Glosse: Warten und Warten lassen

Ein paar Gedanken zum aktuellen Trend vom Schlangestehen.

In manchen Vierteln prägen sie inzwischen in überraschender Regelmäßigkeit unser Stadtbild: Warteschlangen vorrangig junger, den aktuellen Trends zugewandter Leute. Teilweise erstaunlich lang. Erstmals so richtig aufgefallen ist dieses Phänomen dem mittdreißigjährigen Redakteur als er im Auto durch die Klenzestraße gefahren ist, wo sich vor dem Café „Life Among People“, kurz: LAP -dessen sinistre Geschäftspraktiken in letzter Zeit für Furore sorgten; man google diese- eine Warteschlange bildete, die sich trotz strömendem Regen bis zur Fraunhoferstraße wand, dort um die Kurve ging und noch beinahe 100 Meter dem Straßenverlauf folgte und welche in ihrer Ausprägung also noch weit länger war, als diese unnötig komplexe hypotaktische Satzkonstruktion. Und warum? Weil man an jenem Tag dort zum Kaffee gegen einen Rabatt noch ein angesagtes Bodyspray erstehen konnte. Wenn man dabei Wartezeit gegen Rabatt abwägt, kommt man ziemlich sicher auf Stundenlöhne, die die der Wartenden weit untertreffen. Schnitt: Zwei Wochen später.

„Münchner Berghain Experience“

Vom Max-Joseph-Platz geht die ganze Theatinerstraße entlang eine Schlange bis zum Donisl, wo man mit Nachweis, dass der eigene Hauptwohnsitz in München ist, Wiesntisch-Reservierungen fürs Bräurosl-Zelt abschließen konnte. Die Leute sind bereit im Vorfeld innerstädtisch zu warten, um ebenjenes zur Wiesnzeit selbst nicht vergeblich vor dem Zelt zu tun. Als wir von jenen Warteschlangen auf den sozialen Medien berichteten, war der Tonfall in den Kommentaren durchwachsen. Zwischen zynischem Kulturpessimismus („Die Herde steht an zur Fütterung“) und beschwingter Ironie („Münchner Berghain Experience“) konnte man dort alles lesen. Und das ist verständlich: Es ist durchaus traurig mitanzusehen, wie das Marktprinzip der künstlichen Verknappung durch Instagram und Co. befeuert, so sehr einschlägt, dass junge Leute an einem Samstag nichts Besseres zu tun wissen, als stundenlang rumzustehen.

Schlangestehen als Event

Zugleich ist das aber auch viel zu kurz gedacht. Schaut man genauer hin, sieht man, dass die Menschen das Schlangestehen an sich zum Event machen. Man ratscht miteinander, lacht selbstironisch über den Wartewahnsinn, trinkt sogar was Gutes und hat danach – Wiesntisch hin oder her – eine lustige Geschichte zu erzählen. Für mich persönlich durchaus nicht die ideale Samstagsbeschäftigung aber auch bei weitem kein Grund zum großkopferten Naserümpfen. Denn auch wenn man am Ende der Schlange mit leeren Händen dasteht, ist es besser man hat seine Zeit selbst verschwendet, als dass man das negative Kräfte aus dem Internet für sich tun lässt.