Ortsgespräch: Brigitte Hobmeier

Mit Herzblut: BRIGITTE HOBMEIER freut sich auf ihre Lesung am 16.11. in einer der schönsten versteckten Schatzkammern der Innenstadt.

Frau Hobmeier, Sie haben sich für das neue Programm ja länger mit Picasso befasst. Wenn man die Texte dazu liest: Was denken Sie häufiger: So ein Schlitzohr oder so ein furchtbarer Schuft?

Das kommt schon beides vor. Mich interessiert sehr, wer über ihn zu welcher Zeit redet. Es ist spannend, das zu betrachten, weil ganz viele Menschen ihn beschreiben und sehr individuell auf ihn blicken. So bekommt man immer eine andere Seite, eine neue Farbe von ihm zu sehen.

Hat das Einlesen denn Ihr eigenes Picasso-Bild nochmal geradegerückt oder eher arg in Schieflage gebracht?

Naja, er ist für mich eine Künstlerfigur, bei der ich mich oft fragte: Wäre er wohl auch heute noch in der Art radikal, wie er es damals war?

Und?

Ich bin mir da nicht sicher. Die Radikalität eines Künstlers beeindruckt mich. Wenn man so intensiv in seiner Kunst, in seiner Arbeit lebt, dann kann man nicht alle Auswirkungen kontrollieren. Aber Picasso war bestimmt kein Engel.

Sicher nicht. Man muss fairerweise Trennlinien ziehen zwischen dem, was Menschen schaffen und hinterlassen – und ihrer Persönlichkeit. Wie viel angenehmer wäre es trotzdem für Sie, wenn Picasso ein rundum netter Mensch gewesen wäre?

Genau diese Frage finde ich total spannend. Für mich selbst könnte ich sie gar nicht beantworten. Harvey Weinstein war ein genialer Produzent. Und trotzdem finde ich das furchtbar, was er mit den Frauen angestellt hat. Ob ich ihm das gutheiße, nur weil er ein guter Produzent war? Da müsste ich knallhart mit Nein antworten. Vielleicht ändert sich unsere Sicht der Künstler aber auch. Möglicherweise hat man den Künstlern früher fast schon zugestanden, dass sie diese großen, monströsen Berserker waren.

Die Textsammlung von Eva Hofmann bietet ja ein differenziertes Bild.

Auf jeden Fall. Vielleicht wäre Picasso gar nicht mehr auf die Idee gekommen, oft so rücksichtslos mit den Frauen um sich herum umzugehen. Es ist auch die Gesellschaft, die entsprechendes Verhalten kontrolliert oder eben verherrlicht. Unter den Personen, die in den Texten unserer Lesung über ihn reden, gibt es die einen, die vergöttern ihn. Und dann hört man die anderen, die wirklich aus tiefstem Leid und Trauer sprechen. Jede Person, die sich unseren Abend im Künstlerhaus anhört, darf die Sichtweise jeweils für sich selber entscheiden. Ich fände es furchtbar, wenn ich jemandem meine Meinung auf den Tisch lege und sage: Du musst so denken wie ich.

Zum Vorlesen ist ein vielstimmiger Text, der viele Stimmen zu Wort kommen lässt, doch sicher eine ganz besondere Herausforderung?

Na, das liebe ich. Ich finde es toll, dass da so viele Personen sprechen dürfen und dass das Durcheinander oft auch ziemlich lustig ist.

Erzählen Sie mal.

Es kommt schon vor, dass die erste Frau sagt: Picasso ist schon toll, aber ich glaube, ich liebe ihn nicht und ich mag nicht mit ihm zusammen sein, weil er kein Geld hat. Wenn er ein bisschen Geld hätte, dann wäre ich schon gerne mit ihm zusammen. Dann nehmen sie Opium zusammen und plötzlich stellt sie fest: Jetzt liebe ich ihn! Das ist so unreflektiert bezau- bernd. Heute überlegen wir uns zehnmal, was wir sagen, damit es uns nicht doch irgendwie andersherum aufs Brot geschmiert werden kann. Diese Unbekümmertheit liebe ich an dem Text.

Das macht neugierig.

Liebe, Leidenschaft, Sex, Macht, Ruhm, Einsamkeit, Trauer, Verlorenheit: Alles das, was uns ausmacht, unsere großen Geschichten, unser großes Herzensleid stecken in diesem großen, langen Leben dieses Künstlers. Ich versuche mich unglaublich gerne daran, das zum Leben zu erwecken.

Man kann sich auch in einen veritablen Schuft verlieben?

Aber klar doch. Der Liebe kann man den Weg nicht vorschreiben. Oder den Hormonen.

(c) Kathrin Makowski

Viele Zuhörer kennen Sie ja vom Theater, vom Film oder aus den Serien. Wie viel Schauspielen gehört denn für Sie zum Lesen?

Das eine ist schon: Ich spiele nicht. Es wird eine Lesung, aber natürlich versuche ich, den Abend so lebendig wie möglich zu gestalten. Jeder einzelne Charakter, der dort auftritt, ist auch eine Figur. Und ihr versuche ich großen Raum zu geben. Ich bin eine relativ spielfreudige Schauspielerin, hüstelnd und trocken wird es nicht – hoffe ich. Außerdem habe ich auch noch diese wunderbaren Musikerinnen um mich herum.

Na klar, mit Stücken von Satie, Debussy oder Ravel.

Das ist also eher eine klassische Umgebung, in der ich mich da befinde. Wenn ich mit den nouWell cousines, mit denen ich die anderen Lesungen habe, auftrete, geht es gern ein bisschen wilder zu. Es macht mir irre Spaß, diese Abende mit der Musik zu kombinieren. Im Künstlerhaus fühle ich mich besonders wohl. Allein das Ambiente, das ist schon wie aus der Zeit gefallen. Ein traumhafter Saal! Es ist eine der ein bisschen versteckten kleinen Schatzkammern Münchens.

Auf was darf man sich denn bei Ihren Auftritten mit den nouWell cousines freuen?

Es ist ja jetzt schon die dritte Lesung, die Tristan Berger, den ich schon lange vom Theater her kenne, für die nouWell cousines und mich zusam- mengestellt hat. Demnächst kommt ein neues Projekt raus: „Tod und Teufel“ wird dann das vierte Projekt sein. Damit haben wir im nächsten Jahr auch ganz viele Gastspiele. Alle Programme sind für mich immer eine spannende Zusammenstellung von Literatur, Lyrik und dann auch Ausflü- gen ins Komische. Wir gehen in die jeweiligen Epochen rein. Ich liebe das! Vor allem, weil es ein großes Miteinander auf der Bühne ist.

Nicht selbstverständlich. Man hört ja oft auch, dass es nicht immer ganz leicht ist, wenn starke Künstlerpersönlichkeiten zusammentreffen – von Gerüchten über Machtkämpfe in den Theaterhäusern ganz zu schweigen.

Natürlich, das ist ja gerade in meinem Beruf das Spannende. Auf der einen Seite wird uns so ein großes Künstlertum zugeschrieben, auf der anderen Seite sind wir ja eigentlich weisungsgebundene Angestellte. Die Diskrepanz zwischen beiden Konzepten wirkt manchmal ein bisschen wie Schmirgelpapier.

Wie meinen Sie das?

Du hast dich für deine eigene Figur einzusetzen, deine eigene Figur zu verteidigen und mit ihr durch viele Hö- hen und Tiefen des Lebens zu gehen. Auf der anderen Seite bist du in einer großen Gemeinschaft, wo du auch dem großen Projekt gegenüber dienend arbeiten musst. Manchmal geht das unglaublich gut, manchmal reibt es ein bisschen.

Dass man eins auf die Finger kriegt, wenn vielleicht die Regisseurin oder der Regisseur andere Vorstellungen haben?

Das hört sich zu erzieherisch an: Der Papa haut den Kindern auf die Finger. Nein, so ist es nicht. Es kann aber schon Konflikte geben, wenn man seine Figur vertritt. Trotzdem ist das natürlich ein Beruf der Zusammenarbeit. Picasso malt für sich. Er hat zwar seine Modelle, seine Musen. Aber sonst ist er mit sich allein. Für mich ergibt sich immer ein künstlerischer Zusammenhang am Set. Manchmal sind da ja über 50 Menschen um mich herum, 100 im Theater: Kollegen, Bühnenbild, Maske, Kostüm, Licht, Sound, Livemusik, Regie, Dramaturgie. Es gibt unglaublich viele Energien und Kräfte. Und dann sagt man so einfach: Wir erzählen miteinander eine Geschichte.

(c) Kathrin Makowski

Selbstverständlich gibt es auch wirtschaftliche Notwendigkeiten. Aber Sie kommen ja tatsächlich ganz schön herum: Wie viel Spaß macht Ihnen die Abwechslung, eine Lesung zu machen, dann wieder Filme oder Serien zu drehen?

Es ist schon ein großes Glück, dass ich das machen darf. Dass ich auf der Bühne stehen oder vor der Kamera stehen darf. Und jetzt mache ich die Lesungen mit Musik. Das ist ja noch mal was anderes, als eine Figur zu spielen. Ich bewege mich im Künstlerhaus viel stärker auf der sprachlichen und erzäh- lerischen Ebene. Gleichzeitig liebe ich es sehr, mit den Zuschauern in Kontakt zu kommen, sie zu spüren und auf ihre Reaktionen einzugehen.

Wie viel Nähe oder Spontanität lassen Sie da zu?

Das Live-Interagieren kannst du nicht planen: Ich kann nur offen und mutig sein, dass die Begegnung an dem Abend passiert. Das Wunderbare ist: Wir entstehen im Augenblick, und im nächsten ist es wieder vorbei. Das ist sowohl bei der Live-Musik als auch bei der Live-Sprache so. Ich bin eingebunden in ein großes Interagieren zwischen der Bühne und dem Zuschauer. Wenn da Leute nur hocken, die gelangweilt sind, und keine große Aufmerksamkeit zu mir heraufschicken, dann ist es viel schwerer, ihnen eine Geschichte zu erzählen, als Leuten, die kommen und sagen: Hey, was möchtest du mir eigentlich heute erzählen oder mitgeben? Wir sind alle angesprochen: Das ist Kultur, das ist ja Gesellschaft.

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ZUR PERSON: Sie lässt die Sonne aufgehen – auch auf Abendveranstaltungen: BRIGITTE HOBMEIER, bekannt aus Film, Fernsehen und natürlich vom Residenztheater, wo man sie am 4. und 8. November im „Spitzenreiterinnen“-Stück sieht, lebt und liebt ihre Arbeit bis in die letzte Haarspitze. Bei der Lesung „Picasso und die Frauen“, am 15. und 16. November im Künstlerhaus öffnet sie zusammen mit den Musikerinnen Isabelle Lhotzky und Andrea Kim bunte, auch schillernden Welten.

INTERVIEW: RUPERT SOMMER