Atmet seit Babyzeiten Volksfest-Luft: Yvonne Heckl

„Ein bisschen nach der Mode gehen“: Yvonne Heckl, Sprecherin der Wiesn-Schausteller, im Interview

Flotte Sprüche, deftiger Geschmack: Yvonne Heckl, Sprecherin der Wiesn-Schausteller, rät zur Gelassenheit auf dem schönsten und größten Volksfest der Welt

Frau Heckl, Sie vertreten die Schausteller auf der Wiesn – und das schon in langer Familientradition.
Ich wurde schon als Baby im Kinderwagen über die Theresienwiese geschoben.

Mit welcher Anspannung, mit wie viel Vorfreude, geht man denn an die Wiesn – und lohnt sich vielleicht noch im letzten Moment ein verlässliches Ritual? Es muss ja nicht gleich eine kleine Wallfahrt sein, damit es eine gute Wiesn wird.
Die Wiesn ist generell die Schaufensterveranstaltung im Jahr für jeden Schausteller. Wer es dahin geschafft hat, hat alles richtig gemacht. Der gehört dann schon zur Crème de la Crème.

Es herrscht ja schon Wettbewerb, einen Platz auf der Wiesn zu ergattern.
Die Veranstaltung ist allein mit ihrem Ausmaß von 64 Fußballfeldern wirklich mehr als beeindruckend. Im Vorfeld ist man schon angespannt und legt auch Wert darauf, sich gemeinsam einzustimmen. Wir werden dann einen Sonntag vor der Wiesn einen gemeinschaftlichen Gottesdienst haben. Und während der Wiesn gibt es natürlich unseren traditionellen Schausteller-Gottesdienst, auf dem dann auch das eine oder andere Kind getauft wird.

Über Yvonne Heckl

Immer auf dem Platz: Während der Oktoberfest-Aufbauphase hat Yvonne Heckl ihr Büro in einem Container der Wiesn-Kantinen. Und schon als junge Frau unterstützte sie ihre Familie etwa bei der Zugspitzbahn oder dem Traumschiff. Als Sprecherin der Schausteller ist sie ein wichtiges Bindeglied zwischen Stadt, Öffentlichkeit und den Wiesn-Betreibern. Und sie ist eine Frau, die Tradition wertschätzt – auch für die Oide Wiesn mit ihren historischen Schausteller-Betrieben. Unter dem Jahre legt Heckl sich auch etwa fürs Frühlingsfest oder das Magdalenenfest im Hirschgarten kommunikativ ins Zeug. www.muenchner-volksfeste.de 

Lebensgeschichten von Schaustellern klingen ja manchmal auch wie Zirkusromane. Sie sind viel unterwegs, rund um das Jahr auf Achse. Trifft sich dann wirklich auch so was wie eine Gemeinschaft wieder, wenn die Wiesn losgeht und alle ihre Sachen aufgebaut haben?
Das beginnt schon mit dem Aufbau. Dort sehen wir Leute, die wir sonst nur einmal im Jahr sehen – gerade auch die Handwerker, die mit der Wiesn zu tun haben. Meist ist auf dem Oktoberfest ja so ziemlich die ganze Familie mit ihren eigenen Betrieben vertreten. Für die Schausteller ist so ein Zusammenkommen natürlich immer etwas Besonderes.

Erzählen Sie doch von sich selbst: Ihre Familie hat doch mit der Zugspitzbahn zu tun, oder?
Das ist ein Cousin von mir. Mein Vater hat Musikanlagen und Steuerungen für Karusselle, also für die Schausteller, betrieben. Er ist leider schon tot, hatte sich aber einst auf der Wiesn in meine Mutter verliebt. So kommen meine engen Verbindungen zur Schaustellerei zustande. Meine Eltern waren selbst nie auf den Volksfesten unterwegs, aber natürlich immer vertreten, wenn es irgendwas zum Reparieren gab, wenn eine neue Musikanlage installiert wurde oder wenn wir einfach die Familie besuchten. Selbstverständlich habe ich dann auch in den Ferien oder während dem Studium der Familie geholfen, weil Personal immer schon knapp war. Also saß man dann auch in der Chipkasse der Zugspitzbahn.

Sie erinnern sich ja auch teilweise an eine Zeit vor den Handys: Wie hält man denn überhaupt den Zusammenhalt und den Kontakt, wenn früher ganze Schaustellerfamilien das Jahr hinweg über die Länder verstreut und auf ganz verschiedenen Festen unterwegs waren?
Der Wiesn-Termin stand natürlich bei jedem dick markiert im Kalender. Und generell hat ja fast jeder Schausteller so eine gewisse Route, wo die Eltern schon hingefahren sind. Dann liegt es nahe zu sagen: Den Platz schreibe ich wieder an!

Auch, wenn man schon vorher vor Ort war?
Sie bewerben sich jedes Jahr neu für ein Volksfest. Das Gute ist aber: Vom Lauf her wissen alle, wo steht wer. Früher, als es noch kein Handy gab, hat man die Freunde, Familie natürlich auch besucht, um sich abzustimmen. Und es gab damals etwas Tolles: den Zeltanschluss.

Was war das?
Große Unternehmen bekamen oft auf jedem Volksfest einen temporären Telefonanschluss. Das war damals noch ein bisschen einfacher von der Technik her. Oder man ist einfach mit einer Tasche voll Kleingeld in eine Telefonzelle gegangen und hat mal wieder alle durchtelefoniert.

Eigentlich ist es ja der Bereich, der das Oktoberfest-Publikum wegen der entsprechenden Absperrungen nichts angeht. Trotzdem staunt man schon, was für riesige Caravans hinter den Zäunen auf der Wiesn parken. Das ist schon eine Art zweite Welt, in der man als Schausteller unterwegs ist?
Das kann man schon so sagen. Wobei man ja solche Fahrzeuge auch vom Campingplatz her kennt. Ähnlich ist es bei uns. Allerdings sind die Wagen von der Einrichtung dann schöner gestaltet, weil sie ja ein echtes Zuhause für jeden Festplatz sein müssen. Natürlich gibt es diese ganz großen Wohnwagen, die auch mit den finanziellen Mitteln des Betriebs zu tun haben. Wer einen großen Betrieb führt, muss auch für viel Personal kochen. Da wohnen dann schnell mal zehn bis 20 Mann. Dann braucht man einfach einen entsprechenden Wohnwagen.

Was kostet denn so ein Großfahrzeug?
Man wird schon relativ viel Geld los. Früher hätte man gesagt: ein kleines Einfamilienhaus, irgendwo „jwd”. Aber in so einem Truck wohnen viele Schausteller ja auch für 30, 40 oder 50 Jahre, das darf man nicht vergessen. Von Ostern bis November ersetzt ihnen das ja ihr Zuhause. Viele der Schaustellerfamilien haben nur eine kleine Wohnung – als Anlaufstation für den Winter.

Über Modebegriffe wie Work-Life-Balance und die viel gepriesene Trennung von Arbeitsstelle und Freizeitbereich können Schausteller wahrscheinlich nur müde lachen, oder?
Ich denke, unsere Work-Life-Balance ist genau ein und dieselbe Sache: Wir machen das, was uns Spaß macht. Ich denke ohnehin, dass man nur einem Beruf nachgehen sollte, der Freude bereitet. Man muss doch seine Kollegen gerne sehen und Spaß daran haben, in der Früh in die Arbeit zu gehen. Bei uns ist das halt wie bei einem Landwirt: Arbeit und Wohnen ist untrennbar vermischt.

Klingt ausgeruht.
Klar, es ist keine reine Idylle, auch wir wollen Geld verdienen. Aber generell haben wir Schausteller Spaß an dem, was wir machen. Und so soll es eigentlich sein.

Was wissen Sie denn von den Kollegen: Wie hält man sich denn für zwei Wochen Dauerbelastung fit?
Das muss man sich wie ein Leistungssportlerprogramm vorstellen. Sie brauchen auf alle Fälle Disziplin. Das heißt: Jeden Tag früh aufstehen, Frühstück machen, Mittagessen kochen, in der Zwischenzeit gehen die dafür Zuständigen raus und kümmern sich um den Betrieb.

Wie sieht’s mit den Rollenverteilungen und den Klischees aus?
Ich sag mal so: Es gibt auch Männer, die besser kochen als die Frauen.

Aha.
Wenn’s um das Geschäft geht, wechseln sich unsere Leute ab – mit ihrem Partner oder mit ihrer Partnerin. Und in den Zeiten, in denen nicht so viel los ist, geht es darum, die Buchhaltung und Schreibarbeit zu erledigen oder ein – kaufen zu gehen. Und wenn es auf der Wiesn so richtig zur Sache geht, etwa wenn Familientag ist, dann geht man natürlich schon zu zweit ins Geschäft. 

Wie kommen denn die Leute, die bei den Fahrgeschäften an den Kassen und an den Mikrofonen sitzen, eigentlich an die lustigen Sprüche: Sind das Kollegen, die auch privat immer Vollgas geben – oder schalten die hoffentlich nach Feierabend auch mal wieder einen Gang runter?
In der Regel sind es schon lebensbejahende Menschen. Man muss sich das so vorstellen: Für die Schausteller-Kinder ist es auf dem Festplatz toll, wenn sie klein sind und sie dort in der Kabine bei den Eltern sein können. Dann fangen sie schon im Kindesalter damit an, auch mal eine Durchsage zu machen.

Verstehe. Früh übt sich.
So legt man einfach die Hemmungen ab, durchs Mikrofon zu sprechen. Der Rest kommt dann von ganz allein. Das Rekommandieren hat sich ja auch ein bisschen verändert. Einige Witze von früher gelten heute als nicht mehr lustig. Man muss eben ein bisschen nach der Mode gehen.

Wie schwer ist es, den richtigen Ton zu treffen?
Man muss sich daran orientieren, mit wem man es zu tun hat. Es kommt dabei darauf an, die Augen offenzuhalten: Was kommt an bei den Leuten, was für Menschen laufen aktuell überhaupt auf dem Festplatz herum? Man muss mit dem Publikum interagieren.

Wie sehr hing denn zwischendurch der Haussegen bei den Kollegen schief, als es hieß, bestimmte Motive auf den Schausteller-Dekorationen müssen vielleicht übermalt oder entfernt werden. War das schwer zu vermitteln?
Ich denke, es ist noch ein Prozess, in dem wir uns gerade befinden. Generell malt ja gar kein Mensch irgendetwas auf sein Geschäft, bei dem er davon ausgeht, dass er damit jemandem zu nahe tritt. Dass es jetzt zu diesem Erwachen kommt, bei dem es heißt, dies ist nicht mehr zeitgemäß und jenes ist nicht mehr zeitgemäß, wird jetzt einfach peu à peu nachgesteuert. Und dennoch braucht man eine Handhabe, was ist machbar und was nicht.

Wie meinen Sie das?
Eine Frau mit einem tollen Körper, die im Minirock an den Autoscooter gemalt ist: Ist das jetzt schon sexistisch? Oder ist es einfach eine Frau, die toll aussieht? Oder ein Mann, der einen muskulösen Körper hat oder in engen Shorts da steht: Gehe ich damit jemandem ans Herz und verletzte ich ihn schon damit? Es wird einen Lernprozess in den nächsten paar Jahren geben, in dem man nachsteuert.

Was in diesem Jahr auch neu sein wird: Es wird Trinkwasser frei auf der Wiesn geben.
Ich denke, Wasser wird nicht so ein großes Thema sein. Nimmt sich dann jeder ein Becherchen mit und sucht den Trinkwasserbrunnen? Es war immer schon so, dass sich die Besucher das geleistet haben, was sie konnten. Wer Wert legt aufs Karussell-Fahren, hat sich vielleicht zu Hause schon gestärkt oder nimmt sich was zu trinken mit. Sie dürfen ja nach wie vor eine Tasche auf den Festplatz bringen, die das Volumen von drei Milchpackungen haben darf.

Milch ist allerdings auch nicht das typische Oktoberfest-Thema.
Stimmt. Aber in so eine Tasche stecken Sie locker eine Brotzeit rein, wenn Sie das wollen. So kann man Geld sparen. Dann haben wir die Familientage, die preisgünstig sind. Generell sollte man eine Veranstaltung mit Freude besuchen und sich einfach überlegen: Was ist sinnvoll und was ist machbar für mich?

Na klar.
Wenn ich mich für Fahrgeschäfte interessiere, bin ich in der Schaustellerstraße bestens aufgehoben. Wer einfach nur flanieren möchte, braucht ordentliche Schuhe. So kann man sich alles ansehen, die Genüsse riechen, die Fassaden der Bierzelte oder die Brauereigespanne oder einfach nur die tolle Beleuchtung der Geschäfte bei Nacht bestaunen. Wir haben Corona hinter uns gelassen. Jetzt soll es eine Wiesn sein, die wir entspannt angehen und bei der wir einfach nur den Moment genießen sollten.

Interview: Rupert Sommer