Lesen! Unsere Buchempfehlungen im Januar

Lesen! Unsere Buchempfehlungen im Januar

Neue Bücher von Ádám Bodor, Amor Towles, Martin Arz und Nelio Biedermann

Ádám Bodor – Waldohreule (Secession)

Schön war es vor kurzem wieder im Literaturhaus die Buchmesse „Andere Bücher“ zu durchstöbern, das Portfolio umtriebiger Independent-Verlage zu erkunden und zu sehen, welche besonderen Bücher sie einem deutschsprachigen Publikum näherbringen wollen. Ein solcher Verlag ist Secession aus Zürich und ein solches Buch ist die vorliegende Kurzgeschichtensammlung aus der Feder des Ungarn Ádám Bodor. Und die hat es in sich: 54 Geschichten auf 414 Seiten – rätselhaft, alltäglich und doch seltsam entrückt. In dieser Eigenart den Werken des kürzlich gekürten Nobelpreisträgers László Krasznahorkai, der Bodor als eine seiner Inspirationsquellen nennt, wesensverwandt. Hier werden unerhörte Begebenheiten ganz beiläufig erzählt. So wandelt in der titelgebenden Geschichte ein Förster zwischen Figuren wie einem 602 Kilo schweren LKW-Fahrer und einem Freund, der aufgrund eines fehlerhaften Feuerzeugs in Flammen verpufft hin und her und scheint nicht sonderlich erstaunt, ob der Groteskerien, die ihn umgeben. Oft werden dabei in den Geschichten scheinbar wichtige Elemente der Handlung lediglich kurz angerissen, Nebensächliches aber mit vielen Informationen bestückt. Das Ergebnis: Ein alltagssurreales Leserlebnis, das auf Anhieb vielleicht den Kopf kratzen lässt, dann aber mit seiner Traumlogik gefangen nimmt und auch die ein oder andere große Erkenntnis über die ohnehin recht absurde Welt, die wir durchwandern, unterbreitet.

Franz Furtner

Amor Towles – Eve (Hanser)

Bereits letztes Jahr erschienen, trotzdem wert, es noch vorzustellen: 1938 reist die geheimnisvolle dunkelblonde Schönheit Evelyn Ross mit dem Zug nach Los Angeles; sie wäre in der Stimmung für ein Abenteuer gewesen, erzählt sie später in der Lobby des Beverly Hills Hotels dem ausrangierten Schauspieler Prentice Symmons. Und dieses nimmt seinen Lauf: Auf einer Nachtclub-Toilette lernt sie die Schauspielerin Olivia de Havilland kennen, die gerade dabei ist, die Rolle in „Vom Winde verweht“, dem „größten Film aller Zeiten“ (David O. Selznick), zu bekommen. Als Olivia mit Nacktfotos erpresst wird, wendet sie sich vertrauensvoll an ihre neue selbstbewusste Freundin, die selbst „aus einem Orkan“ in die Stadt gekommen ist. Zusammen mit Symmons, dem Chauffeur und Stuntman Billy und dem Ex-Cop Charlie Granger macht sich Evelyn auf die Jagd nach den Erpressern – geschickt, elegant und schwarzhumorig erzählt Towles das aus diversen Perspektiven, deren Bahnen sich immer wieder kreuzen im „Hollywood Babylon“ der 1930er-Jahre. Vor dem Prentice Symmons bereits bei der ersten Begegnung Evelyn warnt: „Teddy Roosevelt und Ernest Hemingway sind bis nach Afrika gereist, um die Geschöpfe der Wildnis zu treffen, sich der Jagd anzuschließen und Todesgefahren auszusetzen. Es hätte gereicht, so behaupte ich, wenn sie einfach in diese Lobby gekommen wären.“ Schon bald stellt sich heraus, dass es dieser Warnung nicht bedurfte – obwohl man nicht erfährt, woher Evelyn Ross ihre zehn Zentimeter lange Narbe im Gesicht hat, stellt sich schnell heraus, dass sie die geschickteste Jägerin ist.

Rainer Germann

Martin Arz – Der Kraken (Hirschkäfer)

Beeindruckend, wenn man die eigene Stadt nur leicht verzerrt wiedererkennt, wenn man sie atmen, stinken und granteln spürt und wenn man an Orte gerät, von denen man lieber nichts gewusst hätte. Martin Arz, als Verleger, Maler, Szenekenner und Netzwerker einer der wachsten Beobachter Münchens, nimmt im nun schon zweiten Lorenz-Teuffel-Krimi Fans und Neugierige mit in den Sumpf, der zunächst vertraut bajuwarisch muffelt und dann immer abgründiger wird. Zunächst geht es für den nicht übertrieben ehrgeizigen Privatermittler, dem sein psychisch eher instabiler, überraschend scharfsinniger Begleiter Kotti auf Schritt und Tritt folgt, um einen Fall von digitaler Erpressung. Hacker sperren einen Energieversorger mit Firmensitz im CSU-Spezihausen Grünwald aus den eigenen Computernetzen aus, um Lösegeld zu erzwingen. Dann kommt eine sehr reale Entführung hinzu. Wie gesagt: der Anfang. Es geht um Tentakel, die eine Stadt, ein Land befummeln – und erdrosseln können. Und um Terror von ganz rechts. Arz schafft es souverän, den Kraken zu bändigen, Grusel zu inszenieren – und trotzdem mit flottem Stil süffig zu unterhalten.

Rupert Sommer

Nekio BiedermannLázár (Rowohlt)
Der Überflieger 2025 heißt Nelio Biedermann – und ist gerade mal 22 Jahre jung. Sein zweiter Roman „Lázár“ erschien in 20 Sprachen, wurde zum Feuilletonhit und jüngst von der ZEIT zu einem der 100 besten Bücher des Jahres gekürt. Aber was ist das Sensationelle an der Geschichte eines ungarischen Adelsgeschlechts, die einmal mehr das Genre „Familien- und Generationenroman“ bedient? Die Erzählung setzt um 1900 ein, als Lajos von Lázár, „das durchsichtige Kind mit den wasserblauen Augen, zum ersten Mal den Mann erblickt, den es bis über seinen Tod hinaus für seinen Vater halten wird“. Viel ist damit schon gesagt über den künftigen Baron, der aus einer Affäre seiner Mutter Mária mit einem Stallknecht (mit wasserblauen Augen) hervorgeht. Sein Erzeuger wird später durch einen Huftritt erledigt, und Mária als unglückliche Fin-de-Siècle-Heldin ‚ins Wasser gehen‘. Wir folgen einem recht individuellen Figurenensemble und seinem recht individuellen Liebesreigen. – Nicht von ungefähr liest ein frisch verheiratetes Paar im Buch gemeinsam Schnitzlers „Traumnovelle“, bevor es seine geheimen Wünsche wahr werden lässt. Die literarische Avantgarde liefert die Erzählstrategien: Thomas Mann das Dekadenzmotiv, Virginia Woolf das Zeitrafferverfahren und mit Prousts Erinnerungsmomenten begeben wir uns auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Unerschrocken greift der junge Schweizer die großen Themen des 20. Jahrhunderts auf, um sie mit dem Niedergang der Lázárs zu synchronisieren, vom Untergang des Vielvölkerstaats über den Zweiten Weltkrieg und die Judenvernichtung bis zu den stalinistischen Enteignungen und dem ungarischen Volksaufstand 1956, der die jüngsten Familienmitglieder zur Flucht zwingt. Nelio Biedermann weiß zu was der Mensch fähig ist, im Schlechten, aber auch im Guten. Genial!

Eveline Petraschka