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„Rockin‘ Rosie“ im Gärtnerplatztheater: Geile Zeit!

Party mit Hindernissen: „Rockin‘ Rosie“
Party mit Hindernissen: „Rockin‘ Rosie“ © Staatstheater am Gärtnerplatz

Generationen-Clash und Familienlügen: „Rockin‘ Rosie“ im Gärtnerplatztheater

Rosie ist eine Sängerin, und sie ist eine Wucht. Und diese Wucht hat 70. Geburtstag. Das Gärtnerplatztheater hat dafür die Party angerichtet, diesmal nicht auf der großen Bühne, sondern drunten in den Katakomben. Die Studiobühne betreten wir mitten durch Rosies Wohnung – mit Liebe fürs Detail (Olympia-Waldi!) eingerichtet von Rainer Sinell –, und hier schlagen auch die alten Weggefährten auf, mit denen Rosie in den 1970er Jahren ihre Karriere begann: der coole Gitarristen-Rocker im Staubmantel, immer noch die Haare lang und immer noch hinter jedem Rock her (Alexander Franzen), die Bassistin in ihren Rock-Girl-Klamotten und der blonden Polyester-Perücke (Frances Lucey), der eher zurückhaltende Manager (Erwin Windegger) und der Schlagzeuger.

Natürlich wird mit Sekt auf die alten Geschichten – „Geile Zeit!“ – angestoßen, es kreist auch mal der Joint, Haschkekse werden schnabuliert. Aber nach und nach kommen auch unangenehme Realitäten zum Vorschein, schleichen sich die Konflikte in die Party. Auch weil die anderen Generationen auftauchen – die keiner eingeladen hatte: Rosies Enkelin, der Hosenanzug passend zum Studium: BWL (Florine Schnitzel), samt ihrem Verlobten, der in Immobilien macht (Peter Neustifter) und sich schon mal für die Jubilarin ein Senioren-Wohnmodell ausgedacht hat. Und es kommt Rosies Sohn Stefan. 22 Jahre hatte er keinen Kontakt zu seiner Mutter. Und wer sein Vater ist, weiß er bis heute nicht.

Alte Kamellen, Geständnisse, nie verziehene Fehler, die Krankheiten, die Lebenslügen, dazu der Generationenkonflikt – all dem gibt der Text von Peter Lund viel und schlüssig Raum. Zwar verortet er „Rockin‘ Rosie“ – das Auftragswerk des Gärtnerplatztheaters wurde in Zusammenarbeit mit dem Ensemble konzipiert – in München, was ein paar reizvolle Reminder ergibt (für die, die alten Zeiten noch kennen). Aber die braucht man nicht zu verstehen, die Geschichte funktioniert auch so. Auch weil Regisseurin Nicole Claudia Weber sich auf Darsteller verlassen kann, die auch jenseits ihrer exzellenten Stimmen Persönlichkeit haben, die spielen können. Tief beeindruckend etwa, wie sich die Demenzschübe bei Aki, dem alten Drummer der Band (Frank Berg), einnisten, oder wie Armin Kahl die Verletzungen des vaterlosen Sohnes als nie endende Bürde freilegt.

Die Musik in diesem „Kammermusical“ von Wolfgang Böhmer kommt weniger rockig daher, als einen der Stücktitel unweigerlich erwarten lässt. Natürlich fetzt es auch mal, es gibt Ausflüge zu Jazz und Funk, aber die Balladen, das Nachdenkliche, Sentimentale haben die Oberhand, bis hin zum Sakral-Pop. Der typische Seventies-Sound dagegen fehlt etwas – obwohl die langhaarige Band um den musikalischen Leiter Andreas Partilla ganz danach aussieht, in ihrem so sympathisch Eierkarton-gedämmten Proberaum.

Dagmar Hellberg, seit diesem Jahr Bayerische Kammerschauspielerin und seit Jahrzehnten eine feste Größe im deutschen Musical, bringt als Rosie nicht nur einen Schuss Authentizität mit – sie hatte in München mal ihre eigene Band und hat die Szene auch als BR-Moderatorin kennengelernt (mit einem gewissen Herrn Gottschalk bei „Pop nach 8“). Sie ist eine Wucht, gelebte Leidenschaft, sie hat Power. Aber sie schwebt nicht über den Dingen und sieht schon ganz genau, wo sie Scheiße gebaut hat. Am Schluss steht das Publikum klatschend auf: für große Kunst auf dieser wunderbaren kleinen Bühne.

Peter Eidenberger