105 Festivalfilme:Daniel Sponsel verabschiedet sich mit einem tollen Programm vom DOK.fest München. Er bleibt den Kinofans erhalten.
Herr Sponsel, Sie stehen kurz vor dem Dokumentarfilm-Jubiläumsfestival. Gleichzeitig steht dann aber schon eine ganz andere große Aufgabe später im Jahr an, wenn Sie die Präsidentschaft in der HFF München übernehmen. Wie viele Extra-Atem brauchen Sie aktuell?
Erst mal ist es ein gutes Timing, weil ich ja erst im Oktober anfange. Das heißt, ich kann das Festival noch vollumfänglich verantworten und mich sogar auch noch um die Auswertung, Nachbereitung und die Übergabe der Leitung an meine Nachfolgerin Adele Kohout kümmern. Das ist vom Ablauf gesehen perfekt.
Und die Hochschulaufgabe?
Ich arbeite mich jetzt schon ein paar Aufgaben in der HFF München ein. Das kann ich gut nebenbei machen. Es ist also keine große Zusatzbelastung. Es fügt sich gut in den Alltag, weil ich stattdessen jetzt ein paar andere Dinge weniger mache.
Welche?
Ich bin einer der SprecherInnen von Bündnis München Kultur. Dafür hatte ich mir zuletzt immer zwei, drei Stunden pro Woche Zeit genommen. Dort bin ich ausgestiegen. So gewinne ich Zeit, die mir für die Vorbereitung für die HFF München bleibt.
So tolle Aufgaben müssen doch auch Schwung geben. Kommen jetzt fette nach eher mageren Jahren, wenn man zurückdenkt, wie engagiert sie das DOK.fest München durch die Corona-Zeit geführt haben?
Für mich ist 2025 ein besonderes Jahr. Für die Arbeit in der Kultur wird es gerade nicht leichter. Es hat sich nach Corona halt einiges verschoben – die Auswirkungen sind noch immer spürbar. Nicht nur auf Seiten des Publikums, sondern jetzt auch auf Seiten der Förderungen und bei den Finanzmitteln der Partner und Sponsoren.
Sparzwänge?
Ja, auch. Es ist alles nicht einfacher, sondern vieles ist teurer geworden für uns. Das spürt man im Privatleben genauso. Die Kinopreise sind gestiegen, alle Dienstleistungspreise haben sich erhöht. Es ist also kein fettes Jahr, allenfalls ein emotional reiches. 40 Jahre sind ein Highlight. Ich arbeite jetzt auch schon seit 16 Jahren für das DOK.fest München. Nun kommt der Abschied. Das ist emotional bewegend.
Nicht zuletzt unter dem Druck einer sich verändernden Kino-Welt hatten Sie ja mit als Pionier Lösungen entwickelt, die bis heute tragfähig sind. Ist es besonders schwer den Zauberbesen, wenn man was Großartiges wie damals das digitale Festival, das dann in eine hybride Form überging, entwickelt hat, wieder zurück in den Schrank zu stellen?
Auch dieses Jahr wird es beim Festival wieder eine duale Form geben. Viele Festivals stellen den Zauberwesen wieder zurück: Sie haben die digitale Verbreitung von Filmen wieder komplett eingeschränkt oder sogar ganz zurückgenommen. Und ich möchte eigentlich auch gar nicht von einem Zauberwerkzeug sprechen. Ein Festival lebt von dem, was man Event nennt. Es geht mir um Gemeinsamkeit, um die Gäste im Kino und die Filmgespräche.
Warum halten Sie dann am hybriden Festival fest?
Den starken Gemeinschaftsgeist vor Ort gibt es bei uns auch. Aber für den Dokumentarfilm, der ja nicht so stark im Kino präsent ist und sonst keinen leichten Zugang zur größeren Verbreitung hat, ist das Digitale bei uns ein totaler Zugewinn. Es können so einfach Leute partizipieren, die nicht ins Kino gehen können.
Wen meinen Sie?
Der Fall ist schon gegeben, wenn jemand in Gauting wohnt und zwei schulpflichtige Kinder hat. Dann kann man nicht mal eben nach München fahren und als Eltern gemeinsam einen Kinobesuch wahrnehmen. Für solche Leute haben wir das digitale Zusatzangebot beibehalten. Es ist hoch gefragt, auch gut bewertet und hat sich bestens etabliert. Schöner wäre es schon, wenn möglichst viele Menschen vom Sofa hochkommen und sich die Zeit für uns einrichten.
Mit dem Technik-Siegeszug haben sich die Sitten verändert.
Jeder merkt selbst, dass man das aus dem Haus gehen ein bisschen verlernen kann. Gerade dann, wenn man sich über Streaming die Welt nach Hause holen. Das Verlernen ist das eine, zum anderen gibt es auf diesen Kanälen mittlerweile ein tolles Angebot – auch im Dokumentarfilm.
Sind ernste Zeiten mit enormem Erklärbedarf vielleicht sogar gute Zeiten für das Dokumentarische, weil die Weltlage zu verstehen, so schwer geworden ist?
Auf der einen Seite haben wir die Erfahrung gemacht, dass einige Menschen neben all dem, was in den Nachrichten thematisiert wird, nicht unbedingt Lust haben, im Kino, das ebenfalls reproduziert zu sehen.
Um sich stattdessen lieber unterhalten und ablenken zu lassen?
Sie wollen in jeden Fall eine Art von Bereicherung mit etwas Erfreulichem und nicht mit etwas Belastenden. Auf der anderen Seite gibt es einen großen Erklärbedarf. Und bei uns gibt es die Filme, die sich sehr intensiv den aktuellen Themen widmen. Mindestens drei Beispiele dafür sind in diesem Jahr herausragend.
Verraten Sie doch mal!
Zum einen zeigen wir den Film „Nobody Against Putin“. Das ist ein kurzweiliger Film über die Frage, wie die Propaganda Putins an Schulen in Russland funktioniert. Dann gibt es den Film „Facing War“: Ein Portrait über Jens Stoltenberg, den früheren Generalsekretär der NATO und seine diplomatischen Aktivitäten in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Und ein weiterer aktueller Film: „Blame“ von Christian Freiburg, der sich mit der Herkunft des Coronavirus befasst. Stammt es aus dem chinesischen Labor – oder nicht?
Und?
So viel sei verraten. Eine einfache Antworte gibt es in „Blame“ nicht. Das sind großartige Filme. Und ich bin mir sicher, dass sie das Publikum nicht unbedingt eine schlechte Stimmung bringen. Sie sind sehr gut gemacht: Echte Kinofilme – mit einem relevanten Hintergrund. Aber wir haben auch Filme, die deutlich stärker in Richtung Unterhaltung gehen.
Welche denn?
Ich freue mich zum Beispiel über das Porträt über Florian Paul und die Kapelle der letzten Hoffnung. Ein schöner Musikfilm. Und genau solche Filme passen bestens zu uns – und zum Jubiläum. Ein Dokumentarfilmfestival heißt nicht nur, dass jeder Film ein politisches Thema hat. Wir zeigen einige solcher Filme – weil sie gesellschaftlich relevant sind.
Sie haben ja nicht nur an der HFF viel mit dem Nachwuchs zu tun. Sind jetzt bei vielen Filmemachern die Zeiten angebrochen, an denen es sie besonders stark in den Fingern jucken, weil aktuell wichtige Filme gefragt sind?
Auf jeden Fall. Allerdings war das auch nie ganz anders. Nur sind die Möglichkeiten, Filme zu machen, einfacher geworden, weil die Technik wirklich liberalisiert wurde.
Wie muss man das verstehen?
Man kann heute mit simplen Mitteln einen Film machen, der aussieht, als ob er teuer gewesen wäre. Auch mit einem Smartphone. Die Kameras sind vorhanden, der Ton ist gut, das Equipment ist erstklassig. Auf der anderen Seite ist es nicht leichter geworden, mit solchen Filmen auch Geld zu verdienen. Es ist auf jeden Fall heute nicht einfacher, Filme finanziell auszustatten und dann vor allen Dingen spontan loszulegen. Das ist immer ein Problem bei Dokumentarfilmen. Man muss immer erst Förderungen beantragen, die Finanzierung absichern – und kann dann erst drehen.
Wer mit dem eigenen Handy einen Podcast aufnimmt oder selbst Bewegtbild auf Instagarm stellt, weiß allerdings, wie leicht es geht, sich der Welt mitzuteilen.
Klar. Das ist großartig. Man sogar fast schon professionell drehen und das Ergebnis in die sozialen Netzwerke stellen. Trotzdem: Es gibt dann aber doch noch einen wesentlichen Schritt bis hin zu einem echten Film. YouTube ist eine für alle zugängliche Plattform, auch wenn sie kein verlässlicher Weg ist, Geld damit zu verdienen. Aber ich kann immerhin eine Reichweite generieren – und meinen Namen als Filmemacher ins Spiel bringen.
Dann geht’s eines Tages selbst auf ein rauschendes Festival. Wie genau feiern Sie im Programm eigentlich das 40-Jahre-Jubiläum: Wie viel Erinnerung tut gut, wie groß ist die Angst, museal zu werden?
Beide Aspekte treiben uns um. Natürlich sind wir vor allem stolz auf 40 Jahre. Allerdings: So viel zu feiern gibt es nicht. Die Rahmenbedingungen, Filme zu machen, sind nicht gerade einfach. Die Welt befindet sich in Aufruhr. Wir wollen aber nach vorne schauen. Deswegen werden wir unsere Programmstruktur reformieren. Es geht darum, uns ein Stück weit neu zu erfinden.
So radikal?
Wir lösen die bisherige Reihenstruktur auf.
Einfach so?
Ganz wichtig: Die Wettbewerbe wird es selbstverständlich weitergeben. Aber alle Filme sind in diesem Jahr thematischen Reihen zugeordnet. Eine Reihe wird „Family Affairs“ heißen. Da geht es um Beziehung, Familie. Eine andere Reihe heißt „Turning Point in History“. Es soll ab sofort aus dem Reihenname hervorgehen, was es für Filme sind. Uns ist es ein Anliegen, dadurch unsere Arbeit beim Kuratieren der Filme sichtbar zu machen.
Und der Rückblick-Aspekt?
Natürlich gibt es zum 40-Jahre-Jubiläum auch eine Retrospektive. Und unsere Musik-Reihe mit Bands, die für unsere Dokumentarfilme immer so wichtig waren. Wir zeigen aus vier Jahrzehnten tatsächlich vier Filme, die wir noch einmal feiern wollen. Da darf dann natürlich „Citizenfour“, der berühmte Film über Edward Snowden aus dem Jahr 2014, nicht fehlen. Großartig, ihn wiederzusehen. Gleichzeitig auch traurig, dass seine Themen ja weiterhin aktuell sind.
Interview: Rupert Sommer
BU: Baut zum Stabwechsel das Festival noch mal um: DANIEL SPONSEL (Foto: DOK.fest München)
ZUR PERSON: Auf der langen Strecke unterwegs: Daniel Sponsel, Autor, Regisseur und Kameramann zahlreicher, auch preisgekrönter Dokumentarfilme sowie früherer Radrennfahrer, leitet das DOK.fest München seit 2019. Und dieses Jahr zum letzten Mal. Beim Fest übernimmt für ihn Adele Kohout. Sponsel wird Präsident der Hochschule für Fernsehen und Film, an der er auch schon länger unterrichtet.