A Lover’s Discourse: Fragments – heißt Roland Barthes‘ berühmter Essay auf Englisch: „Die Sprache ist eine Haut: ich reibe meine Sprache an einer anderen. Meine Sprache zittert vor Begierde“. Eine junge Chinesin kommt 2015 nach London, um Visuelle Anthropologie zu studieren. „Brexit“ – das Wort findet sich in keinem Wörterbuch, und überall und immer ist sie erstmal „lost in translation“. Die Ärztin fragt nach ihrer Familiengeschichte. Und das blond und blauäugige Objekt ihrer Begierde, ein australischer Landschaftsarchitekt mit britisch-deutschen Wurzeln, ist übers Wochenende in „Hang Over“, oh, das ist Hannuowei, die Stadt, aus der die Scorpions kommen. Wie die gegenseitige Fremdheit überwinden? Eine Sprache für die Liebe finden? Immer schwierig. Hier aber ganz besonders. Erst geht’s ums Kennenlernen. Dann ums Zusammenziehen (auf einem Kanalboot in der Themse), dann um den Beziehungsalltag, schließlich ums Heiraten. Xiaolu Guo, die sich, anders als ihre Protagonistin, schon lange bestens auskennt mit West und Ost, erzählt mit viel Ironie und sehr unterhaltsam von all‘ den Wirrungen einer ungewöhnlichen Liebe: „Liú shuĭ bù fŭ“ – „fließendes Wasser fault nicht.“
Hermann Barth
Es ist die Faszination für das drastische Detail, die den langjährigen „Spiegel“-Reporter, der aus Libyen, Afghanistan und dem Irak berichtet hatte, mal wieder antreibt: Takis Würger taucht für seinen neuen Roman, für den er angeblich selbst mehrere Orte in Hinterwaldhausen im Hudson Valley recherchiert hat, ein in eine Welt, wie man sie aus grotesk wirkenden US-Reiche-Leute-Familiensagas kennt. Oder zuletzt eben zwischen den Schlagzeilen des bedrückenden Trump-Nachrichtendauerfeuers herauslas. Auf dem fürstlichen Anwesen der Rosendales, sagenhaft vermögend geworden mit profanem Zement und einst offenbar einflussreicher als die legendären Rockefellers, trägt nicht nur das Familienoberhaupt gut sichtbar eine Knarre. Der ganze dekadente Clan zählt zu den wichtigsten Unterstützern der Waffen-Lobby. Und doch ist es eben auch genau der Ort, wo Schüsse fallen und Unglück geschieht. Molly Carver kehrt an den Ort zurück, wo sie einst ganz anders groß wurde – ohne Goldlöffel im Mund, im örtlichen Trailer Park. Es ist eine Rückkehr, die schmerzt. Nur 35 Tage bleiben der jungen Frau, um endlich herauszufinden, was sich einst wirklich im Palast der Rosendales abspielte. Mollys Vater hatte gestanden, den 16-jährigen Casper Rosendale erschossen zu haben. Sein Hinrichtungstermin rückt immer näher. Ein Cold-Case-Krimi mit Hirn und Herz.
Rupert Sommer
„Das größte Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit ist vorbei (…) und es wird bestimmt einen Haufen Flüchtlinge geben“, sagt Danny, der Wundertütenmanager in Withnail and I, Bruce Robinsons filmischem Winnetou-Gruß an die 60s. Tiny Stricker (Trip Generation) gibt den Sixties-Refugees literarisches Asyl, vielleicht, weil er selbst einer von ihnen ist. Hinter der Coverfassade eines Post-Baedekers pop-upt sich eine soundige Romanreise ins jugendliche Herz der Beatles-Dekade. Die außenseiterliche Ich-Figur aus einem bayerischen Kaff trifft im Skilager LondonLady Catherine. Startgong für eine hürdenreiche Lovebuddystory. Shiny Tiny entgeht der Versuchung, eimerweise Patina zu verschütten und im Markier-Rhythmus eines Stray Dogs Klischee-Graffiti an die Memomauern zu sprühen. Sein Ding ist das Soulfensterln, das Fremdgefühlsspechting, das sherlockholmesige Auge für unausgesprochene Erwartungen, Situationsinterpretations-Gaps und die Kunst des aneinander vorbei Liebens. So entstehen urlaunige Situations, z. B. als Ichs Daddy sich von Catherines inflationär gebrauchtem „darling“ geschmeichelt fühlt und sich in der Wohnung herumdrückt, „um möglichst viele dieser ‘darlings’ einzufangen.“ Yeah! Yeah! Yeah! Tiny Stricker liest am Mi, 25.1., 18 Uhr in der Bayerischen Volksstiftung, Georgenstraße 23 (Literatur Radio Höhrbahn).
Jonny Rieder