sein.

Wie groß war die Gefahr, dass das Projekt etwas rein Museales werden könnte?
Oliver Klenk: Klar, wenn man bedenkt, dass der Film am 4. März 100 Jahre alt wird, kann man schnell auf den Gedanken des Alten, Verstaubten und Musealen kommen. Sobald aber die neu komponierte Musik dazukommt, landet man im Jetzt. Die Bandbreite der Musik geht von monumentalem Hollywood-Sound bis zu zerbrechlichen Mark-Andre-Klängen. Erstaunlich, welche unglaubliche Bandbreite an Klangfarben man aus einem Ensemble herauskitzeln kann.

Wie viel Moderne verträgt ein Film wie „Nosferatu“?
Mathias Lachenmayr: Natürlich hat man bei Stummfilm schon eine gewisse Vorstellung wie das wohl geklungen haben könnte. Wenn ich aber mal alle Konjunktive bei Seite lasse und nur den Film als Ausgangspunkt nehme, dann finde ich es unglaublich interessant, was man alles daraus machen kann. Unfassbar viele Möglichkeiten ergeben sich auf einmal. Was natürlich immer wichtig ist: dass man sich im Vorfeld von allzu festgefahrenen Wegen befreit und sich überraschen lässt. Es wird ja ständig ein alter Stoff aufgegriffen und neu interpretiert. Für mich persönlich ist die Herangehensweise: Überrasch mich! Zeig mir was Neues!

Sie haben eng mit dem neuen Komponisten zusammengewirkt und mit Ihrem Ensemble der/gelbe/klang den Score dann auch eingespielt. Wie muss man sich die Zusammenarbeit konkret vorstellen?
Armando Merino: Der Komponist liefert eine Partitur, wo auch der zeitliche Verlauf des Filmes exakt angegeben wird. Sie können sich das so vorstellen, dass der Film wie ein eigenes Instrument notiert wird, in einem eigenen Notensystem. Da steht dann zum Beispiel, dass sich auf den dritten Schlag eines Taktes eine Tür schließt oder ein bestimmter Text erscheint. Das dient zur Synchronisierung zwischen Bild und Musik und zur Orientierung für mich als Dirigent. Die Kunst ist, sich dabei nicht eingeengt zu fühlen, obwohl man es de facto ist. Meine Aufgabe ist ja, mit dem Film zu „sprechen“ und eine musikalische, keine mechanische Gestaltung der Musik zu führen.

Worauf sprachen Ihre Mit-Musiker am stärksten an?
Oliver Klenk: Auf den ständigen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Film und Musik. Meistens spielen die Musiker bei Stummfilmbegleitung mit dem Rücken zur Leinwand und tauchen so gar nicht wirklich ins Geschehen ein, nur der Dirigent sieht den Film. Aber hier wurde extra für uns ein zusätzlicher Monitor aufgestellt. Ein kluger Schritt! Man saugt die Atmosphäre auf, und viele Momente im Film sind ja exakt mit musikalischen Einfällen synchron. Da sind einige Schmunzel-Momente für Feinschmecker dabei. Dass dieses zeitliche Korsett nicht zum Zwang wurde, ist auch der großen Flexibilität des Ensembles zu verdanken.

Sie haben die Musik ja nicht nur aufgenommen, sie soll auch live eingespielt werden. Wie knifflig ist es eigentlich, als Musiker parallel zu einer Film-Vorführung zu arbeiten, wo liegen die besonderen Schwierigkeiten?
Armando Merino: Bei einer Live-Aufführung verschärft sich das vorhin angesprochene Problem noch: einhundert Prozent mit dem Film synchron zu bleiben, ohne an Musikalität zu verlieren. „Nosferatu“ dauert 94 Minuten! Man muss den Film extrem gut kennen, um sich dabei wohlzufühlen.

In Stummfilmzeiten wurde ja fast ständig live Musik zu den Filmen angeboten. Ganz schöne Knochenarbeit. Wie stark ist Ihr Mitgefühl mit den Akkord-Arbeitern von damals?
Mathias Lachenmayr: (lacht) Naja, es gibt Schlimmeres als sein Brot mit Musik zu verdienen. Viel spannender finde ich eigentlich den Aspekt, dass man heute dieses Konzert spielt, morgen ein anderes Programm und parallel schon wieder in den Vorbereitungen zu einem neuen Stück drinsteckt. Gerade die Vielseitigkeit des ständigen Spielens ist ja das, was unseren Beruf so einzigartig und unterhaltsam macht. Gerade das macht unser Ensemble ja aus, dass wir uns jedes Mal aufs Neue auf ein Projekt einlassen, auf eine neue Ästhetik, auf eine neue gemeinsame Reise.

Immer wieder ist die Rede, dass schon über den ursprünglichen „Nosferatu“-Arbeiten eine Art Fluch lag. Wie groß war und ist Ihre eigene Angst vor Vampiren?
Oliver Klenk: Angeblich hat sich Friedrich Wilhelm Murnau damals in recht zwielichtigen okkulten Kreisen bewegt.

Armando Merino: Ja, in seinen Filmen finden sich auch okkulte Symbole, nicht nur in Nosferatu, auch zum Beispiel in seiner Faust-Verfilmung von 1926.

Mathias Lachenmayr: Vor ein paar Jahren sind Unbekannte in Murnaus Grabstätte eingedrungen und haben den Schädel gestohlen, habe ich gelesen. Es könnte sein, dass die ihn ernsthaft für einen Vampir gehalten haben. Den Kopf abzutrennen soll ja ein probates Mittel sein, um Vampire zu töten.

Ein Konzertbesuch in der Muffathalle ist sicher ein Tag, auf denen sich ein lange darbendes Klassik- und Filmfan-Publikum lange gefreut hat. Trotzdem: Wie viele Knoblauchzehen zum Einstecken empfehlen Sie?
Markus Elsner: Nun, es besteht FFP2-Maskenpflicht – da ist nicht gesichert, dass Knoblauch überhaupt noch in dem Maße hilft! Im Film ist es ja die Liebe einer Frau, durch die der Vampir den Sonnenaufgang verpasst. Eine Szene, die mir mit der Musik von Olav Lervik durch Mark und Bein geht. Ich denke, das wird ein wirklich eindringliches Kinoerlebnis für die Menschen, und das auf den Tag 100 Jahre nach der Premiere des Films – was könnte sich Friedrich Wilhelm Murnau mehr wünschen?

Interview: Rupert Sommer

Karten zum „Nosferatu“-Festprogramm am 4. März in der Muffathalle gibt’s hier: www.muffatwerk.de