Ortsgespräch: Dicht & Ergreifend

Zum 20-Jahre-Jubiläum bringt DICHT & ERGREIFEND München zum Durchdrehen. Und auf dem Land kämpft die Band für Subkultur – und gegen die AfD.

Herr Urkwell, Herr Dutti, ein Jubiläumskonzert am 25. Oktober in der Olympiahalle: Vor fünf Jahren hatten Sie die ja schon mal ausverkauft. Sie sind Serientäter, was die Gigantomanie angeht, oder?

Urkwell: Wir sind da auf dem besten Wege. Wir haben es uns nicht leicht gemacht, tatsächlich.

Lef Dutti: Es war keine einfache Entscheidung. Vor fünf Jahren war es der Tourabschluss der „Ghetto mi nix o“-Tour, die sich ja gefühlt Jahre hingezogen hat. Damals war dann in der Olympiahalle wieder ein komplett neues, einzigartiges Konzert. Ein krasser Aufwand, der aber viel Spaß macht. Auch unser Auftritt am 28. Oktober hat nichts mit einer vergangenen Tour zu tun. Es ist ein alleinstehendes Großereignis.

Urkwell: Nichts davon hat man schon mal gesehen. Es hat komplett andere Ausmaße – auch größer als unser Konzert vor fünf Jahren in der Olympiahalle.

Bissl dick auftragen gehört dazu. Aber Sie setzen sich natürlich auch unter Druck.

Lef Dutti: Sonst wär’s ja fad. Wir haben uns auch eine ganz spezielle Bühne einfallen lassen.

Da muss man baulich in Vorleistung gehen, warum das?

Urkwell: Am liebsten würden wir immer auf Kuschelkurs gehen und ziemlich nah dran sein. Da geben uns die kleineren Venues natürlich mehr Intimität. Jetzt müssen wir einen Spagat hinkriegen. Wir haben in zehn Jahren eine ziemliche Historie hingelegt. Und wir wären heute nicht da, wo wir sind, wenn uns nicht so viele Menschen unterstützt hätten – vor allem die Fans. Deswegen geht es darum, diese Menschen zu ehren. Ohne sie würde alles überhaupt nicht funktionieren.

Feine Sache.

Urkwell: Gleichzeitig haben wir in diesen zehn Jahren auch viel Unterstützung von anderen Künstlern bekommen. Leute, die mit uns in Kollaborationen gehen. Menschen, die hinter der Bühne arbeiten oder mit uns die Musikvideos machen. Daher wollten wir etwas auf die Beine stellen, das möglichst vielen Menschen die Möglichkeit gibt, mit uns diesen speziellen Moment zu feiern.

Daher die Rundbühne in der allergrößten Halle.

Urkwell: In München kennt man das Dilemma: Ab einer gewissen Größe, also ab Zirkus Krone aufwärts, bleibt eigentlich nur noch das Zenith. Und das ist bei uns ein rotes Tuch. Wir waren da mal Vorband von Cypress Hill.

Keine guten Erinnerungen?

Urkwell: Das Zenith ist die absolute Kapitalisten-Klitsche. Es klingt scheiße und ist ungemütlich.

Harte Worte. Man hat dort auch schon ganz großartige Konzerte erlebt.

Urkwell: Mag sein. Ich mag’s aber nicht. Böse Zungen möchten jetzt vielleicht behaupten, die Olympiahalle sei nicht besser. Das stimmt aber nicht, weil wir dort ganz andere Möglichkeiten haben, zu beschallen.

Lef Dutti: Wir machen eine 360-Grad-Geschichte, um das Wohnzimmer-Feeling zu erzeugen. So etwas haben wir noch nie gemacht – und wir wissen nicht, ob wir es jemals wieder machen werden.

Urkwell: Sozusagen internationales Parkett schnuppern – und das aber mit der urigsten Urwüchsigkeit, die man sich eigentlich nur vorstellen kann.

(c) Leon Zarbock

Bringt die Erfolgsformel der „Dichties“ ganz gut auf eine Formel. Wie zeigt sich das konkret in der Olympiahalle?

Urkwell: Wir haben unglaublich viele Gäste, vor denen wir sozusagen einen Knicks machen.

Auf wen darf man sich freuen?

Urwell: Mit Kofelgschroa etwa haben wir eine Band mal wieder zusammengebracht, die nur zu sehr seltenen Fällen noch auftritt. Mit Werner Hertel kommt eine Galionsfigur im Hip-Hop. Und mit seiner Kuh-Scheiße-Malerei geht er jetzt komplett steil. Und wir haben einen Gast, den wir nicht verraten wollen, aber der für uns und alle unsere Freunde eine lebende Legende ist. Das wird eine Überraschung, die es wirklich in sich hat.

Wie muss man sich die Rundbühne praktisch vorstellen: mitten im Publikum?

Lef Dutti: Auf der Bühne steht dann auch ein drehbares DJ-Pult. Damit wir wirklich in alle Richtungen zu fünft als Band spielen können.

Urkwell: Wichtig! Auch wer jetzt noch auf den letzten Drücker Karten kauft: Wir werden in alle Richtungen aufspielen, damit alle das gleiche Erlebnis haben. Niemand wird uns von hinten sehen.

Klingt gut. Sorge, dass das auf der Bühne bei so vielen Möglichkeiten auch ab und an heilloses Durcheinander herrscht?

Urkwell: Es wird ein harmonisches Miteinander. Wir spielen in diesen zweieinhalb Stunden Vollkontakt-Rap – mitten ins Gesicht. Wir fliegen einmal durch zehn Jahre Dicht & Ergreifend. Mit Dingen, die sich bewährt haben – und mit viel Neuem. Wir sind fleißig am Proben.

Wie das?

Lef Dutti: Wir haben Probenwochen angesetzt, bei denen in einer Halle genau diese Rundbühne aufgeklebt sein wird, damit wir dann auch noch die Feinheiten ausprobieren können. Kleiner Ausblick: Am Schluss werden höchstwahrscheinlich rund 50 Leute auf dieser Rundbühne stehen!

(c) Janik Schöbel

Wow!

Urkwell: Es zeigt auch, was für einen Zusammenhalt es gibt bei uns. Und wie krass sich die Hip-Hop-Szene in Bayern in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat.

Das Miteinander ist Ihnen ja offenbar auch noch auf einer anderen Ebene wichtig – auch auf dem flachen Land, wo es immer weniger Orte gibt, an denen sich Menschen treffen können. Und wenn es dann mal ein Vereinsheim gibt, schnappt sich das gerne mal die AfD. Sie setzen mit dem Umbau des Wirtshauses in Ottering dem etwas entgegen – ein Ort für die Subkultur.

Urkwell: Dass man das Wirtshaussterben nicht aufhalten kann, ist jedem bewusst. Aber man kann es zumindest verlangsamen. Es gibt die Chance, Kollektive zusammenzubringen, die die Verantwortlichkeiten und die viele Arbeit, die so ein Wirtshaus mit sich bringt, auf verschiedene Schultern verteilen. Wir haben den Verein Söhne und Töchter extra dafür gegründet und haben mittlerweile über 60 aktive sowie nicht aktive Mitglieder, die bei gewissen Räumaktionen und Umgestaltungsarbeiten einfach zusammenkommen.

Beeindruckend.

Urkwell: Es ist ein Modell, das sogar franchisefähig wäre.

Wie meinen Sie das?

Urkwell: Es gibt doch im ländlichen Raum so viele Wirtshäuser, aus denen man etwas machen könnte – für die Dorfgemeinschaft und für den demokratischen Zusammenhalt. Ich habe das Ganze tatsächlich Markus Blume, dem Kunstminister, vorgeschlagen, dass man das auf ganz Bayern anwenden könnte.

Und?

Urkwell: Traurigerweise gab es bis heute keine Antwort darauf.

Enttäuschend.

Urkwell: Das wäre doch mal eine Gelegenheit, wirklich zur bayerischen Seele zu sprechen. Man wird sich immer wieder über die Bayerische Landesregierung ärgern. Aber ich kann nicht 150 Jahre warten, bis die Linken oder die Tierschutzpartei mal in Bayern regieren. Ich muss mich auch mit Menschen an einen Tisch setzen, die nicht zwingend die besten Freunde werden. Aber es gibt ein Gesprächsthema, bei dem man Boden gut machen könnte – zur Kulturrettung und um dem Rechtsruck entgegenzuwirken. Der AfD darf man so ein Wirtshaus nicht anbieten.

Wo nehmen Sie die Energie her?

Urkwell: Bei uns läuft alles parallel. Damit dieses Projekt überhaupt funktioniert, braucht es Menschen, die erkennen, dass es steil bergauf geht. Es darf nicht nur das Fitnessstudio 50 Euro oder Netflix einen Zehner im Monat kosten. Auch Kultur muss einen Wert haben. Unser Wirtshausprojekt nährt sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Und wir sind tatsächlich auf einem guten Weg, weil das Ganze eine gesunde Dynamik entwickelt. Wir haben uns auch nach langem Suchen endlich einmal für einen guten Namen entschieden.

Verraten Sie ihn?

Urkwell: Los ging’s mit dem Borkenkäfer. Das Vieh ist ja total verschrien. Aber der Käfer ist ein Walderneuerer und verantwortlich für Nachhaltigkeit. Das Einzige, was der Borkenkäfer in Grund und Boden schädigt, ist die Monokultur. Das passt perfekt zu unserem Konzept: Wir sind auch nicht Everybody’s Darling. Und wir sagen auch mal einen Bayerischen Kulturpreis ab, wenn’s gar nicht anders geht. Aber wir leisten Überzeugungsarbeit, die für unser Dorf wichtig ist. Aus dem Borkenkäfer und dem Wirtshaus ist dann der „Boaznkäfer“ geworden. Ein Name, der Vollgas taugt!

Interview: Rupert Sommer


Aus Niederbayern: LEF DUTTI und URKWELL, die beide ursprünglich aus dem Landkreis Dingolfing-Landau stammen, lernten sich auf einer HipHop-Jam kennen und wurden mit Dicht & Ergreifend mehr oder weniger weltberühmt. Da muss man auch etwas zurückgeben: Sie kämpfen gegen Bierdimpfelei und stärken mit dem Boaznkäfer-Projekt (https://boaznkaefer.de/) den subkulturellen Zusammenhalt in der Region.