Bühnenschau XL: Zwischen Leere und Chaos

Aktuelle Premieren an Residenztheater und Volkstheater, im Metropol und an den Kammerspielen.

„Warten auf Godot“ im Residenztheater

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Wer den Theaterklassiker des 20. Jahrhunderts schlechthin machen will, „Warten auf Godot“, weiß, worauf er sich einlässt: keine Textänderungen, die Rollen dürfen nur Männer spielen, und der Baum im Stück muss szenisch auch immer präsent sein. Samuel Beckett (1906 – 1989) wacht sozusagen immer noch über sein 1953 uraufgeführtes Werk – und Claudia Bauer greift das für ihre Inszenierung ironisch auf: als KI-Video-Riesenkopf, eine dicke, rote Lippe riskierend, erteilt Beckett himself sehr bestimmt Regieanweisungen und blickt streng auf das schräge neonbeleuchtete Spiel-Viereck vor ihm.

Der Abend beginnt mit Dosenbier per Live-Kamera aus der Schauspielergarderobe, er wird auch dort enden. Dieser „Godot“ am Residenztheater, mit dem rätselhaften Warten auf einen, der nie kommt, den es womöglich gar nicht gibt, ist bewusst als Spiel gesetzt, ein Spiel im Theater. Ohne die Suche nach schlüssiger, gar heutiger Interpretation, eher eine Nummernrevue der Vergeblichkeiten, musikalisch unterstützt von einer Dreier-Combo (Piano, Cello, Schlagzeug). Eine Sinnsuche mit Slapstick und Spielwitz: Florian von Manteuffel und Max Rothbart als Wladimir und Estragon sind ideal besetzt, zwei Clowns, die Anzüge zu groß bzw. zu klein, Melone auf dem Kopf, tänzelnde Gaudiburschen, die sich streiten und versöhnen.

Mit Pozzo und Lucky bricht in die Leere ein bisschen, wenn man so will, Zeitbezug ein: Michael Goldberg als Pozzo, Basecap zu Krawatte und Mantel, ist ein Mini-Trump. Der Knecht zu diesem Herrenmenschen explodiert förmlich – ist die Leine, an der er hängt, mal locker – in einer zotigen Suada: Lukas Rüppel. Zweidreiviertel Stunden (mit Pause), ein paar Längen und für manchen wohl etwas zu viel Klamauk: im großen Beifall ein paar deutliche Buhs für die Regie.


„Kurzschluss“ im Metropol

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Thema Autismus, und dann auch noch Mitmachtheater…? Man ist erst mal skeptisch, macht man sich mit solchen Infos im Kopf auf den Weg ins Metropol. David, bärtiger Kreativer im schwarzen Pulli, eröffnet das Zwei-Personen-Stück mit einem Vortrag, der erfolgreiche Kinderbuchautor wird allerdings unterbrochen, vom Handy: Neta ist dran, seine Frau. Es geht darum, Sohn Leonhard von der Kita abzuholen. Ein Problem, das sich lösen ließe. Aber die Sache ist größer: der Sohn ist Autist.

Noa Lazar-Keinan, israelische Schauspielerin und Autorin, geboren 1977, hat selbst Erfahrung mit dem Thema und was das mit einer Familie macht, den Eltern im Besonderen. In „Kurzschluss“ sehen wir in kurzen Szenen und Rückblenden wie die Normalität des Alltags sich ändert, die Tochter leidet, die Großeltern sich einmischen, und wie David und Neta nur langsam sich im neuen Chaos zurechtfinden und Grenzen neu definieren müssen. Was nicht immer geht: dann ergreift Neta auch mal die Flucht, in ein tolles Hotel, samt rotem Satin-Kleid und Schampus.

Es könnten betroffenheitstriefende eineinhalb Stunden werden – sie sind es nicht. Denn zum einen hat man sich klug dafür entschieden, das Stück nicht auf der normalen Bühne, sondern im Metropol-Café zu machen (Regie: Philipp Moschitz). Und zum anderen nimmt die Autorin der Thematik von Anfang an die Berührungsangst, indem das Publikum miteinbezogen wird: mal muss jemand das Handy bedienen oder eine Diagnose vorlesen, müssen wir alle mitsingen, und ja, auch die zwei Kinder – Leonhard hat noch eine Schwester – müssen mal kurzzeitig verkörpert werden.

Diese interaktive Herausforderung lösen Genija Rykova und Bijan Zamani (beide von ihrer Zeit am Residenztheater in bester Erinnerung) so charmant, dass man keine Bedenken haben muss als Zuschauer. Das Elternpaar Ende 30, Anfang 40 spielen sie nicht nur im und mit dem Publikum (Spontankomik garantiert), sie bleiben immer in der Psyche ihrer Figuren, zwischen Überforderung, Wut, auch Trauer, und in der großen Kraft, die den Laden zusammenhält: die Liebe in einer Familie. Großer Applaus.


„Die Nashörner“ im Volkstheater

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Noch ein moderner Klassiker, diesmal auf dem Spielplan des Volkstheaters: Eugène Ionesco (1912 – 1994) war Spezialist in Sachen absurdes Theater und so tauchen in seinem Stück von 1959 „Die Nashörner“ eben nicht nur ein, sondern gleich mehrere Rhinos auf: eine Kleinstadt wird tierisch unterwandert. Und wie reagiert die Gesellschaft darauf? Mit Vernashornung! Also: erst Irritation, dann Faszination, schließlich Anpassung. Bis es zu spät ist.

Die Anzahl der Nashörner nimmt weltpolitisch gesehen ja gerade überproportional zu, Gründe dieses Stück rauszuholen gibt es also reichlich. Ionesco selbst hat es ausdrücklich als „politisches Stück“ verstanden, aber die Wiener Regisseurin Anna Marboe geht der Aktualität nicht auf den Leim. Ein paar minimale Anspielungen reichen, ansonsten spricht diese gut 100-minütige Sause, diese temporeiche, aberwitzige Parabel auf die Verführbarkeit des Volkes in ihrer zeitlosen, wunderbar comichaften Überhöhung für sich selbst.

Auf der simplen Bühne, weiße Hausfassade in grünem Ambiente, wird viel getanzt und gesungen: von beeindruckendem Choral-Gesang bis zum wilden Ausflippen. Denn das ist Marboes Kniff: die Nashörner ergreifen die Macht via Musik. Und so werden die Bewohner nach und nach gepackt, quer durch die Stile, von Elektrobeats bis Neue Deutsche Welle, von 50er-Jahre-Schlager bis Disco. Sounds, die man erkennt und doch nicht: es ist KI-generierte Musik, Musik, die alles kann, aber hohl bleibt, beliebig, künstlich. Das Ensemble des Hauses ist mal wieder zum Niederknien, im Mittelpunkt die Einzige, die nicht mit der Masse schwimmt: herrlich tragikomisch Maximiliane Haß. Schräg stilisiert, mitreißend choreografiert, mit Präzision und Timing: die schmerzhaft lustige Massenpsychose von „Kleinkarierten“ (was die Tweed-Muster der Kostüme witzig unterstreichen). Der Jubel: bedrohlich für die Statik des Hauses.


„Katzelmacher“ in den Münchner Kammerspielen

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Holzschnittartige Typen, karge Sprache: so sind die Figuren aus den frühen Stücken von Rainer Werner Fassbinder (1946 – 1982), als er mit seinem Theater in München Sehgewohnheiten sprengte. Die Neuinterpretation von „Katzelmacher“, des1968 uraufgeführten Gastarbeiter-Stücks,nun an den Münchner Kammerspielen geht auf größtmögliche Distanz zu dem jungen Wilden und seinem von Marie-Luise Fleißer beeinflussten Volkstheater-Begriff.

Ofenklappe oder Höllentor: krächzend öffnet sich eine von Video-Grafiken umspielte Pforte und gibt den Blick frei, auf immer wieder neue Situationen: Mannsgroße Katzen in Plüsch-Ambiente, Horror-Diner bei der Addams-Family, spießige Wohnkultur. Eine Stationen-Dramaturgie, in eigenwilligen Szenarien, alptraumhaft, künstlich stilisiert, auch animiert, spiegelt sich Fremdsein und Rassismus.

Das Thema ist also geblieben in diesen 90 Minuten, die Regisseur Emre Akal zusammen mit dem Künstlerduo Mehmet und Kazim Akal erdacht hat, aber Fassbinders Hauptfigur Jorgos, der Fremde, hat hier keinen Namen mehr und auch keine Sprache. Edmund Telgenkämper ist ein Unermüdlicher, der tapfer dabeibleibt, bei allen Distanzspielchen. Das übrige Ensemble – u.a. Annika Neugart, Annette Paulmann, Stefan Merki – formt eine Umwelt in eigenartigem Schwebezustand, mit einer Sprache aus Feststellungen, nie psychologisch, gestanzt. Am Ende versucht der Fremde dann doch noch das Reden: „Liebe… Vernunft“. Aber die haben hier keine Chance, lärmend kärchert ein Bühnenarbeiter dazwischen. Starke Bilder, die nachhallen, die Resonanz: begeistert.