Neue Alben von Neil Young, Primus, The Flatliners, Agajon, Jules Ahoi und C Duncan

Neil Young wiedermal live, Primus endlich auf Vinyl, C Duncan fantastisch und The Flatliners schimpfen wie die Rohrspatzen auf die Generation der Boomer
Neil Young + Promise Of The Real - Noise & Flowers
Ja, um „Lärm & Blumen“ ging es ja im weitesten übertragenen Sinne sowieso schon immer irgendwie, in Neil Youngs Musik. Was gleich auf Anhieb auffällt, ist die unglaublich warme Produktion, sprich also Aufnahme und Master dieses Live-Albums, zu einer Konzertreihe übrigens, die Young seinem verstorbenen Manager Elliot Roberts gewidmet hat. Vielleicht ja auch daher, der versöhnliche, einen sofort ins Herz schließende Klang. „Noise & Flowers“ jedenfalls dokumentiert eine neuntägige Tournee, die nur zwei Wochen nach dem Tod von Roberts begann, Youngs lebenslangen Freund und über 50 Jahre lang sein Manager. Roberts war im Alter von 76 Jahren verstorben, doch bei der Tour war er trotzdem irgendwie immer gegenwärtig. Neil Young performte nämlich allabendlich neben einem Foto von Roberts, das an seinem Road-Case befestigt war, und sah jedes Konzert als feierlichen Gedenkgottesdienst zu Ehren seines verstorbenen Freundes. Noch heute bezeichnet der Grunge-Godfather diese Tournee als „sehr besonders“. „In seinem Andenken zu spielen“ so Neil Young in den Liner Notes zum Album, „machte es zu einer der denkwürdigsten Tourneen meiner Karriere.“ Und weiter: „Wir haben uns auf Tour begeben und sein großartiges Wesen in jeden Song einfließen lassen. Diese Musik gehört niemandem. Sie verteilt sich in der Luft. Jede gespielte Note galt diesem großen Freund der Musik, Elliot“. Als Hommage an den Manager, der Youngs Karriere über ein halbes Jahrhundert begleitete, erkundet „Noise & Flowers“ alle Winkel seiner gewaltigen Diskografie. Und so können sich Fans auf reihenweise zeitlose Hymnen wie „Mr. Soul“, „Helpless“, „Rockin‘ in the Free World“ ebenso freuen wie auf tendenziell eher selten gespielte Raritäten aus den 70ern wie etwa „Field of Opportunity“ und „On the Beach“ oder Rock-Perlen aus den 90ern wie „Throw Your Hatred Down“ oder „From Hank to Hendrix“ freuen, letzteres in einer mitreißenden, wenngleich eher - den Umständen entsprechend - andächtigen Akustkversion. Promise Of The Real, zeigen sich hier einmal mehr als ebenso kongeniale wie gefühlvolle Begleitband. Egal, ob Young durch einen seiner wütenden Rock-Ausbrüch tobt oder eher sanfte Country-Klänge anstimmt: mit ihrer lässigen Brillanz und ihrem geradezu telepathischen Einfühlungsvermögen fangen sie die Extreme in dessen Sound stets gekonnt ein.
Primus - Conspiranoid
Als alter Rush-Fan war und bin ich bis heute freilich auch immer auf Primus ganz gut zu sprechen. Auf ihrer anstehenden Tournee - leider musste aus „logistischen Problemen“ die ganze Europa-Tournee, inklusive dem am 18.9. geplanten Konzert in der Tonhalle, abgesagt werden - wollten Primus jeweils den zweiten Teil des Sets einer Hommage an das legendären 1977er Album „A Farewell To Kings“ der kanadischen ProgRock-Götter Rush widmen. Diese Platte bei den Auftritten in voller Länge zu spielen und neu zu interpretieren sei für Primus-Bassist Les Claypool ein angemessener Tribut an eine Band, die ihn im Lauf seiner langen Karriere immer stark inspiriert habe, sagte er dem Rolling Stone Magazin. Dazu passt natürlich gleich ganz hervorragend der Titel gebende, sage und schreibe 11:31 Minuten dauernde, EP-Opener „Conspiranoia“, in dem Primus gleich mehrere Rush-Themen aus Songs wie „Jacob’s Ladder“, „The Trees“, „Xanadu“ und gefühlt ungefähr 20 anderen miteinander verwurschteln. Danach quakt Claypools stets etwas zu hölzern und hohl klingender Bass zu „Follow The Cool“ und man fühlt sich beim Gitarreneinsatz ein kleinwenig sogar an Rage Against The Machine erinnert… Strange auch der dritte und letzte Songs: „Erin On The Side Of Caution“, klingt nach einer zufällig mitgeschnittenen Session zwischen Fugazi, Captain Beefheart und Devo. Herrlich all das, kam im April bereits digital, jetzt endlich auch - auf dem Tonträger, der dieser Art von Musik am gerechtesten wird - auf Vinyl!
Short Cuts:
The Flatliners - New Ruin
Welcome back: The Flatliners sind - pünktlich zu ihrem 20-jährigen Bandjubiläum - zurück im Schosse der Fat Wreck-Family. Dazu Sänger Chris Cresswell: „Die Rückkehr zu Fat anlässlich der Veröffentlichung unseres neuen Albums ist wie ein Familientreffen, zu dem man unbedingt kommen möchte. Ein Neustart, hinter dem wir alle stehen können. Es fühlt sich für uns einfach wie ein Zuhause an.“ Inhaltlich so Cresswell (Jahrgang 1987), sei das Album „…ein Hassbrief an die vorherige Generation, denn all ihre Brillanz und ihr Einfallsreichtum haben unsere Generation und künftige Generationen im Stich gelassen, die sich die Welt, in der wir leben, nicht mehr leisten können, mit diesem enormen emotionalen und ökologischen Tribut. Das ist so demoralisierend.“ Also, schämt euch ihr Boomer, vor allem diejenigen unter euch, die es bis heute nicht geschnallt haben und tanzt zum wirklich mitreißenden Emo-Punkrock der Flatliners.
Jules Ahoi - Melancholic Dreamwave
Ist es dienlich zu erwähnen, wo Jules Ahoi herkommt? Schreibt man nämlich L.A. oder San Francisco werden alle nicken und sich selbst auf die Schulter klopfen: klar, klingt sehr ami-mäßig, voll nach Kalifornien, hört doch jeder… Schreibt man jedoch die Wahrheit, nämlich Köln, switchen viele schon kopfschüttelnd weiter und schwupps hat der Jules dieses Prophet-im-eigenen-Land-Dingens an der Backe. Um es kurz zu machen: Die Platte ist super. Extrem ausgeschlafener Singer/Songwriter-Sound, leicht elektronisch unterstütz und so irgendwo zwischen William Fitzsimmons, Dekker und all den anderen sehr, sehr hörenswerten Folk-Electro-Barden dieser Welt.
C Duncan - Alluvium
Es schießen einem sofort die unterschiedlichsten Referenzen durch den Kopf: Steely Dan, Prefab Sprout, Westcoast-Größen wie die Beach Boys oder Eagles, aber auch Softrockgrößen wie Barclay James Harwest und Fleetwood Mac. Der gerade mal 33-jährige C Duncan aus Glasgow schafft etwas, was nur wenigen gelingt, er kann einen mit seinen erhabenen Kompositionen im Zusammenwirken mit der geschmackvollen Instrumentierung und seiner wahrlich begnadeten Stimme für eine gewisse Zeit in einen anderen Bewusstseinszustand beamen. Den nämlich, des Abschaltens und Genießens. Vielleicht ein bissl lang, das Album als Ganzes, dennoch aber: Toll!
Agajon - Nag Champa
Was für den Jules Ahoi gilt, gilt in gewisser Weise auch für agajon. Der Hamburger-Jung, ist gerade mal 21 Jahre alt, und klingt schon wie einer der ganz Großen aus den Staaten, New York, mindestens… Dabei finden sich in seiner Musik allerlei Elemente aus Genres wie Trap, Soul, Jazz und RnB, aber auch Bossa Nova und klassischer HipHop gesellen sich dann und wann dazu. Daraus bastelt er, der schon für Cro produzierte und mit Leuten befreundet ist die wiederum Megastars wie Drake und Kendrik Lamar nahestehen, einen ebenso geschmeidigen wie geschmack- und anspruchsvollen Lounge-Sound, der schon bald auch international von sich reden machen wird. Darauf mein Wort!
Autor: Gerald Huber