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Pianist Szymon Nehring: “Gefühl von Verbundenheit mit den Menschen”

Der Pianist Szymon Nehring
Sehr stolz auf die vielen Polen, die Ukrainern helfen: Szymon Nehring © Bartek Barczyk

Ausnahmepianist Szymon Nehring tritt am 1. Juni im Konzert zur Ausstellung “Stille Rebellen” auf. Wie Kultur für ihn Europas Zusammenhalt sichert.

Herr Nehring, Klassikfans dürften sich sehr auf Ihren Auftritt als Pianist in der großen “Stabat Mater”-Aufführung in wenigen Tagen freuen. Das Konzert sollte die Ohren der Stadt für ein paar Werke öffnen, die es gar nicht so oft auf unsere Programme schaffen. Wie sehr fühlen Sie sich dabei wie ein Botschafter polnischer Musik?
Ich fühle mich sehr geehrt, im Herkulessaal zu spielen – vor allem weil ich Chopin spielen darf, dem ich mich sehr nahe fühle. Ich weiß, dass es ein Stück ist, dass man rund um die Welt gut kennt. Aber ich freue mich eben auch, dass Karol Szymankowskis “Stabat Mater” aufgeführt wird, weil ich denke, dass er einer der größten Komponisten Polens war. Seine Schöpfungen werden wohl noch immer ein wenig unterschätzt. Es ist für mich immer ein Privileg, im Ausland polnische Musik zu spielen. Allerdings glaube ich, dass Chopins oder Szymankowskis Musik weitaus mehr ist als nur polnisch. Ich versuche, in anderen Kategorien zu denken. Deswegen fühle ich mich nicht wie ein Botschafter einer bestimmten Musikart. Es geht mir eher darum, so gut zu spielen, wie es mir im Moment möglich ist.

Was macht die Auswahl der Werke und Komponisten bei Ihrem Auftritt für Sie besonders?
Ich denke, es gibt viele Verbindungen zwischen bestimmten Stücken und Epochen, die sehr spannend sein können, wenn ein Konzertprogramm klug zusammengestellt wird. Ich bin mir sicher, bei diesem Konzert wird es viele Querbeziehungen geben – etwa beim Umgang mit der polnischen Folklore oder bei der Frage, wie es über Inspirationslinien von Chopin zu Szymanowski oder von Szymanowski zu Wajnberg kam. Dieser Abend zeigt eine große Variationsbreite von Stilen in der polnischen Musik.

Das anstehende Konzert rundet die Kunsthalle-Ausstellung von polnischen Malern der symbolistischen Epoche des frühen 20. Jahrhunderts ab. Wie gut passen die Musik und diese Kunstwerke zusammen und was ist Ihrer Meinung nach die auffälligste Querbeziehung zwischen Kunst und klassischer Musik?
Ich sehe enge Verbindungslinien zwischen der Musik von Szymanowski und den Modernisten in der Kunst. Meiner Ansicht nach steht Szymanowsi, was seine Musik angeht, irgendwo zwischen dem Expressionismus und dem Impressionismus. Die Art, wie er Musik komponiert, erinnert mich stark an die Farbpalette aus Bildern von Mehoffer, Wyspiański oder Boznańska. Auf der anderen Seite beeinflusst mich die Tatsache, dass ich diese Bilder kenne, wie ich bestimmte Stücke von Szymanowski auffasse.

Die Freude am Kunstgenuss und ein Bewusstsein für das kulturelle Erbe steht im Zentrum dessen, was Europa zusammenhält. Wie viel stärker erscheint es für Sie aktuell wichtig, die Bedeutung dieser Form von Zusammenhalt zu betonen?
Für mich ist Kunst die natürlichste und sehr oft auch die einzige Art, ein Gefühl von Verbundenheit mit anderen Leuten zu finden und dabei mit mir selbst zur Ruhe zu kommen. Ich denke, in diesen Zeiten ist es extrem wichtig, dass sich die Leute von Kunst leiten lassen. Und Live-Konzerte sind vermutlich die beste Art, so etwas wie Mitgefühl und Gemeinschaftsgeist zwischen den Leuten zu entwickeln. Das ist besonders wichtig, vor allem wenn ich sehe, wie die Aggressivität und der Hass zwischen den Menschen in den letzten Jahren zugenommen haben. Ich glaube nicht, dass Kunst die Welt verändern kann. Aber ich bin mir sicher, dass sie für die einzelnen Menschen einen ganz großen Unterschied machen kann.

Polen leisten einen enormen Beitrag, Flüchtende aus der Ukraine zu helfen und sie willkommen zu heißen. Woher glauben Sie, nehmen Ihre Mitbürger aktuell diese Stärke und inwiefern bringt es Nachbarn derzeit stärker zusammen als früher?
Ich bin sehr stolz die vielen Polen, die den Ukrainern helfen. Es gibt einige meiner Freunde, dich ich ganz besonders bewundere, weil sie fast ununterbrochen seit dem Ausbruch des Krieges in die gefährlichsten Gegenden der westlichen Ukraine fahren, um dorthin Lebensmittel und dringend benötigte medizinische Produkte zu bringen. Eigentlich ist es ja eine ganz normale Reaktion auf das was, aktuell in der Ukraine passiert. Aber dann bin ich selbst immer wieder erstaunt, dass es so etwas wie normale Reaktionen in diesen Tagen überhaupt noch gibt.

Interview: Rupert Sommer

Szymon Nehring war im Jahr 2017 der Gewinner des 15. Internationalen Klavierwettbewerbs „Arthur Rubinstein“. Er erspielte sich nicht nur den ersten Preis, sondern auch den Publikumspreis und mehrere Sonderpreise, unter anderem eine Auszeichnung für die beste Interpretation eines Werkes von Frédéric Chopin. Als Solist trat er mit zahlreichen namhaften Orchestern auf, darunter den Warschauer Philharmonikern, dem Sinfonieorchester Israels, den Bamberger Symphonikern und dem Münchener Kammerorchester. Alle Infos zum Konzert am 1. Juni im Herkulessaal gibt’s hier: www.arte-musica-poetica.de