Trinkgeld-Glosse: Lasst es rascheln, nicht klimpern!

Ein paar Gedanken zur neuen Tipping-Kultur

5 %? 10 %? Oder sogar 20 %? Worauf haben Sie gedrückt, als Sie das letzte Mal in einem Restaurant, Café, Bäcker, Friseur oder ähnlichem Laden mit Karte zahlten und ihnen das Trinkgeldgeben vom Kartenzahlgerät fast unausweichlich nahegelegt wurde? Wahrscheinlich nicht auf die viel kleiner dargestellte Option „kein Trinkgeld zahlen“, die unauffällig irgendwo unten rechts auch auf dem Display stand. Und das ist auch gut so: Die Leute, mit denen wir im Alltag kurze Geschäftsbeziehungen eingehen, die uns teilweise bedienen, bekochen, bebacken, die Haare schneiden und weitere Dienstleistungen angedeihen lassen, sollen durchaus merken, dass wir ihnen dankbar sind.

Zur Großzügigkeit gezwungen

Dennoch stößt mir das totalitäre, das diese Kartenzahlgeräte mit sich bringen auf. Ich verstehe, dass seit der Corona-Pandemie sehr viele Menschen sehr viel mehr mit Karte zahlen als früher. Und dass dadurch das Aufrunden auf den nächsthöheren Betrag oft nicht mehr geschieht, weil die Konsequenz des Nicht-Aufrundens -nerviges Kleingeld in der Hosentasche- ausbleibt, ist auch blöd für die Menschen im Service. Aber gerade weil ich so was blöd find und will, dass die Menschen angemessene Trinkgelder bekommen, ärgere ich mich über die Zahlgeräte. Sie berauben uns der Möglichkeit selbständig mildtätigen Großmut auszuüben und zwingen uns stattdessen dazu, einen vorgefassten Betrag „Großzügigkeit“ springen zu lassen, weil alles andere im kurzen Moment der Bedienung des Geräts einfach total nervig wäre. Man will sich doch kurz als guter Mensch fühlen können, ob das nun gerechtfertigt ist oder nicht. Wahrscheinlich eher nicht, denn ich erwische mich manchmal auch in Momenten der Missgunst. Wenn ich bei irgendeinem (Hipster-)Café schnell ein Pistaziencroissant für horrende 4,50 Euro kaufe, bin ich mir nicht sicher, ob ich das kurze Croissant-in-Papier-Rutschenlassen-und-mir-in-der-Folge-aushändigen meines Gegenübers direkt mit 45 Cent Trinkgeld entlohnen will.

Es gebe wer kann

In jedem Wimmer/Zöttl/etc. würde man das von Kartenzahlgeräten nie gefragt werden. Was aber wahrscheinlich auch wieder nicht gut ist. Da gibt es Menschen, die mir im Lauf der Jahre sicher schon nahezu hundert Mal eine Butterbreze gegeben haben, ganz freundlich und lieb, die von mir aber trotzdem noch nie einen Cent Trinkgeld gesehen haben. Saublöd von mir! Schon erstaunlich, zu wie viel Selbstreflexion diese neuen Kartenzahlgeräte doch anregen. Eigentlich also doch eine gute Erfindung, wenn auch nicht auf den ersten Blick. Wissts was, wenn man’s grad hat, ist wohl die beste Devise: Das Leben ist zu kurz, um zu knausern – Trinkgeld für alle!