Der Filmtipp: „The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt

Drei Eingriffe für Aschenbrödel. Franz Furtner über „The Ugly Stepsister“ von Emilie Blichfeldt in unserem Filmtipp des Monats. Ab 5.6. im Kino.

Es war einmal eine junge norwegische Regisseurin, die mit ihrem Debütlangfilm aber gleich so einen lustig-ironisch-ekligen, feministischen Bodyhorrormärchenfilm gedreht hat, dass die Community nur noch frohlockte. Dieses „einmal“ war erst letztes Jahr und das Ergebnis kommt nun zur potenziellen Freude aller, die besondere Filme abseitigerer Gangart schätzen, ins Kino. Warum der märchenhafte Einstieg? Blichfeldts Film ist eine Adaption von Aschenputtel mit fast allem, was wir aus unserer Kindheit noch dazu assoziieren: Dem schönen Prinzen, „die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen“, einem rauschenden Ball bei Hofe, der bösen Stiefmutter und… den Stiefschwestern. Mit dem großen Unterschied, dass die Erzählung hier einer der vermeintlich bösen und erst recht vermeintlich hässlichen Stiefschwestern folgt.

Zwischen Märchenfilm und Lucio Fulci

Von ihrer definitiv zutiefst bösen Übermutter (wahrlich evil: Ane Dahl Torp) angetrieben, muss sich die unbedarfte Elvira (schonungslos großartig: Lea Myren) immer drastischeren Schönheitseingriffen unterziehen. Mit dem Ziel schließlich dem schönen Prinz Julian zu gefallen. Und so werden hier Nasen neugestaltet, Bandwurmeier -gewissermaßen als Grimm’sches Ozempic- geschluckt und dann war da ja auch noch irgendwas mit einem Schuh, in den ein Fuß unbedingt passen musste. Der Film sieht dabei ganz bewusst aus, wie eine Mischung aus tschechischem Märchenfilm, Lucio-Fulci-Exzess und einer Folge Xena, die man in den 1990ern im Sonntagnachmittagsprogramm auf Kabel1 gesehen hat: Schnelle Zooms in Gesichter, wolkige weiche rosa Kameralinsen in Fantasiesequenzen etc. Und auf der Tonspur erklingen die auditiven Äquivalente dazu: 1980er-Synths, Harfen, Flöten. Nicht unabsichtlich ertönt auch das Thema aus „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ von Komponist Karel Svoboda. Und dann werden diese weichen Optiken und Klangteppiche plötzlich durch Bilder von Blut, Maden und Folterinstrumentarium, sowie durch markerschütternde Schmerzensschreie unterbrochen. Liest sich drastisch, ist auch so.

Kitsch als Methode

Hat aber auch eine Funktion, die weit über Ekel und pure Provokation hinausweist. Eingebettet in diese trashige Kitsch-Optik wirken die Gewaltausbrüche wie krasse Fremdkörper und entlarven den Rest des Films als intendiert doppelbödig. Blichfeldt gelingt es so ironischerweise durch Kitsch, die vielen Schichten von Disney-Schmonz, die der Geschichte „Aschenputtel“ inzwischen anhängen, wieder zu entfernen und so an den Kern des Märchens zu gelangen, das auch in der Grimm’schen Vorlage an Grausamkeiten nicht geizt. Gleichzeitig entlarvt Blichfeldt so Frauenbilder, die in unserer Gesellschaft via Märchen von Generation zu Generation tradiert wurden und vorherrschende zutiefst sexistische Schönheitsstandards der Gegenwart. Und das alles mit unprätentiösem Augenzwinkern und einer Gnadenlosigkeit, die dennoch ohne erhobenen Zeigefinger auskommt. Für ein Debütwerk eine ganz schöne Leistung. Und die wird gewürdigt. Auf dem Fantasy Filmfest umjubelt, auf Rotten Tomatoes nahezu ausschließlich hochgelobt und gewissermaßen als Schwesternfilm zum letztjährigen Horrorsatirehit „The Substance“ (2024) gesehen, gilt der Film schon jetzt als weitere Speerspitze einer neuen feministischen Strömung im Genrekino. Möge da noch viel kommen. Und so lebten wir angewidert bis an unser Lebensende.