Bühnenschau: Shakespeare und Co.

Aktuelle Stücke an Schauburg, Kammerspiele, Viel Lärm um nichts und Residenztheater

„Endland“ in der Schauburg

Wie schaut das aus, wenn die Rechten an der Macht sind? Martin Schäubles Jugendroman von 2017 ahnt schon im Titel, was kommt: „Endland“. Diktatur, klare Ansagen, was deutsch ist, „Ihr seid Wölfe, keine Schafe!“, brüllt der Offizier in Bomberjacke (David M. Campling), Fehler korrigiert Cindy, die allpräsente KI. Deutschland 2030, ein düsteres Land.

Düster wie die Bühne in der Schauburg, die den Roman nun als „Doku-Dystopie“ (unter Mitarbeit des Autors, mit ein paar Änderungen) ins Theater bringt. Eine dunkle Kasernenhalle, ein paar Matten, davor eine transparente Leinwand: per Splitscreen sehen wir schnelle Schnitte von News, TikTok-Happen, stilisierte Kampfszenen wie aus dem Modellbauland. Und zwei Rekruten, aus Überwachungsperspektive oder mit direktem Spiel in die Kamera, junge Grenzbewacher (und ihre Nähe zeigt mehr als nur eine Arbeitsbeziehung): bei Anton (Janosch Fries) hat die Gehirnwäsche voll durchgeschlagen, doch er wird ins Grübeln kommen, Noah (Hardy Punzel) opponiert von Beginn an gegen die „Neue Alternative“, er flieht in den Widerstand. Dazu kommt die Geschichte von einer, gegen die sich dieses Land abschottet: Nergiz, eine junge Kurdin. Sibel Polat vermittelt hoch authentisch, was es heißt, von Politik und Klima aus der Türkei vertrieben zu werden, und was Flucht bedeutet.

In der Regie von Katharina Mayrhofer gelingen hundert heftig beklatschte Minuten, die unbedingt etwas wollen. Mit konzentriertem Spiel und bedrohlichem Setting nachvollziehen, was Leben in einem unterdrückten Land heißt – und klarmachen: wer solche Zustände nicht will, muss aktiv werden. Aktuelle AfD-Zitate rücken diese drohende Zukunft in erschreckende Nähe – ob man die Zielgruppe 14+ allerdings mit Agitprop ins Denken und Handeln kriegt? Egal. „Endland“ ist beklemmende Aufklärung, spannend gemacht. Und super Diskussionsstoff.


„Was ihr wollt“ in den Kammerspielen

(c) Korbel

Die belgische Regisseurin Lies Pauwels arbeitet erstmals an den Kammerspielen. Bei ihrem Theater entsteht viel aus Improvisation mit dem Ensemble. Damit wir uns in ihrer Sicht auf William Shakespeares „Was ihr wollt“ aber nicht zu sehr verheddern, sortiert uns eine Kinderstimme vorab die Personenzusammenhänge. Und die sollten gut im Kopf bleiben, denn Pauwels spielt vogelwild mit den verschachtelten Love Interests. Mal Original-, mal andere Texte, mal deutsch, mal englisch, die Kostüme kombinieren elisabethanisch mit enganliegenden Sportdresses, durch die Schminktische auf der Bühne schiebt sich schon mal ein Roy-Lichtenstein-Bild, als Andy Warhols ikonische Monroe sind zu Beginn alle gestylt beim Rollen-Casting.

Körperlich intensiv, stimmlich meist über Mikro, mäandern diese gut zwei Stunden durch alle möglichen Volten: Existenz- und Rollenhinterfragung, Befindlich- und Eitelkeiten, Sehnsucht nach Liebe sowieso, und alles kräftig emotional aufgeladen durch tonnenweise Musik und Songs quer durch die Epochen: von Vivaldi bis „Je t’aime“ und Bowies „Life on Mars“. Mit fast grenzenloser Experimentierlust wird aus dem Liebeswirrwarr eine Nummernshow der suchenden und fühlenden Egos. Ein wilder Theaterritt mit natürlich tollen Darstellern (u.a. Wiebke Puls, Christian Löber, Erwin Aljukić), überbordend, lustig, auch berührend, aber auch ganz schön kognitiv überreizend. Trotzdem: großer Jubel.


„Bin nebenan“ im Theater Viel Lärm um nichts

Kann sein, dass einem der Name Ingrid Lausund nichts sagt. Beim Stichwort „Tatortreiniger“ aber könnte es klingeln: denn sie hat, unter dem Pseudonym Mizzi Meyer, die Drehbücher zu dieser Grimme-Preis-gewürdigten Ausnahme-TV-Serie geschrieben. Waren es da die abgedrehten Dialoge, so ist es bei „Bin nebenan“ die Kunst der Monologe. Und die Autorin kann auch das.

„That’s life“ wird die Schauspielerin Christine Garbe am Ende im Theater Viel Lärm um nichts singen und mit dem Frank-Sinatra-Klassiker und ihrem gelben Koffer von der Bühne gehen. Zuvor hat sie alles darin verstaut, was sie an diesem zweistündigen Abend gebraucht hat, um genau in das zu schauen, was der Song thematisiert: mitten ins Life. Aus Lausunds Monolog-Sammlung (von 2008) wurden sieben Texte ausgewählt, jede Szene ein Kurzdrama, privates Schicksal gepaart mit Sozial- oder Konsumkritik, und immer mit dem Wunsch nach einem Ort, wo man hingehört.

Dementsprechend haben diese „Monologe für zuhause“ alle mit Wohnen zu tun, die Szenen heißen etwa „Esstisch“, „Badezimmer“ oder „Grundstück“. Eine junge Frau wohnt in einer wunderschönen Wohnung, aber die Liebe geht grad in die Brüche. Eine andere träumt sich von der marmorierten DC-Fix-Folie im Baumarkt ins venezianische Palazzo-Bad. Eine dritte versinkt derart im Luxus, dass die Sachen um sie herum gar keine Namen mehr haben, sondern nur noch mit Geldbeträgen bezeichnet werden.

Am Theater Viel Lärm um nichts (das bei diesem Gastspiel kooperiert) kann man einmal mehr bestaunen, wie wenig gutes Theater braucht. Auf der leeren Bühne ein Tisch mit Hocker, ein paar Klamotten, und zwei, eine Schauspielerin und ein Regisseur, die ihren Job lieben. Christine Garbe gestaltet mit unglaublicher Wandlungsfähigkeit zig Rollen, zwischen freudigem Grinsen und Tränenstau, genervt-zynisch, in finanzieller Existenzangst oder als zurückgebliebene Jugendliche. Sie kann wollüstig im Badewasser schwelgen oder ernst in einer Zwischenwelt dem eigenen Tod hinterherreflektieren: eine Achterbahn der Emotionen. Auf der Regisseur Georg Büttel durch alle Stimmungswechsel hindurch sicher bremst und beschleunigt, und so werden aus Lausunds Figuren mit ihren manchmal etwas verschrobenen Phantasien, ihren Ängsten und Macken vertraute Mitmenschen. Standing Ovations für ein grandioses Solo (nur vom 25. bis 29. Juni).


„Romeo und Julia“ im Residenztheater

Noch ein Shakespeare, wieder geht’s um Liebe, „Romeo und Julia“, die alte Geschichte der beiden jungen Verknallten aus zwei verfeindeten Familien. Im Residenztheater ist das nun in der Regie von Elsa-Sophie Jach ein durchdachtes, temporeiches Spiel, mit Kostümen, die witzig Historie und Moderne zitieren, und einem genialen Hauptdarsteller: in Form eines mächtigen Quaders aus weißen Metallstreben, der sich zur vielschichtigen Spielfläche auffächern lässt (Entwurf: Marlene Lockemann). Ein Kunstwerk, das förmlich herausfordert zum Rumturnen, Rauf- und Runterwetzen, Verstecken.

Was gut zu dem Drive passt, den Jach diesem Klassiker verordnet, nicht nur durch viel  Bewegung, sondern auch durch stärkere Fokussierung auf die Rolle(n) der Frauen. Ein paar Texte kommen hinzu von den ersten englischen Autorinnen (zu Shakespeares Zeit um 1600 war schreiben und Theater spielen reine Männersache), Pia Händler verleiht ihrer Amme bestimmt und witzig Omnipräsenz, und Romeos Freund Benvolio ist auch eine Frau: Lisa Stiegler behauptet sich deutlich, wenn Mercutio (Patrick Isermeyer) seine Wortwitzchen macht.

Und Julia? Emanzipiert sich einfach vom Tod. Denn bei aller Verliebtheit, die Lea Ruckpaul und Vincent zur Linden als Titelpaar herrlich auskosten (die Kamera bringt das porentiefgroß auf die Leinwand): Julia ist hier die stärkere, reflektiertere, Selbstbestimmung ist ihr wichtig – mögen ihre Eltern im overstylten Seventies-Chic (Oliver Stokowski, Barbara Horvath) noch so sehr andere Heiratspläne haben. Jahre später blickt Julia ergraut ins Grab ihres Ex-Geliebten Romeo – so beginnt der Abend.

Drei Stunden (mit Pause), Standing Ovations. Das Resi dürfte mal wieder einen Renner haben.