Spielzeit-Start: „Freuhoit in Kräääh-Winkel“ im Theater Viel Lärm um nichts, „Frieden kriegen“ in der Schauburg, „Der Untertan“ im Teamtheater
„Freuhoit in Kräääh-Winkel“ im Theater Viel Lärm um nichts
Sein Name taucht schon lange nicht mehr auf Münchner Bühnen auf: Johann Nepomuk Nestroy. Den Wiener Meister des Genres „Posse mit Gesang“, der gerne Honoratioren und Kleinbürger mit satirisch-parodistischem Blick studierte, holt nun ein Theater zurück ins Licht, das gerne mal in der Versenkung der Theaterhistorie wühlt: das „Viel Lärm um nichts“. Mit „Freiheit in Krähwinkel“ reagierte Nestroy 1848 in einer kurzen Phase ohne Zensur auf politische Zeitumstände und zeigte, was in einem Kaff, in einer Gesellschaft passiert, wenn auf einmal so komische Sachen wie Freiheit und Denken aufkommen.
Die Theater-Chefs Andreas Seyferth und Margrit Carls lassen ihre Bearbeitung „Freuhoit in Kräääh-Winkel“ in einem alpenländischen Absurdistan spielen, der Himmel weiß-blau, Vögel zwitschern, die Dialekte mischen sich, die Klamotten auch: Man trägt Sakko zum Dirndl. In diesen Ausriss eines Gesellschaftsmodells bricht ein: Ultra. Ganz in Schwarz ist er Zauberer, Zampano, Zorro mit spaciger Brille und Zylinder, ein Zeitreisender in Sachen Aufklärung. Und schon kommen den Männern und Frauen, Bürgermeister, Klempner, Nachtwächter, Gspusi usw. Gedanken: mutige, besorgte, verträumte, ängstliche.
In dem Pasinger Theater drehen sie ein mächtiges Rad: Wortwitz, Literaturzitate und jede Menge Anspielungen, von Büchner bis PayPal. Gefühlt geht es um alles: um Machtgefüge und Zensur, um Bürokratie und Abschiebung, um Theater und Zeitungen, um Albträume, Militärmacht, Digitalisierung, das F-Wort, das keiner aussprechen darf: Freiheit. Und die KI kommt auch noch und sagt unverhohlen, was kommt: „Kreativität, Geist, Seele … die Zukunft hat dafür keine Verwendung“.
So hetzen wir fröhlich durch die Triggerpunkte von heute. Das Tempo ist hoch, der rote Faden verheddert sich schon mal – was Wunder: die neue Unübersichtlichkeit der Welt lässt grüßen. Das Ensemble macht aus dieser Zeitkritik-Sause eine köstliche: Neben Leon Sandner (als Ultra) Judith Bopp, Denis Fink, Alexander Wagner, Lisa Weismeier, dazu Ardhi Engls Klangerfindungen und passende Musikzitate: „Ein Loch ist im Eimer“. Keine Schenkelklopfer-Posse, sondern herrlich anarchischer Denkausflug.
„Frieden kriegen“ in der Schauburg
Das „Mahabharata“ ist ein legendäres Epos der indischen Literatur, entstanden vor rund 2.500 Jahren. Mit 100.000 Versen ist es eine Heldengeschichte und ein kulturell wie religiös-philosophisch prägendes Werk. Kerstin Engel hat sich für die Schauburg den Hauptstrang daraus vorgenommen. Am Beispiel eines Generationenkonflikts blickt sie auf sehr grundlegende Themen und Werte: „Frieden kriegen“ erzählt vom Kampf Gut gegen Böse, von Macht, Loyalität und Menschlichkeit in einer königlichen Familie.
Diese besteht aus zwei Linien. Die drei Pandavas kommen nach Hastinpur zurück. Ihr Vater hatte einst auf den Thron zugunsten seines Bruders (aus der Linie der Kauravas) verzichtet, und dessen Sohn Duryodhana (ein dunkler Bad Boy: Anh Kiet Le), unterstützt von einem verschlagenen Einflüsterer (Simone Oswald), spekuliert nun auf die Thronfolge. Logisch, dass er die Rückkehr seiner drei Cousins gar nicht lustig findet. Das bedeutet womöglich Thronkonkurrenz, und die ungleich stärkeren, weil menschlicheren Persönlichkeiten sind sie auch noch: Sibel Polat, Hardy Punzel und Janosch Fries spielen sie. Wie sie loswerden? Tricks und Intrigen funktionieren nicht. Also: Krieg. Doch den wollen die Pandavas nicht.
Regisseur Marcel Diaz gelingen auf der Holzbühne, einer liegenden, begehbaren Acht um aufgerichtete Bretter und Traversen, 75 spannende und nachdenkliche Minuten, ein Kampf der Worte und mit Waffen (toll mit Stöcken choreografiert), effektsicher unterstützt von Nebel, Lichtregie und musikalischer Dramatik. Bewusst wird keine indische Geschichte erzählt, die Kostüme spielen mit Tradition und Moderne, die Sprache ist heutig, das steife Versmaß des alten Epos ist weg, ein Erzähler (David Benito Garcia) sortiert den Stoff und greift auch ein. „Frieden kriegen“ stellt klug höchst aktuelle Fragen. Ein Konflikt ohne Frieden und Kompromisse – wir denken an Putin und die Ukraine, ohne dabei mit dem Zeigefinger darauf zu zeigen, das braucht dieser Abend nicht. „Was soll ich tun?“ heißt die finale Frage, sie richtet sich ans Publikum. Großer Jubel.
„Der Untertan“ im Teamtheater
Heinrich Manns bekanntesten Roman „Der Untertan“ bringen diese Saison gleich zwei
Münchner Bühnen: das Cuvilliéstheater (Premiere: Oktober) und das Teamtheater. Hier ist Diederich Heßlings Aufstiegsgeschichte vom „weichen Kind“ zum manisch kaisertreuen Fabrikbesitzer ein temporeicher Bilderbogen in Schwarz-Weiß. So sind die Kostüme gehalten, die in der erzählten Zeit bleiben (zweite Hälfte 19. Jahrhundert), und auch die verschiebbaren Fotowände: großbürgerliches Wohnzimmer, Kaiser auf Pferd vor Brandenburger Tor. Regisseur Georg Büttel kennt kleine Bühnen mit beschränkten Möglichkeiten, hier braucht er noch drei überdimensionale Klopapierrollen (Heßling wird ja Papierfabrikant), sie sind Sitzgelegenheit, Bett, Podium. Ein bisschen Video, ein paar Sound-Loops, der Rest ist Text und Spiel.
Büttels Textfassung, ein Mix aus Erzählung und Dialog, hat alles Relevante drin: Kindheit, Prügel vom Papa, Schule, Studium in Berlin, „Konkneipant“ in der Studentenverbindung, Mensur, Militär, Liebeleien und Ehe, Antisemitismus, Fabrikbesitzer, Arbeitskonflikte, die Begegnung mit Kaiser Wilhelm. Die Textmenge ist beachtlich, das kleine Ensemble aus drei Schauspielern bewältigt diese aber mit gefühlter Leichtigkeit. Johannes Schön ist ein groß gewachsener Heßling, zunächst nicht unsympathisch folgt man gespannt seiner Wesensänderung vom großäugigen Jungen zum dickbäuchigen Mitläufer, unangenehmen Machtmenschen, Kaiser-Fan: nach oben buckeln, nach unten treten. Jan Walter und Franziska Maria Pößl (Sonderapplaus, sie ist erst auf halber Strecke der Produktion eingestiegen) switchen bestechend durch unzählige Rollen: Ehefrau, Geheimrat, Polizist, Arbeiter, Friseur. Diese Rollenwechsel, mal schnell die Mütze gewechselt oder einen Morgenmantel übergeworfen, sind der besondere Reiz dieser Aufführung. Georg Büttels ideenreicher Zugriff hilft, sich in Personalstärke und Rasanz des gut zweistündigen Abends zurechtzufinden. Leider verführt den Regisseur die beabsichtigte Nähe zur Stummfilm-Komik zu ein bisschen vielen Gags, was die Schärfe der Satire doch deutlich in Richtung Klamauk verschiebt. Trotzdem: Großer Jubel, vor allem für ein exquisites Schauspiel-Trio.
