Vom Wert der Scham. Franz Furtner über „Franz K.“ von Agnieszka Holland in unserem Filmtipp des Monats
Ja, Kafka-Jahr war letztes Jahr. Ja, da gabs schon David Schalkos (großartige) Serie „Kafka“ und den Spielfilm „Die Herrlichkeit des Lebens“ von Georg Maas und Judith Kaufmann. Wer jetzt sagt, „das Thema ist doch langsam durch“, verkennt erstens die zahlreichen zeitlosen Aspekte von Kafkas Werk, die auch und gerade im Jahr 2025 hohe Relevanz haben, verpasst zweitens einen hochinteressanten Film und gehört drittens wohl einfach nicht zu meinen Leuten. Aber zurück zu Punkt 2: Die polnische Regie-Größe Agnieszka Holland hat im so viel bemühten und oft nach dem gleichen Schema gebauten Genre des Bio-Pics eine echte Perle geschaffen. So voller Ideenreichtum, Freude am Sujet und Leben hat lange keine Künstlerbiografie von der Leinwand gestrahlt. Wobei „Biografie“ zu kurz greift. Eher Kaleidoskop oder so.
Scham Ex Negativo
Wir sehen einige prägende Szenen aus Kafkas Leben: Seine Verlobung mit Felice Bauer, deren Auflösung, Familienalltag mit dem despotisch-schamlosen Vater Hermann, die Beziehung zu seiner jüngsten Schwester Ottla, Bordellbesuche mit Schriftstellerfreund und Anvertrauten Max Brod etc. Dabei liegt der Fokus aber weder auf den großen Umbrüchen eines Lebens noch auf Künstlerklatsch und Tratsch, sondern auf den Themen, die Kafka umtrieben und wie sich diese im Alltag äußerten. Wie wichtig ihm der Wert eines Wortes ist, gesprochen oder auf Papier, wird in der Auseinandersetzung mit einem Bettler illustriert, der Aspekt der Scham wird ex negativo anhand des ungeniert ungeschlachten Vaters, aber auch im nuanciert-verdrucksten Mienenspiel des wunderbaren Idan Weiss offenbar. Besonders schön zu sehen ist, dass hier nicht das Kafka-Klischee vom gequälten Schmerzensmann, sondern ein dem Leben zugewandter, humorvoller und eben auch scham- und komplexbeladener Mensch gezeichnet wird.
Dokumentation und Spielfilm
Immer wieder eingefügt sind teils dokumentarische Szenen von heute: So gehen wir mit einer amerikanischen Touri-Gruppe durchs Kafkamuseum in Prag und danach ins fiktive Kafka-Burger-Restaurant und bekommen so Einblicke in den heutigen Diskurs und nicht zuletzt in die geschehen(d)e Kommerzialisierung um das Werk Kafkas. Das macht den Film angenehm unpädagogisch. Spätestens die Bebilderung der Erzählung „In der Strafkolonie“ wirkt auf deutsche Zuschauer*innen wie ein Affront ins Gesicht all der trockenen, sich irgendwie um Literatur drehenden Filme, die Jahr für Jahr mit dem „Prädikat: Besonders wertvoll“ alle Deutschlehrer*innen und Schulklassen dieser Nation ins Kino treiben wollen, um so wieder die Fördergelder für den nächsten Film dieser Art sicherzustellen. Und gerade aufgrund solcher Affronts sollten diese Lehrer*innen und auch alle anderen ins Kino gehen und inspiriert und voller Leselust wieder herauskommen.
Franz F.(urtner)