Platten aus nah und fern für den Juni

Neue Scheiben von und mit Matt Berninger (The National), Oskar Haag, Les Millionnaires, Suzanne Vega, Stereolab, Arcade Fire (buh!), Sophia Kennedy und Miss Mellow

Matt Berninger – Get Skunk

Der Vorgänger von „Get Skunk“, das formidable „Serpentine Prison“ war 2020 eines meiner absoluten Favoriten. Für mich bis heute ein Meisterwerk, das ich regelmäßig höre. Umso schöner, wenngleich durchaus erwartbar, dass mich auch sein soeben erschienenes Solo-Album wieder voll erwischt. Nach überstandener Schreibblockade (und „Selbstekel“-Attacken) zeigt sich der The National-Sänger und -Texter wieder von seiner Schokoladenseite. Textlich steigt er wieder in die Echokammer seines eigenen Ichs: „Ich kann nicht widerstehen, auf den Grund meines Herzens hinabzusteigen, um zu sehen, was dort noch ist.“ Gut so, denn schon die erste Single, der stürmisch-treibende, mitreißend-hymnische Midtempo-Rocker „Bonnet Of Pins“, entführt uns in eine Welt der Missverständnisse und der Trauer, nicht ohne mit einem humoristischen Augenzwinkern darauf hinzuweisen, dass auch diese eher unangenehmen Facetten menschlicher Gefühlswelten, gelegentlich schon mal unfreiwillig komisch sein können. Vom Drive her kommt dem nur noch das von sphärischen Delay-Gitarren und ravigem Beat getragene, allerdings kontrastierend im Erzählton vorgetragene „Nowhere Special“ nahe. Die restlichen Songs sind eher getragen und faszinieren durch ihre Eindringlichkeit und Berningers Gespür für große Popmomente abseits des Mainstreams.

Oskar Haag – Field Of Love

Oskar Haag – Spross des The Naked Lunch-Bandleader Oliver Welter – ist ein ganz besonders liebens- und hörenswerter Singer/Songwriter aus Österreich, der noch sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Also, wer auf ebenso intimen wie internationalen Singer/Songwriter-Pop steht aufgepasst! Der Titelsong spiegelt den introvertierten, den nachdenklichen, ja den traurigen Oskar wider, der am Klavier sitzt und mit gedämpfter Stimme seinen Weltschmerz hinaus raunt. Der Opener „He’s Good“ könnte auch eine heimlich mitgeschnittene Live-Akustik-Session von den  Flaming Lips sein, „Child’s Mind“ ist eine zauberhafte E-Piano-Miniatur, bei „Anything“ schnallt sich Oskar dann wieder eine dünn klingende Gitarre um und „Love Of My Life“ zeigt den erst 19-jährigen Pop-Wunderknaben noch einmal von seiner – einem John Lennon nicht unähnlichen – überaus eindringlichen und zutiefst melancholischen Seite.

Suzanne Vega – Flying With Angels

Wer mag sie nicht, die Suzanne Vega und ihre Welthits „Tom’s Diner“ und „Luka“. Lange her, klar. Viele, viele Jahre war Sendepause, bis jetzt. Und dann geht das los mit dem Opener und gleichzeitig auch der ersten Single „Speaker’s Corner“. Textlich wichtig, musikalisch eintönig und alles in allem eher schwach. Gut, dass der geheimnisvolle Titelsong Spannung aufbaut. Genau so das – für ihre Verhältnisse ungewöhnlich rockige –  „Whitch“. Und so findet man nach anfänglichen Schwierigkeiten doch noch rein. Folkig – weil inspiriert von Bob Dylan – wird’s dann mit „Chambermaid“. Was folgt ist das lässig, ansatzweise auch soulige „Love Thief“ während ihr langjähriger Vertrauter und Gitarrist Gerry Leonard (David Bowie, Rufus Wainwright, Laurie Anderson u.a.) dann bei „Lucinda“ eine Rock-Riff raushaut, der – wie der ganze Song – als Hommage an die große Lucinda Williams gehört werden soll. (4.10. Isarphilharmonie)

Stereolab – Instant Holograms On Metal Film

Und noch jemand, sehr, sehr kultiges im Übrigen, die ebenso lange nichts mehr von sich hören ließ(en): Laetitia Sadier und ihre Stereolab. Sage und schreibe 15 Jahre ist das nun her, und ihr 13. Studioalbum nimmt einen mit auf eine geradezu nostalgisch-restrospektive Reise in eine Zeit in der Electro- und Indietronica noch in den Kinderschuhen steckten und zugleich mit Easy Listining und Krautrock fröhliche Urständ feierten. Das Stereolab – als Sperrspitze dieser musikalischen Liaison – nie an Bedeutung (und Wertschätzung) verloren haben zeigt sich zum einen an der ausgiebigen Welttournee mit jetzt schon zahlreichen ausverkauften Konzerten, aber eben auch an ihrem neuen Album, das so federleicht und dringlich zugleich daherkommt. (12.6. Feierwerk Hansa 39)

Sophia Kennedy – Squeeze Me

Wofür man das ARD-Kulturmagazin ttt (titel, thesen, temperamente) einfach lieben muss, dann dafür, dass hier eine Künstlerin wie Sophia Kennedy ein Forum bekommt. In Baltimore geboren, mit fünf Jahren in die niedersächsische Provinz verzogen, für ein Filmstudium nach Hamburg gegangen und dort bis heute wahlbeheimatet. Sophia Kennedy ist schlichtweg großartige, nicht nur wegen ihrer Musik. Diese speist sich – nicht gerade ungewöhnlich dieser Tage – aus Electro und Pop, so weit so gut. Textlich geht es auf „Squeeze Me“ um alle Schattierungen der Macht. „Squeeze Me“ steht der englischen Bedeutung der Worte nach für eine gewisse Ambivalenz zwischen Umarmung und zerquetschen, ausdrücken. Wunderbar alles, was sie im öffentlich-rechtlichen Viereinhalbminüter vor der Kamera äußert. Davon bitte mehr, sehr viel mehr… (9.6. Theatron Pfingstfestival Olympiapark und 13.10. Feierwerk Kranhalle)

Arcade Fire – Pink Elephant

Régine Chassagne – immerhin Frau von Win Butler und Musikerin bei Arcade Fire – sagt über ihren Mann und Bandleader, dass er ein guter Mensch sei. Und das obwohl Frontmann Butler gleich drei Frauen und eine nicht-binäre Person sexuelle Übergriffe vorwerfen. Diese, also die Vorwürfe, wurden erst totgeschwiegen, dann ausgesessen! Zumindest in der Öffentlichkeit. Und jetzt, wenn man also so dasitzt und dem neuen Album mit mehr als nur gemischten Gefühlen zuhört, und das ich obendrein (leider)  ziemlich gut finde, da fragt man sich warum Butler – anders als der Kollege Ryan Adams – nie gewillt war für Aufklärung zu sorgen. Um es mit den Worten von Zündfunk-Redakteurin Alba Wilczek – die einen wirklich lesenswerten Online-Kommentar auf BR dazu geschrieben hat – zu sagen: „Dieses neue Album von Arcade Fire fühlt sich komisch an – und das ist nicht gut so.“

Les Millionnaires – Should I pay or should I go

Mit „Cash or Card“ der ersten Single aus dem neuen Album von Sängerin und Universal-Künstlerin Fredo Ramone und dem Gitarristen und musikalischen Zeremonienmeister Christian Phonoboy ist ihnen mal wieder einer rausgerutscht. Allerfeinste Kapitalismuskritik im zackig-groovigen Punk-Format. Musikalisch bleiben sich Les Millionnaires treu, zur sägenden Riffrock-E-Gitarre und den Drumcomputer-Loops kommen diesmal eine Spur mehr Elektronik und Synthiebässe zum Einsatz. Und neben schnellen punkigen Nummern sind diesmal auch ein paar ruhigere und melancholische Songs dabei. Hinzu kommen zwei Coverversionen von The Doors und Attwenger aber natürlich auf französisch! (Plichttermin: 12.6. Unter Deck)

Miss Mellow – Dancing Through The Earth

Wer also dann doch mal den Drang verspürt einmal durch die Welt zu tanzen, bittschön: Seit 2019 machen die Münchner Miss Mellow nun schon den hiesigen Untergrund unsicher. Dabei tummeln sie sich mit größtmöglicher Spielfreude in psychedelischen Klangwelten irgendwo zwischen krautigem Psychedelic mit ausufernden Jam-Ausflügen, kantig-zackigem Funk umgarnt von dreckigem Fuzz, sowie fetten Stoner-Riffs und anderweitigen Psy-Eskapaden. In all dem bestechen Miss Mellow dennoch durch harmonisches Zusammenspiel innerhalb einer mutigen musikalischen Vielfalt, die sowohl zum Tanzen als auch zum Abtauchen einlädt. Ein „harmonischer Fusion-Ritt durch den Erdkern“ nennt das Info die ebenso schneidigen wie gelegentlich auch überraschende Wendungen nehmenden Klangexperimente. Besonders erwähnenswert finde ich hierbei, dass die mal als Trio mal als Quartett in Erscheinung tretende Formation auf einem griechischen Label namens Sound Effect Records heimisch wurde. Was dann genau was über den Mut der hiesigen Labels sagt? (11.6. Import Export)