Sommer-Rausch: JOVANA REISINGER stellt auf dem Filmfest ihren ersten Langfilm „Unterwegs im Namen der Kaiserin“ vor.
Frau Reisinger, wer Ihren „Pleasure“-Band gelesen hat, weiß schon jetzt, was für ein aufregender, aber auch explosiver, vielleicht sogar nerviger Ort ein roter Teppich sein kann. Wie groß muss man sich Ihre Vorfreude auf den Filmfest-Teppich vorstellen – und was wird diesmal passieren?
Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten. Auch wenn ich ahne, dass vermutlich nie wieder ein Moment auf dem roten Teppich so eine Schlagkraft haben wird, wie der, der schlussendlich zu meinem Buch „Pleasure“ führte. Passieren wird das Gleiche wie immer, aber das sind Geschehnisse auf unterschiedlichen Ebenen. Die einen stellen sich an, werden angekündigt, fotografiert und deren Fotos im Anschluss veröffentlicht. Die anderen beobachten und urteilen. Die einen werden mit ihren Outfits brillieren, die anderen versagen. Die einen werden dann noch eigene Fotos auf dem Teppich machen, die anderen werden den ganzen Aufriss lächerlich finden. An so einem Abend kommt vieles zusammen.
Sie stellen auf dem Filmfest Ihren HFF-Abschlussfilm vor. Hand auf Herz: Wie pricklend fühlt sich das an, wenn so eine doch lange Reise jetzt auf einen ersten Höhepunkt zusteuert?
Für mich ist es der krönende Abschluss. Elf Jahre Filmhochschule, ein Diplom in Drehbuch, eins in Dokumentarfilmregie. Mein Film spielt in Bayern, setzt sich mit Bayern auseinander, mit dem Heimatbegriff und dessen Kapitalisierung. Es passt wirklich alles perfekt.
Wie lang gehen Sie denn schon mit der Idee für den Film schwanger?
Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung vergingen fünf Jahre intensive Arbeit. Im Nachhinein kommt es mir gar nicht so lang vor, steckt man allerdings mittendrin, ist es manchmal unerträglich.
Wie kamen Sie denn mal wieder auf Sisi?
Zeitgeist! Wir müssen alle ungefähr zeitgleich mit unseren Sisi-Projekten begonnen haben. Als dann all die großen Produktionen rauskamen, war ich erst verunsichert. Dann merkte ich allerdings, dass sie mir den perfekten Unterbau bieten, um völlig frei mit Sisi umgehen zu können und mir einen großen Spaß zu erlauben.
Filme, Serien, Parodien, Stücke, Opern sogar, immer wieder neue Bücher – und natürlich die Touristen-Kitsch-Maschinerie: Was macht Sisi zur Superheldin?
Romy, eine meiner Hauptfiguren, sagt an einer Stelle sinngemäß: Man erzählt sich gern, dass Sisi eine frühe Feministin gewesen wäre, weil man jetzt diese großen Frauenfiguren erzählen möchte. Aber am liebsten welche, die schon tot sind. Abgesehen davon, lassen sich Dinge mit ihrem Gesicht drauf sehr gut verkaufen. An diese Zusammenfassung halte ich mich auch gern privat.
Verraten Sie doch mal: Wie steht’s um Ihre ersten eigenen Ach-Franz-Ersterlebnisse?
Ich kann an dieser Stelle sagen, ich hatte vermutlich noch nie einen romantisch verklärten Ach-Franz-Moment.
Wie viel diebische Freude setzt es in Ihnen frei, die Erwartungen im Film gegenzubürsten?
Meine Arbeit generiert sich meist aus einer Antihaltung, meine Schaffenskraft aus Wut. Ich bezeichne diesen Film daher manchmal liebevoll als Antiheimatfilm, obwohl er alle Zutaten des Heimatfilms bedient und keine böswillige, ironische Abrechnung ist. Aber dieses ständige Erwartungen-Unterlaufen, Überstilisieren, Dekonstruieren und das Brechen der Konventionen ist tief in meine künstlerische Praxis eingeschrieben. Ich lote eben gern die Grenzen aus.
Mehr oder weniger sprechende Namen, pittoreske Kulissen, Anspielungen: Wie viel muss man an einschlägiger Vorbildung mitbringen, um heil durch Ihren Film zu kommen?
Mir ist es wichtig, keine Nischenkunst zu machen, die nur die Bestätigung einer bestimmten Gruppe sucht. So etwas interessiert mich weder als Kunstschaffende, noch als Kunstkonsumierende. Gleichzeitig arbeite ich immer mit einem großen Referenzsystem. Das bedeutet: Man wird den Film verstehen, über und mit den Figuren und Geschichten lachen können, ohne sich vorbereitet zu haben. Man wird allerdings auch, ist man auf dem Sisi-Gebiet sicher, viele Querverweise entdecken, die vielleicht extra Spaß machen.
Sissi, Sisi – oder tut das gar nichts zur Sache?
Ich halte mich an die originale Schreibweise mit einem S in der Mitte.
Es geht auch um den Traum, Wünsche zu erfüllen und im Jungbrunnen zu baden: Ab welcher Altersstufe wird man eigentlich anfällig für solche Gedankenspiele?
Mit Pauschalitäten kommen wir da nicht weiter. Schönheitsdruck, der Jugendzwang, die Idee, des ewigen Lebens sind fest in patriarchalen, kapitalistischen Systemen verankert. Das trifft Körper, Identitäten, Geschlechter, Individuen auf unterschiedliche Arten. Mal mehr, mal weniger heftig, mal früher, mal später.
Ewig jung: Fluch oder Segen – oder was würden Sie tun?
Die Frage stelle ich mir oft. Als ich einmal den Verdacht hatte, dem Tod schier von der Schippe gesprungen zu sein, war mein erster Gedanke: Das geht jetzt nicht. Ich muss noch so viele Texte schreiben, noch so viele Filme drehen. Ich habe noch so viel zu sagen, muss noch so viele Geschichten erzählen. Ich liebe das Leben wirklich sehr, so auch die Künste.
Wie muss man sich eigentlich einen Jovana-Reisinger-Drehtag vorstellen: Wie viel Perfektionismus, wie viel Chaos, wie viel Co-Kreativität lassen Sie zu?
Ob ich meinen Perfektionismus wirklich ausleben kann, kommt leider auf die Drehbedingungen an, und die werden meist von außen bestimmt. Das sind die Fragen nach Budget und vor allem Zeit. Ansonsten funktioniere ich im Chaos sehr gut. Ich bleibe dabei immer ruhig, äußerst pragmatisch und trotzdem cute. Was mir wichtig ist, weil ich nicht an das Regie-Genie glaube, sondern an eine unfassbar anstrengende und intensive Gruppenleistung.
Klingt gut.
Ohne die Arbeit der Crew, der Schauspielenden, aller Beteiligten, wäre so ein Film nicht möglich. Es wird an meinen Sets sehr viel gelacht, sich Zeit für Proben genommen, aufeinander geschaut. Wer sich daneben benimmt, respektlos ist, fliegt. Außerdem glaube ich an die einzelnen Departments. Mir war es wichtig, dass die Ausstattung, das Kostüm, Haare-Make-up, Licht usw. autarke Abteilungen sein können. Das heißt, dass ich mit den Leitenden Personen im Idealfall viel vorbereiten kann und sie erst Mal in Ruhe arbeiten lasse, sie eigene Visionen entwickeln dürfen. Wenn es mir nicht gefällt, müssen sie es nicht sofort ändern, aber sie müssen mir erklären, warum das nun so sein soll. Ich lasse mich manchmal überzeugen, manchmal nicht. Aber ich glaube an den kreativen Austausch, weil nur das Miteinander, so einen Film wirklich gut machen kann. Sonst könnte ich ja gleich alles selbst machen und in meiner Suppe stecken bleiben. Dass dieses Arbeitsverständnis auch aneckt, erlebe ich ebenfalls. Was ich am Set aber schon brauche, sind ein Regieteam, die mich vor den tausend Fragen, die an so einem Tag kommen, zumindest größtenteils erfolgreich und vehement abschirmen. Manchmal schleiche ich auch erst Mal durch den Hintereingang ins Set und atme erst mal durch, bevor es losgeht. Egal wie gut vorbereitet, chaotisch wirds sowieso und das liebe ich.
Wie werden Sie mit Cast und Crew jetzt dann in München feiern?
Wir werden eine Bar mieten, essen, trinken und meine Freundinnen werden auflegen. Ich freu mich einfach sehr darauf, Cast und Crew den Film zu zeigen – sie kennen ihn noch nicht. Und hoffe, sie gehen danach mit mir tanzen. Sonst wird es eine öde Feier.
Der Mythos will es, dass am Filmfest immer großartiges Wetter herrscht und der Schaumwein in Strömen fließt: Was stimmt aus Ihrer Sicht?
Beides! Aber irgendwann muss man für den Schaumwein selbst zahlen, dann fließt er nicht mehr ganz so stark.
Ein Festival braucht nicht nur Planung, die entsprechenden Einladungen, sondern auch Mut zur Inszenierung – und eine gute Kondition. Was sind Ihre wichtigsten Tipps, um gut durch die Zeit zu kommen?
Ich habe immer, wirklich immer, Snacks in der Handtasche. Proteinriegel, ein Obst, ein Smoothie. Irgendwas, was den Haushalt schnell reguliert. Außerdem: egal wie das Wetter ist, ein heißes, also gutes Outfit. Man trifft ständig jemanden und ständig wird ein Foto gemacht. Immer Wasser trinken. Aber an dieser Stelle bin ich leider eine schlechte Ratgeberin, denn, wo ich sonst immer sage, dass der Schlaf ja wohl der beste Regulator ist und man bitte ins Bett gehen soll, sage ich, bei so einem Festival muss man dann eben doch jede Party mitmachen und die Filmkunst feiern. Danach dann wieder ratzen.
Wie oft müssen Sie eigentlich die Frage beantworten, für welche Art von Kunstberuf Sie stehen – und was antworten Sie am liebsten?
Diese Frage beantworte ich seit nun schier 10 Jahren regelmäßig und immer auf die selbe Art: Ich werde mich nicht entscheiden. Ganz im Gegenteil, es werden neue Kunstsparten hinzukommen. Wussten Sie, dass ich eine Oper schreiben und inszenieren werde?
Inwiefern war ein 90-Minütiger dann bislang doch etwas ganz anderes als das Schreiben oder Theater-Machen?
Ein Langspielfilm funktioniert zwar auch nach bestimmten dramaturgischen Gesetzen, aber ich hatte das Gefühl, endlich ausgiebig eine Welt, respektive ein Gefühl erzählen zu können. Das Schreiben ist allerdings immer anders. Schreiben für die Leinwand funktioniert anders, als für Publikum in einem Saal oder gar für eine Einzelerfahrung wie das Lesen eines Buches. Auch wenn man meine Prosasprache im Film erkennen wird, ist es eine andere Sprache, zumindest in Nuancen.
Was steht als nächstes an?
Im Herbst kommt mein zweites Hörspiel bei Deutschlandfunk Kultur, im Sommer 2026 erscheint mein nächster Roman. Ich werde 2026 mehr Theater spielen, besagte Oper schreiben. Außerdem wurden mir schöne Projekte angeboten. Mal sehen, ob ich nicht doch endlich mal eine Pause mache – falls nicht, wird weitergearbeitet. Ach so, abgesehen davon werde ich jede freie Minute auf dem Tennisplatz verbringen und an meiner Tenniskarriere feilen. Die macht mir nämlich derzeit am meisten Freude.
Und dann noch ein Geheimtipp: Woher nehmen Sie eigentlich die offenbar schier unermessliche Energie?
Ich hatte wirklich schon immer das Gefühl, dass meine Tage wesentlich länger sind, als alle anderen. Im guten wie im schlechten Sinne. Die Wahrheit ist allerdings, dass ich Effizienzgetrieben arbeite, sehr schnell bin und immer mal wieder ein paar Tage einfach nur schlafen muss, um mich wieder herstellen zu können. Sport hilft, das Meer und mein Bett auch. Am wichtigsten sind dabei allerdings meine Freundinnen. Ohne die, würde ich gar nichts durchhalten.
Wie viel kostet eigentlich ein Jungbrunnen für den Hausgebrauch – und wer schließt so ein Ding fachgerecht an?
Wenn ich das wüsste!
Autorin, Filmemacherin, Schauspielerin, Kuratorin des eigenen Kunstwerks: Gar nicht so leicht, die Energie von JOVANA REISINGER auf einen Nenner zu bringen. Am Residenztheater läuft am 1.7. ihr Stück „Spitzenreiterinnen“. Und ihr Langfilm-Debüt „Unterwegs im Namen der Kaiserin“ könnte ein Highlight auf dem Filmfest München werden. Der Film läuft im Juli am 2.7. im HFF Audimax und am 5.7. im City 1.
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