Vom schönen Schlaf: Skills & Dreams

Theater und Kabarett im April: Forschungsreisen in Grauzonen

Zwischen Wahn und Wachen ist immer noch Platz für Schönes – in diesen neuen Bühnenstücken

Eigentlich ist Politik Hochleistungssport. Mehr Marathon, weniger Sprint. Und dann fällt Lüdtje Wesel, ein ehrgeiziger Lokalpolitiker, der im Kapitalistenwind von Sylt Karriere gemacht hat, im Wahlkampfendspurt einfach um. Nun ist das Team gefragt, das den ramponierten Strahlemann rasch wieder strahlen lassen muss. Doping ist eine Turbo-Farce, die da anfängt, wo eigentlich der Spaß aufhört. Schon in der hochtourigen Erbschaftskomödie „Jeeps“ hat die Münchner Autorin Nora Abedl-Maksoud Ähnliches bewiesen. (Kammerspiele, ab 5.4.)

Auch Niko Formanek ist ein Ausdauersportler. Mit Wiener Schmäh erzählt er im Indiskretionssolo „Der Eheflüsterer“ aus dem Paaralltag und berichtet live aus dem Schlafzimmer. (Schlachthof, 5.4.)

Eigentlich hat sich ja auch das Ehepaar Anna und Robert, beide hoch betagt, aber geistig beweglich, in ihrer Villa gemütlich eingerichtet. Seit Jahrzehnten kultivieren sie eine seltsam schwebende Realität. Schattens Traum eben. Doch Obacht: Im Jubiläumsstück mit einem glänzend aufgelegten, kaum wiederzuerkennenden Theaterhausherr Heiko Dietz darf man keiner Annahme trauen. Nichts ist, wie es scheint! (Theater Und so fort, ab 5.4., noch bis 21.4.)

Vielleicht muss man dem Ernst des Lebens mit Heiterkeit begegnen, wie das Stephen Sondheim mit seinen Musicals vormachte: Das Lächeln einer Sommernacht erzählt von schwedischer Freiluftmagie, in der tatsächlich drei Mal gelächelt wird – einmal für die Jungen, die noch gar nichts wissen. Ein zweites Mal für die Narren, die zu wenig wissen. Und dann noch zum Dritten für die Alten, die zu viel wissen. (Gärtnerplatztheater, ab 6.4.)

Euphorisch brechen die Einsatz-Heroen aus der Superhelden-Zentrale stets aufs Neue auf – und kehren ernüchtert zurück: Superheroes letzte Schlacht erzählt von der Suche nach der letzten Superkraft, die die Welt noch retten kann. Ohne Worte, aber mit Comic-Humor. (Schauburg, ab 7.4.)

Mit Harold und Maude haben sich zwei gefunden: Auf der einen Seite der todessüchtige 18-Jährige aus gutem Hause, auf der anderen Seite die lebensfrohe, impulsive 79-Jährige, die mit ihrem gestohlenen Auto durch die Gegend brettert. (Zentraltheater, ab 9.4.)

Lachtherapie mit der positiven Nebenwirkung von Nachdenklichkeit löst der Auftritt des kleinen Manns mit den großen Fragen aus: Alfons will’s wieder wissen: „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und gibt es dort genug Parkplätze?“ (Prinzregentheater, 9.4.)

Matthias Egersdörfer wirkt dagegen oft ein wenig grantig. Immerhin befürchtete er am Vorabend jäh, dass ihm sein Bier nicht mehr schmecken könnte. Vorsichtshalber hat er einen halben Kasten leer getrunken, um die Angelegenheit gründlich zu klären. (Lustspielhaus, 9.4.)

Hast du Töne? Die Königin der Nacht schickt Prinz Tamino los, um ihre Tochter Pamina vor Sarastro zu bewahren. So weit, so bekannt. Doch dann wird’s angeschrägt: Der zeitgenössische Komponist Franz Nimsgen hat sich von den Ur-Klängen gelöst und für die Zauberflöte – Das Musical Songs von Rock über Pop bis Latin entworfen. Kann man machen. (Deutsches Theater, ab 11.4.)

Hört überhaupt noch jemand zu in diesen überhitzten Tagen? Das möchte Anna Funk herausfinden. Sie setzt in ihrem Kneipendrama Der Kreisel fünf Menschen in Gang, die mit ihren Geschichten einfach mal aufeinander zu wirbeln. (Fraunhofer, 11.4.)

Gedankenturnen kann man mit Alfred Dorfer. Er stellt sein mittlerweile achtes Soloprogram vor. In dem erfährt man, wie man Pfeffer ins Identitätenspiel bringt, wenn man nur an den Wikipedia-Einträgen herumtrickst. Oder man hört von Schutzengeln, die kleine Biere servieren. Praktisch! (Kammerspiele, 11.4.)

Gelegentlich (oder doch regelmäßig?) viel zu viele Biere gekippt hatte der walisische Dichter Dylan Thomas. Die Falkenberg-Schauspielschüler bringen sein Meisterwerk Unter dem Milchwald als Live-Hörspiel auf die Bühne. Man lauscht dem Stimmenfluss – mit Liebesgeflüster, Lallen, Zank, Schmachten und Tiergeräuschen. (Kammerspiele, 12.4.)

Wie man geschmeidig alt wird und warum trotz Schnittschutzhose das Leben gefährlich bleibt, erfährt man im „Geschneitzt und Kampelt“-Programm von Sara Brandhuber. Die niederbayerische Oberbayerin hat sich ihren „Dialektpreis des Freistaats“ redlich verdient. (Schlachthof, 12.4.)

Ebenfalls sprachmächtig, frech und funkensprühend ist natürlich alles, was man von Claudia Pichler hört und bei uns in ihren Kolumnen liest. Im neuen Bühnen-Solo widmet sie sich ihrer liebsten Tageszeit – dem „Feierabend“. (Lustspielhaus, 13.4.)

Die aus Israel stammende, in München lebende Regisseurin Sapir Heller verlagert die Rachehandlung aus dem Friedrich-Dürrenmatt-Stück Der Besuch der alten Dame in die Enkelgeneration. So kreist die Arbeit um die Vererbung von Traumata oder kollektiver Schuld. (Volkstheater, ab 13.4.)

Sie ist so frei: Christine Eixenberger sucht weiter diesen einen mystischen, bayerischsten aller Orte – das „Dahoam“. Im Solo „Einbildungsfreiheit“ lässt sie sich wieder mal nicht beirren und beherzigt zwei Lebensweisheiten, die ihr einst der Opa („Sie muas gar nix, außer sterbn“) und Voltaire („Wille ist Wollen und Freiheit ist Können“) mit auf den Weg gegeben haben. Gut so. (Schlachthof, 14.4.)

Die Uefa-Europameisterschaft kommt über die Stadt. Und im Rahmenprogramm wird’s wirklich sportlich: 18 Improvisationstheater-Teams aus Europa kämpfen um den Einzug ins Finale. Los geht’s mit dem Eröffnungsmatch „England vs. Germany“. Lasst die Spiele – die ImproEM 2024 – beginnen. (Muffatwerk, 18.4.)

Kafka-Jahr: Für In the Penal Colony hatte Philip Glass die Erzählung „In der Strafkolonie“ mit der Foltermaschine kongenial in Perpetuum-Mobile-Strukturen der Minimal Music verwandelt. Die umtriebige Truppe Opera Incognita, die der Musik in München immer neue tolle Orte erschließt, verwandelt den Lichthof in einen Richthof. ( Justizpalast, ab 19.4.)

Kettenreaktionen in Gang setzt auch das Berliner Theaterkollektiv Traummaschine, das mit der zweiteiligen Produktion Dreams of a Child, Song of a Theatre gastiert. Darin wird die Übergangszone erforscht – inspiriert von Träumen und Texten Münchner Schülerinnen und Schüler. (Pathos Theater, 19.4.)

Ein Sog geht auch vom Fabuliermeister Herman Melville aus, mit dem man über die Weltmeere irren kann – nicht nur auf der Jagd nach dem weißen Wal. Moby Dick, das vielfach verschlüsselte Drama eines Fanatikers, zerrt Regisseur Stefan Pucher auf die Bühne. „Ich habe ein böses Buch geschrieben“, gestand Melville einst seinem Idol Nathaniel Hawthorne in einem Brief. Stimmt wohl. (Residenztheater, ab 19.4.)

So richtig Gaudinockerl war er nie. Doch zuletzt ist vieles gestorben in Nico Semsrott: Idealismus, Hoffnung, Illusionen. Kein Wunder, hat er sich doch für fünf Jahre ins EU-Parlament wählen lassen. Nun berichtet er davon in Peinlich-Politischen Power Point Präsentationen (PPPPP). Arbeitstitel: „Brüssel sehen und sterben“. (Circus Krone, 20.4.)

Monumental inszeniert und kostbar: Jochen Malmsheimer, Martina Schwarzmann, Mathias Tretter und Sven Kemmler schlüpfen in die Strumpfhosen und schlagen sich in die Büsche. Genauer gesagt: in den Wald. „Erwin von Locksley & das Wirtshaus im Sherwood“ ist ein wüstes Treiben, das nur ein Ziel hat: den Unfug endlich nicht mehr zu kurz kommen zu lassen. Definitely not to be missed, wie der RobinHood-Kenner sagen würde! (Lustspielhaus, 22. bis 24.4.)

Kennt man doch, oder? Man wacht nachts auf, gefangen in finsteren Träumen. Bei Götz Otto („James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie“, „Richard III“) und Mira Huber ist es der Zweifel, der verstörend wirkt. Man fühlt sich schuldig, ohne den genauen Grund für die Schuld zu kennen. Ausgangspunkt für Kafka, Otto, Huber ist das Romanfragment „Der Process“ der den Abend rollen lässt. Auf der konzentriert kleinen Bühne ist selbstverständlich auch Platz für Absurdes und Slapstick. (Hofspielhaus, ab 23.4.)

Seine Neurosen trägt natürlich auch er gerne ins Offene – mehr oder weniger ehrlich: „Das Essen schmeckt mir nimmer, der Sex ist fad, die Hosen sind zu eng“, schreibt Josef Hader. „Was ist das bitte? Des muss alles dieser Klimawandel sein, oder?“ Wird vermutlich schon was dran sein. (Circus Krone, 24.4.)

Vom Gefühl der Leere, von den Defiziten, die zum Mangeln, dann sogar zum Raub führen, erzählt der neue Opern-Doppelabend Lucrezia/Der Mond, der zwei Werke aus den 30er Jahren, von Ottorino Respighi und von Carl Orff, zusammenbringt. Regie führt Tamara Trunova, eine junge Regisseurin aus Kyjiw, deren Arbeiten sich zuletzt intensiv mit den Dynamiken des Kriegs und den Wunden auseinandersetzten. (Nationaltheater, ab 24.4.)

Die Schottin A.L. Kennedy ist eine Beobachterin des Abdriftens in den Wahn. Meine Geschichte ist ein Ritt durch ihre Erzählungen, dargeboten von einer Hyäne: Es spricht eine weibliche Tier-Klappmaulpuppe, unterstützt von einem männlichen Puppenspieler. (Teamtheater Tankstelle, 25. bis 27.4.)

Wie nur dieser Irrwitz in die angelsächsische Welt kam? Dafür muss man sich vielleicht einfach noch mal dem grandios überdrehten Frohsinn des feisten Ritters Sir John Falstaff hingeben. Selbiger hat eben erst versucht, mit gleichlautenden Liebesbriefen zwei Frauen zu verführen. Doch Die Lustigen Weiber von Windsor durchschauen den Bluff und jagen Falstaff samt Schmutzwäsche (und in Frauenkleidern) in die Themse. Regisseurin Brigitte Fassbaender lässt dem Shakespeare-Stoff ein rotziges „Fack Ju Falstaff“ entgegenschleudern. (Gärtnerplatztheater, ab 26.4.)

Elfriede Jelinek hat ein neues Stück geschrieben, das Falk Richter uraufführen wird: Asche soll tief persönlich vom Verlust eines geliebten Wegbegleiters und von der Angst vor Einsamkeit erzählen. (Kammerspiele, ab 26.4.)

Eine Reise in die Zeit der Räterepublik als dokumentarisches Theaterstück mit Live-Musik, Bild- und Videoprojektionen unternimmt das Kollektiv Herzfeld in Dreieinhalb Wochen im Münchner Frühling und lassen dabei die Zeitzeugen Thomas Mann, Victor Klemperer, Josef Hofmiller, Erzbischof Faulhaber, Gustav Landauer u.a. zu Wort kommen. (26.4., Fraunhofer)

Er inszeniert sich selbst als Märchenkönig und Modemonarch. Und doch war Herrenschneider Rudolph Moshammer – wie auch der Kini – ein unglücklicher, verletzter Mann. Mosi – The Bavarian Dream spürt seinem romantischen Geist nach. (Marstall, ab 27.4.)

Achtung, Achtung: Dann tritt auch noch erstmalig ein bayerisches Urvieh auf die Bühne: Wolpertinger in Progress von und mit Benno Heisel ist eine Mischung aus Objekt- und Figurentheater, Robotik und Stand-Up-Comedy. Doch anstatt von seinen eigenen Leben und Träumen zu erzählen, muss der Wolpertinger sich mit all den anderen Lebewesen herumschlagen, die Teil seines Körpers sind. (Rationaltheater, 28./30.4.)

Wie der Bühnenmix im April dann wirkt, kann man sich still selbst denken. Oder von Thorsten Havener publikumswirksam in aller Öffentlichkeit vortragen lassen. Der Mann kann Tolles: Gedanken lesen! (Freiheitshalle, 29.4.)