1. Startseite
  2. Stadtleben

Hofflohmärkte-Organisator René Götz im Interview

Hofflohmärkte-Organisator René Götz
Hofflohmärkte-Organisator René Götz © k.A.

Ein Herz für die Stadt: René Götz engagiert sich seit über zwei Jahrzehnten für eine lebendige Stadtteilkultur, für kleine Läden und das nachhaltige Mit- und Füreinander.

Seit über 15 Jahren bereiten seine Hofflohmärkte Nachbarn, Anwohnern und Schnäppchen-Jägern Freude.

Herr Götz, zumindest ein Gutes hatten die langen Lockdown-Zeiten ja für viele Münchner: Es wurde in den eigenen vier Wänden gewerkelt, verschönert und aussortiert wie selten zuvor. Material-Nachsub-Sorgen dürften Sie sich bei den Hofflohmärkten derzeit nicht gerade machen?
Stimmt! Ich erhalte von vielen Nachbar*innen, dass ihre Keller und Speicher nun mit neuen Schätzen gefüllt sind, die jetzt nur darauf warten, ein neues Zuhause zu bekommen.

Zuletzt haben die allgemeinen Lebenseinschränkungen ja viel Stadtleben radikal ausgebremst. Wie groß schätzen Sie nun die Vorfreude vieler Münchner ein, wenn es mit Hofflohmärkten wieder weiter geht?
Wir hatten letztes Jahr bereits stimmungsvolle Hofflohmärkte in 12 ausgewählten Vierteln mit einem umfangreichen Sicherheits- und Hygienekonzept. Bei meinen Rundgängen habe ich bemerkt, mit wie viel Freude und Sorgfalt die Teilnehmer*innen dieses erweiterte Konzept zu Pandemie-Zeiten engagiert umgesetzt haben. Die Vorfreude ist somit ungebrochen hoch, da man an der frischen Luft und natürlich mit Abstand und Mund-Nasenschutz auch etwas mehr Normalität erleben kann.

Sie haben sicher länger über Hygiene- und Sicherheitskonzepten schwitzen müssen. Wie stressig waren die letzten Wochen für Sie und wie groß ist die Anspannung, ob alles klappt?
Der Gesundheitsschutz aller Teilnehmer*innen und Besucher*innen liegt mir sehr am Herzen und somit versuche ich als Initiator mein Bestes um die Hofflohmärkte auch in der Pandemie zu ermöglichen. Der Aufwand durch die Rücksprachen mit Behörden ist natürlich immens, da es leider sehr unterschiedliche Vorgaben aus der Politik gibt. Da ich die Hofflohmärkte auch in anderen Städten zusammen mit Nachbar*innen organisiere, wünsche ich mir mehr einheitliche Vorgaben. Die Pandemie ist überall die Gleiche und bedarf auch einheitlicher „Bekämpfungsmöglichkeiten“.

Leider laufen wir aktuell noch bei den Möglichkeiten zur Pandemiebekämpfung hinterher. Es fehlen mehr digitale Lösungen (z.B. die großflächige Kontaktnachverfolgung via z.B. der Luca App) oder kostenfreie Selbst-Tests und Schnell-Tests für alle und vor allem überall an wichtigen Plätzen der Stadt. Dies würde den Übergang bis zum Impfen erleichtern und ist wohl auch günstiger als der aktuelle, leider nicht so wirkungsvolle Lockdown. Der Saison-Start ist nun leider erst am Samstag, 12. Juni 2021 - und das zeitgleich in sechs urbanen Vierteln um größere Menschenansammlungen besser zu verteilen. Dann wieder wöchentlich am Freitagabend und Samstag - siehe unsere Termine auf www.hofflohmaerkte-muenchen.de.

Flohmarkt-Besuche sind ja nicht nur Schnäppchenjagd, sondern auch eine Chance, zu plaudern und Leute kennenzulernen. Wie wichtig ist Ihnen dieser soziale Kitt – gerade im engsten Wohnumfeld?
Bei mir im Haus mit mehreren Familien ist es sehr freundschaftlich und ein großes Miteinander. Das wünsche ich natürlich auch für andere Nachbarschaften. Es ist einfach schön, die Nachbar*innen nicht nur zu grüßen, sondern auch die Gemeinschaft im Haus zu genießen. Die Hofflohmärkte schaffen „eine Brücke“ zum Kennenlernen und als jährliches „Save-the-Date“. Und wenn dann die Nachbar*innen von der anderen Straßenseite noch grüßt und mitplauscht, dann ist es perfekt.

Einfach mal die Nachbarn zu sehen, war zuletzt ja gar nicht so einfach. Wie schätzen Sie, wie sehr geht es jetzt in den Hinterhöfen darum, Beziehungstratsch aufzufrischen oder auch mal Dampf über das nächtliche Trompeten-Üben im Haus gegenüber abzulassen?
Den Nachbar*innen begegnet man im Alltag immer wieder - egal ob Hausflur, vom Balkon gegenüber oder im Hof selbst. Die Pandemie war durch das „stay at home“ auch eine Möglichkeit, sich besser kennenzulernen und achtsam aufeinander zu sein. Das Gespräch, die Hilfestellung oder die kleine zwischenmenschliche Anmerkung mit Abstand und Maske ist noch immer möglich und sollte auch täglich gelebt werden.

Seit längerem schon geht es Ihnen ja auch um Nachhaltigkeit und um den Erhalt von Vielfalt im Viertel: Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie zuletzt, wenn sich in den Hauseingängen fast nur noch die Kartonladungen der großen US-Versandhändler türmten?
Die Nachhaltigkeit, inhabergeführte Läden, kreative Kulturstätten und die Liebe zum Viertel sind mir sehr wichtig. Bei dieser Entwicklung hilft es, aktiv darüber nachzudenken. Mit jedem Einkauf sollte man es sich bewusst machen, wen man mit dem Einkauf unterstützt. Bei dem großen US-Versandhändler muss man hinterfragen, wie gut die Mitarbeiter*innen bezahlt werden, wie nachhaltig überhaupt der Versand ist und ob es nicht schlauer ist, einfach mal lokal zu recherchieren. Ein kleines, persönliches Schwätzchen und gute Beratung beim lokalen Händler sind inklusive und stärken das soziale Miteinander im Viertel.

Es ist eine große gesellschaftliche Frage: Machen wir lieber ein übergroßes Unternehmen und damit eigentlich nur eine Person reicher oder unterstützen wir lieber mehrere kleine Firmen mit mehr Charme, Individualität und Engagement? Vielleicht ist es auch sinnvoll, mal einen Euro mehr im Viertel auszugeben, statt nur die „Geiz ist geil“-Mentalität zu leben. Damit können wir unsere Zukunft und die der Generationen danach menschlicher gestalten.

Viele kleinere Nachbarschaftsgeschäfte bangen um Ihr Überleben. Was kann, was muss man jetzt aus Ihrer Sicht tun, um ihnen wieder auf die Füße zu helfen?
Als Anwohner*in sollte man sich stärker mit seiner Viertel-Vielfalt beschäftigen. Viele sind in ein Viertel gezogen, weil sie genau diese Vielfalt schätzen. Wenn es verschwindet, dann verschwindet auch die Lebensfreude im Viertel. Somit ist aktives Engagement eines jeden Einzelnen gefragt - auch wenn es eben nicht so bequem ist, wie drei Klicks online.

Bei den Läden empfehle ich allerdings auch, etwas mit der Zeit zu gehen. Eine kleine Online-Visitenkarte mit schönen Bildern im Internet ist Pflicht oder ein kleiner Online-Shop mit dem Vorteil, neue Käufer*innen in anderen Vierteln oder sogar Städten zu erreichen. Dafür muss man „nur“ etwas Zeit investieren, denn viele Vorlagen und Systeme von Online-Shops sind sehr preiswert. Es ist zeitgemäß und schafft mehr Vielfalt im Netz. Die Mischung aus beiden Welten - der analogen und der digitalen - finde ich sehr spannend und kann auch sinnvoll und charmant kombiniert werden.

In Corona-Zeiten verrutschte Vielen auch das ökologische Bewusstsein wieder ein wenig. Wie wollen Sie gegen die wieder aufgeflammte Wegwerf- und Verpackungswahn-Mentalität gegensteuern?
Ich persönlich achte sehr auf meinen ökologischen Fußabdruck. Ich fahre fast jeden Tag bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad (wünsche mir allerdings eine bessere Radl-Struktur in unserer schönen Stadt, damit noch mehr aufs Rad umsteigen), liebe nachhaltige Mode und versuche durch die Flohmärkte mehr wieder zu verkaufen oder zu verschenken, statt es eben wegzuwerfen.

Eine tolle Idee finde ich eine kurzfristige „Zu verschenken“-Box am Gehsteig vor dem eigenen Haus. Kaffee zum Mitnehmen gibt‘s bei mir im eigenen Becher und beim Lebensmittel-Kauf achte ich auch immer mehr auf weniger Verpackungsmüll (Beispiel Milchflaschen statt Milchtüten). Mein Wunsch in Hadern ist ein „Unverpackt-Laden“, da blicke ich noch etwas neidisch auf die anderen Viertel wie Laim, Obersendling oder Haidhausen : )

So sehr man allerdings auch persönlich darauf achtet, muss man auch die Lebensmittel-Firmen seitens der Politik, stärker zur Verantwortung ziehen. Nicht nur mit Appellen, sondern mit klaren Vorgaben. Es kann einfach nicht sein, dass ein einfacher Schokoriegel eines riesigen Lebensmittel-Unternehmens noch zweimal in Plastik eingepackt ist oder das der Papp-Plastik-Einweg-„To-Go“-Becher überhaupt noch erlaubt ist. Hier sind stärkere, politische Regulierungen notwendig.

Wie verführbar sind Sie eigentlich privat beim Flohmarkt-Stöbern?
In meinen 15 Jahren Hofflohmärkte habe ich schon fast alles gesehen, aber ich werde immer noch sehr überrascht, wenn zum Beispiel die Stimmung in einem Hof so charmant und mitreißend ist, weil man quasi ein ganzes Wohnzimmer mit Sofa im Garten aufgebaut hat oder weil man liebevoll eine ganze Bücherwand vor dem Apfelbaum gebunden hat - was dann eben richtig toll aussieht. Durch diese Impressionen und Ideen mache ich gerne ein kleines Schnäppchen.

Was ist der skurrilste Spontankauf, mit dem Sie sich zuletzt selbst bei Hofflohmärkten überraschten?
Etwas wirklich Verrücktes habe ich eigentlich noch nicht gekauft. Sehr unterhaltsam finde ich jedoch, wenn Besucher*innen höchst erfreut eine alte Kindheitserinnerung ergattert haben. Ein altes Spiel oder ein echtes Mode-Accessoire aus den 80ern. Das macht richtig Freude. Es überrascht mich auch immer, mit was man die Leute zu Hofflohmärkte-Tagen auch über die Straßen laufen sieht: Surfbretter, Sessel, Leuchtreklamen, Bollerwagen oder riesige Pflanzen. Die Hofflohmärkte sind quasi für einem Tag das bunteste, facettenreichste und persönlichste Frischluft-Gemischtwarenkaufhaus im Viertel.

Alle Termine: www.hofflohmaerkte.de

Interview: Rupert Sommer