Andrey von Schlippe kuratiert das neue Theaterlabor auf dem Tollwood. Wie er das Publikum einbezieht.
Herr von Schlippe, Performance, Gaukelei, Kabarett und Zirkus haben ja eine lange Tradition auf dem Tollwood. Wie kamen Sie auf die Idee, jetzt auch noch ein „Theaterlabor“ zu eröffnen?
Tollwood entwickelt sich immer weiter. Mit dem neuen Tollwood-Theaterlabor schaffen wir einen kleinen, aber feinen Raum unter Bäumen, in dem unser Publikum Theater ganz neu erleben kann. Nah dran, im Grünen, abgeschirmt vom Alltag.
In Laboren brodelt es ja. Dort wird getüftelt und ausprobiert. Und manchmal geht auch ein Experiment schief. Wie gut passt das zum Tollwood, wo man ja doch gute Erfahrungen mit Verlässlichem machen kann?
Tollwood geht gerne neue Wege. Und wir wissen, das Tollwood-Publikum geht gerne auf diesen Wegen mit. Unsere Besucherinnen und Besucher sind neugierig und offen für Neues. Und das neue Tollwood Theaterlabor passt zum Festival-Motto „Mut und Machen“ in diesem Sommer. Wir gehen einen mutigen Schritt und machen etwas Neues und vielleicht auch Unerwartetes, ohne das Bewährte zu verlassen.
Mit welchen Substanzen wird in Ihrem Labor experimentiert?
Die Substanzen im Theaterlabor, die wir mischen, sind: hohe Qualität, Künstlerinnen und Künstler, die überraschen können, Schauspiel und Poesie, Kreativität, Nähe. Das alles ergibt eine ungewöhnliche Theatermischung, die sich nicht in feste Genres einordnen lässt.
Welche Art von Künstler musste man sein, um von Ihnen eingeladen zu werden?
Unsere Künstlerinnen und Künstler – gerade im Tollwood Theaterlabor – sollten ein ungewöhnliches Schauspiel bieten und die Nähe zum Publikum schätzen. Spontaneität schafft hier natürlich auch besondere Momente im Austausch mit den Gästen.
Welche der Ideen, die Ihnen vorgestellt wurden, hat Sie persönlich besonders stark überrascht?
Jedes der sechs Stücke hat etwas Eigenes und Besonderes: Idriss Al Jay beispielsweise nimmt uns mit seiner Erzählkunst in eine andere Welt mit – das ist die Macht des Wortes. Oder das Wild Theatre, das in „Stonebelly“ Fundstücke vom Wiener Flohmarkt und von neuseeländischen Stränden zum Leben erweckt. Es zeigt: Manchmal braucht Kunst nicht viel außer guten Ideen und Kreativität in der Umsetzung. Jörg Reimers, als Schauspieler kennt man ihn auch aus dem Tatort, holt Kuttel Daddeldu in unser Theaterlabor. Ein Abend zum Schmunzeln – wie man es von Joachim Ringelnatz kennt.
Poetisch, witziges und berührendes Objekttheate: Ymedioteatro aus Spanien
Sie setzen neben der Beschäftigung mit Puppen, Körpern und Fundstücken dezidiert auch auf die Kraft des Erzählens. Inwieweit ist sie eine Art Keimzelle fürs Theater?
Letztlich ist jedes Theater eine Erzählung – manche mit mehr, manche mit weniger Handlung. Und unsere Erzähltheater sind keine Lesungen, sie sind gespielte Geschichten, die sehr reduziert sind. Eine Person, beeindruckende Worte, werden sicher einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Wie schafft man es eigentlich, nur mit einer Stimme einen so großen Stoff wie den Tod des Empedokles erlebbar zu machen?
Wenn wir ehrlich sind: Peter Trabner spielt das eigentlich unspielbare Stück von Friedrich Hölderlin mit Stimme und vollem Körpereinsatz – und mit Hilfe des Publikums. So verändert sich die Inszenierung jeden Abend ein wenig. Das ist das Besondere an unserem Abschlusstheater „The Circle of Nature“.
Experimentiert im Forschungslabor mit: Peter Trabner
Üblicherweise ist das Sommer-Tollwood ein pulsierender Ort, an dem man fast ein wenig reizüberflutet wird und an dem extrem viel gleichzeitig passiert. Wie sehr hat da ein Theaterraum, auf den man sich einlassen kann und wo man Ruhe findet, überhaupt eine Chance?
Tollwood schafft ganz bewusst Räume zum Nachdenken und zum Austausch. Diese finden sich auf dem ganzen Gelände. Das Tollwood Theaterlabor liegt ein wenig abseits hinter dem Kinderbereich. Für das besondere Erlebnis trifft sich das Publikum bis zu 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn und wird dann ins Theaterlabor gebracht. Nach der letzten Vorstellung an jedem Tag kann man sich mit den Künstlerinnen und Künstlern austauschen. So schaffen wir hier wieder einen besonderen Raum mit außergewöhnlicher Atmosphäre auf dem Tollwood Sommerfestival.
Sie geben das Theaterlabor bewusst als einen Ort für Partizipation an. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Das Publikum ist nah an der Bühne und damit an den Künstlerinnen und Künstlern. Zum Teil werden die Besucherinnen und Besucher in die Stücke mit einbezogen. Und nach der Vorstellung bleiben die Schauspielerinnen und Schauspieler zum Austausch. Dabei geht die Rückmeldung zum Stück über den Applaus hinaus.
Sie sind ja selbst auch schon oft mit eigenen Arbeiten auf dem Tollwood vertreten. Was macht denn diesmal den Reiz des Kuratierens und Ermöglichens für Sie aus?
Es ist die Mischung aus Bewährtem, Beliebtem und Neuem, Ungewöhnlichem, denn Tollwood will sich und das Programm immer weiterentwickeln. Das liegt aber auch am Publikum, das sich mutig auf vieles einlässt. Da kann man auch ein Eingangskunstwerk wie in diesem Jahr die „Wooden Cloud – Mut und Machen“ von Martin Steinert gestalten lassen. Tollwood bezieht die Gäste ein; sie dürfen Kunst erleben und mitformen und nicht nur anschauen.
Letzte Frage: Viele Besucher schwärmen von der ganz besonderen Magie des Festivals im Sommer. Was macht für Sie Ihren ganz persönlichen Tollwood-Moment draußen im Park aus?
Mein Tollwood-Moment ist, wenn alles fertig aufgebaut ist und wir das Festivalgelände für das Publikum schön vorbereitet haben. Das ist ein Moment wie nach einer gelungenen Generalprobe.
Interview: Rupert Sommer
ZUR PERSON: Unter die Bäume: ANDREY VON SCHLIPPE ist eigentlich gelernter Bühnen- und Kostümbildner, der einst an der Akademie der Bildenden Künste in München studierte. Dem Tollwood ist der Theaermann schon lange verbunden, er kuratiert dort auch die Kunstarbeit. Das von ihm kuratierte Theaterlabor möchte vom 19. Juni bis 20. Juli neue Formen es Sehens, Erlebens und des Mitmachens erkunden.