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Thea Kulturklub-Chefin Jennifer Becker: „Eine gute Freundin, bei der man sich Tipps holt“

Interview mit Thea Kulturklub-Chefin Jennifer Becker
Jennifer Becker, Chefin im Thea Kulturklub, möchte das Ausgeh-Fieber beim Kultur-Erleben anheizen © Tobias Hase

Zusammen auf die Piste: Jennifer Becker, Chefin im Thea Kulturklub, möchte das Ausgeh-Fieber beim Kultur-Erleben anheizen

Frau Becker, was ist denn eigentlich eine Theatergemeinde und wie spannend ist für Sie die Aufgabe, so eine Institution für Kulturfreunde der Stadt modern und frisch zu halten?
Wir wollen eine gute Idee, die hundert Jahre alt ist, zeitgemäß neu interpretieren. Unsere Münchner Theatergemeinde gibt es seit 1919. Sie stand von Anfang für einen sehr modernen Gedanken.

Und der wäre?
Kulturvermittlung und Gemeinschaft. Was wir damals „Gemeinde“ nannten, nennen wir heute „Community“. Es sagt das Gleiche aus: Es geht um das Zusammenkommen von Menschen mit ähnlichen Interessen – in unserem Fall Theater und Kultur.

Warum der neue Name „Thea Kulturklub“?
Wir haben gemerkt, dass sich der Begriff Theatergemeinde heute nicht mehr erschließt und etwas angestaubt wirkt. So sind wir auf „Thea Kulturklub“ gekommen. Thea steht als Referenz an unseren Trägerverein Theatergemeinde München. Thea könnte zugleich auch eine gute Freundin heißen, bei der man sich Tipps holt. Und Kulturklub ist eine Beschreibung dessen, was wir sind: ein Zusammenschluss von 15.000 Kulturschwärmer* innen aus München und der Region.

Wow, doch so viele Mitglieder. Und die stehen alle für ein Gemeinschaftsgefühl sowie dafür, die Vielfalt der Kulturangebote in der Stadt zu schätzen?
Definitiv. Was wir bieten, drückt sich bei uns in zwei Slogans aus. Zum einen: „Theaterliebe, Tipps und Tickets“. Und: „Kultur, Kontakte, Karten“. Beides beschreibt uns in wenigen Worten. Einen Klub, der den Theatern sehr verbunden ist. Eine Gemeinschaft, die in der riesigen Programmvielfalt in München das Bedürfnis hat, eine Lotsin zu haben. Und das ist die Thea – mit einer Servicestelle, die Vorschläge auswählt und Kartenkontingente zu Sonderkonditionen für den Kulturklub einkauft.

Wie muss man sich die Lotsen-Arbeit vorstellen?
Unsere Servicestelle führt unsere Klubmitglieder durch das reichhaltige Kulturangebot in München. Dafür haben wir drei Ansätze: Zum einen sind das unsere Kultur-Tipps, unsere Empfehlungen auf www.thea.info, in unserem Monatsmagazin, im Newsletter und auf social media. Das ist eine kuratierte Auswahl. Zum Zweiten ordnen wir unsere Auswahl Programmlinien zu, die die unterschiedlichen Bedürfnisse Kulturinteressierter aufgreifen. Und zum Dritten gibt es unsere Community-Veranstaltung. All das dient unserem gemeinnützigen Auftrag der Kulturvermittlung.

München gilt ja als eine Stadt mit vielen Einzelgängern – aus den unterschiedlichsten Gründen. Man könnte ja denken: Ins Theater traue ich mich nicht, weil ich da nicht alleine hingehen möchte. Aber Sie halten Angebote vor, um sich als Single ins Kulturleben zu stürzen und dann vielleicht sogar Gleichgesinnte vor Ort zu treffen?
Genau darum geht es. Grundidee bei uns ist, dass man Anschluss finden kann, wenn man das möchte. Wir waren beispielsweise im Rahmen einer Thea Kulturklub Community Veranstaltung in der Staatsoper mit 180 Leuten von uns. Nach einer Zusammenkunft bei einem Getränk und einem kleinen Snack haben wir uns „Cinderella“ angeschaut. Es kommen Singles, Pärchen und Menschen, deren Partner*in nicht mit ins Ballett gehen möchte. Im Thea Kulturklub kann man Teil einer Gruppe werden und sich ganz locker in der Pause zu anderen an den Tisch stellen. Wir tragen bei Community Events unsere Thea-Aufkleber am Revers, damit erkennen wir uns gegenseitig.

Klingt doch kuschelig.
Einfach mal reinschnuppern! Sie können uns sechs Monate lang kostenlos ausprobieren. Es gibt zwei verschiedene Optionen: die Solo-Teilnahme, bei der man sich als Einzelperson anmeldet und eine ermäßigte Thea-Karte pro Veranstaltung erhalten kann. Außerdem gibt es das Angebot „Family and Friends“. Da koordiniert eine Person bis zu vier, die gemeinsam etwas unternehmen wollen. Das können auch wechselnde Teilnehmer*innen sein. Das Schöne daran ist, dass damit unsere Idee eines Kulturklubs eine viel weitere Verbreitung findet. Weil man immer wieder andere Freundinnen, Nachbarn, Sportkameraden, wen auch immer mitnehmen kann. So ein Abend kann ansteckend wirken. Und bei uns legen Sie sich nicht auf ein Abo oder eine Spielstätte fest, sondern können jeden Monat neu entscheiden, ob und welche Bühne Sie besuchen möchten.

Wer viel um die Ohren hat, läuft Gefahr, sein Kulturbedürfnis aus dem Auge zu verlieren.

Jennifer Becker

Praktisch, in der Stadt der vermeintlich rund um die Uhr Vielbeschäftigten!
Wir stecken in einem engen Zeitkorsett, sodass wir uns in bestimmten Lebensphasen gar nicht mehr auf zusätzliche Fixtermine einlassen können. Wer viel um die Ohren hat, läuft Gefahr, sein Kulturbedürfnis aus dem Auge zu verlieren. Schon wieder zwei Monate verstrichen, in denen ich eigentlich ins Theater gehen wollte und es wieder nicht geschafft habe! Bei uns gilt das Prinzip: Wir gehen miteinander, und man ermuntert sich gegenseitig. So klappt es besser, seine Vorsätze in die Tat umzusetzen.

Auch mit Ihrer Thea im Namen: Es geht ja nicht nur um Theater im klassischen Sinne. Wie breit muss man sich aufstellen, um die verschiedenen Geschmäcker zu erreichen?
Unser Schwerpunkt sind sicherlich die Bühnen. Ihnen sind wir seit mehr als 100 Jahren verpflichtet. Wir verstehen uns zugleich als die Lobby der Bühnen und des Publikums – beides gehört zusammen. Gleichzeitig weiten wir den Blick: „Bühnen“ steht nicht nur für Theater, sondern auch für Musikbühnen und Konzerte. Und natürlich gehört bei uns zum Münchner Kulturleben, dass man mal an einer Museumsführung teilnehmen kann oder ein spannendes Viertel wie Sendling entdeckt, wo zuletzt die Isarphilharmonie im Gasteig HP8, der Bahnwärter Thiel, das Kulturzentrum Luise und in der angrenzenden Ludwigsvorstadt das Volkstheater entstanden sind. Wieder: Je nach Geschmack! Das spiegelt sich in unseren verschiedenen Programmlinien wider.

Erklären Sie die doch noch mal konkreter.
Wir greifen unterschiedliche Kulturbedürfnisse auf. Bei „Gute Zeit“ richten wir uns an diejenigen, die einen schönen Abend haben wollen, der unbeschwert ist und der ohne große Vorbereitung stattfinden kann. Es gibt aber beispielsweise auch die Programmlinie „Anspruchsvoll“.

Puh, und davor muss man sich ein wenig fürchten?
Von wegen! Es ist halt ein anderes Bedürfnis dahinter, das nach Tiefgang. Bei uns sind viele seit Jahrzehnten dabei, die haben viele Stücke in verschiedenen Inszenierungen gesehen, zahlreiche Konzerte gehört, sind kundig – und haben große Lust, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen, um ihnen ebenfalls einen Zugang zu eröffnen. Das ist doch großartig! Wer ganz neu einsteigt, ist bei „Willkommen“ gut aufgehoben. In der Programmlinie „Neuland“ fassen wir die Avantgarde, die freie Szene und eher ungewohnte Formate zusammen. „Familie“ ist generationsübergreifend ausgerichtet. Wir versuchen also tatsächlich, verschiedene Ansätze abzubilden und damit der Vielfalt der Menschen und der Kultur gerecht zu werden.

Mit so vielen Kulturinteressierten im Rücken dürften Sie ja auch konkret ab und an ein Wörtchen mitreden können im Betrieb der Bühnen, oder?
Natürlich stehen wir im engen Austausch mit den Häusern – schon immer. Daher berühren uns auch die Fragen, mit den sich die Intendant*innen beschäftigen. Ob das nun die Entwicklungen in der Kulturpolitik sind oder die Sorge um die gestiegenen Nebenkosten in der kalten Jahreszeit. Als Thea Kulturklub werden wir immer wieder als Sparringspartner kontaktiert. Man fragt uns ganz konkret: Wie steht das Publikum zu bestimmten Themen, Formaten, Räumen, Orten? Wir hatten beispielsweise unsere 15.000 Kulturschwärmer*innen über den Neubau eines Konzertsaals befragt. Solche Rückmeldungen sind für die Kulturschaffenden und die Veranstalter*innen sehr wichtig, weil sie unmittelbar aus einer großen Publikumsorganisation stammen.

Können Sie sich auch mal ein bestimmtes Stück für den Spielplan wünschen? Endlich mal wieder einen „richtigen Faust“!
Die Zeiten, in denen wir uns tatsächlich in der Weise eingemischt haben, sind zum Glück vorbei. Ich würde so etwas niemals tun, weil ich großen Respekt vor der künstlerischen Freiheit, der Intendanz-Verantwortung sowie vor künstlerischen Teams habe. Wir sind kein „Wünsch dir was“-Verein, wo man Theater bestellen und abholen kann. Ich finde aber, dass der offene Austausch zwischen Theatermacher*innen und Publikum extrem wichtig ist. Es ist doch wertvoll zu erfahren, was diejenigen denken und fühlen, denen man seine künstlerische Arbeit präsentiert. Mit der Pandemie hatte sich eine gewisse Ratlosigkeit breitgemacht, wie es im Kulturbetrieb weitergehen könnte. Es ging und geht immer noch um die Frage: Was brauchen die Menschen in so einer Zeit der Krisen? Wie kommt das Publikum zurück?

Und?
Theater – mit all seinen Mitteln und seiner Sinnlichkeit! Musik als höchst emotionale Erfahrung! Kulturleben. Gemeinsamkeit. Beglückte Gesichter. Dafür stehen auch wir mit dem Thea Kulturklub.

Interview: Rupert Sommer