„Mich inspirieren Menschen mit Geschichte, die etwas erlebt haben, sich nicht unterkriegen lassen. Die einem inneren Moralkompass folgen, der zeitlos ist – auch, wenn gerade keiner hinschaut.“
Es scheint so, als würde sich Miriam Hanika mit ihrem im Sommer erschienenen Album *innenleben emanzipieren. Vor allem von ihrem übergroßen Mentor und Förderer Konstantin Wecker. Auf dessen Label Sturm & Klang veröffentlichte sie bereits 2019 ihr Debütalbum „Wanderlust“ gefolgt von „Louise“ (2021), „Wurzeln & Flügel“ (2023) und zu guter Letzt 2024 „Schilflieder“. Was auch immer die beiden erwog ab 2025 getrennte Wege zu gehen, ich könnte mir – aufgrund dessen, dass ich beide übereinander stets nur Gutes habe reden hören – gut vorstellen, dass es ein tränenreicher Abschied war.
Mit *innenleben nun schlägt Miriam Hanika also ein neues Kapitel ihrer Musik auf. Nicht nur, dass sie sich von Klang & Sturm trennte und ihr eigenes, wohl nach ihrem zweiten Werk benanntes Label Louise gründete. Und nein, auch früher schon ließ sie niemals so etwas wie Tiefgang vermissen, aber neue Songs wie etwa das Titelstück, „Der nackte Kaiser“, „Das Leben und sein Plan“, „Einer unter vielen“ oder auch „Immerhin haben sie eine Frau vorne hingestellt“ gehen meiner Meinung nach dann doch noch ein bisschen tiefer, und strotzen nur so vor Ausdruckskraft und dem unbedingten Willen etwas ganz besonderes zu erschaffen. Gemeinsam mit dem Poesie Orchester und dem Dandelion Quintett erschafft sie einen eigenen musikalischen und lyrischen Kosmos, der selten geworden ist und oft, auch von und in den Medien, sträflich vernachlässigt wird.
Als Sängerin, Oboistin und Dichterin findet Hanika auf *innenleben ihr unverwechselbare Stimme: klar, warmherzig und hoffnungsvoll. Die neuen Lieder wirken wie ein großes Aufatmen in einer unruhigen Zeit. *innenleben erzählt von der Suche nach Identität, Weiblichkeit und Freiheit in einer Welt, die einerseits grenzenlose Möglichkeiten verspricht, uns andererseits aber in starre Vorstellungen presst. Es geht um das Gefühl, Teil der Welt zu sein und sich zugleich fremd in ihr zu fühlen. Mit feiner Sensibilität öffnet Miriam Hanika den Blick für Nähe und Verlust, für die Spannungsfelder zwischen Freiheit und Sicherheit, Zugehörigkeit und Selbstbestimmung. innenleben ist ein Album, das berührt, bewegt und Raum schafft – für Nachdenken, Innehalten und Ankommen bei sich selbst. Am 28.11.2025 spielt Miriam Hanika in der FAT CAT Blackbox in München einmalig in der großen Besetzung, mit dem Poesie Orchester und dem Dandelion Quintett. Ein Abend, um nachhaltig abzuschalten: jenseits aller Schubladen voller Tiefgang, Wärme und Ausdruckskraft. Verbindend, authentisch, virtuos und liebevoll rebellisch.

Q & A
1. Was inspiriert dich ?
Menschen mit Geschichte, die etwas erlebt haben, sich nicht unterkriegen lassen. Die einem inneren Moralkompass folgen, der zeitlos ist – auch, wenn gerade keiner hinschaut. Die freundlich zu sich selbst, zu anderen Menschen, Tieren und Pflanzen sind. Mich inspirieren aber auch die Menschen, die das alles nicht sind. Vielleicht, weil wir alle manchmal solche Menschen sind. Das Leben generell inspiriert mich in all seiner Schönheit und Grausamkeit. Philosophie und Ethik inspirieren mich – als Leitfäden und Konzepte, die Menschen verändern und bereichern, ohne sie in eine Institution oder einen Glauben zu zwingen. Und die Natur. Die ist auch schön und grausam. Und perfekt, ohne es zu wollen. Musik inspiriert mich, natürlich. Und Worte genauso wie der Moment, wo es mal keine Worte gibt.
2. Dein absoluter Geheimtipp für München?
Der Perlacher Forst. Für Münchner sicher kein Geheimtipp, für Radler sowieso nicht, aber dieser Wald ist für mich ein Symbol für die Schönheit dieser Stadt: Neben dem Englischen Garten und der Isar, die mittlerweile sehr überlaufen sind, gibt es so viel Grün in München. Ich hab mal überlegt, aufs Land zu ziehen – weil man das ja früher oder später überlegt, wenn man in München jahrelang zur Miete wohnt und als Musiker on top immer wieder auf Studiosuche ist. Ich dachte dann auch: „Mehr in der Natur, das wäre doch schön.“ Mir ist dann aber immer wieder aufgefallen, dass ich in München eigentlich alles an Natur habe, was ich brauche – mehr noch, ich wohne direkt an der Isar, und so ein Fluss in Laufnähe, das ist schwer zu toppen. Den Perlacher Forst habe ich in den letzten zwei Jahren für mich entdeckt. Einfach toll, so ein Wald in der Stadt.
3. Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Eigentlich bin ich da zufrieden, wo ich bin. Klar, manches darf leichter werden, gerade für die Kulturbranche. Vielleicht will ich nicht mehr ganz so viel am Laptop sitzen, möglicherweise hab ich ein Kind oder reise ein bisschen mehr. Aber auch, wenn das alles nicht passiert, bin ich ein echter Glückspilz – und das weiß ich auch: Seit drei Jahren toure ich mit meiner eigenen Musik durch Deutschland und verdiene dabei auch noch Geld. Traurig, das so sagen zu müssen, aber ich weiß, dass das für viele Musiker heutzutage nicht selbstverständlich ist – selbst dann, wenn es nach außen anders aussehen mag. Ich lebe in einer wunderschönen Stadt, habe einen tollen Mann, ein Dach über dem Kopf, einen vollen Kühlschrank, einen Hund und Zeit zum Schreiben. Und vor allem habe ich wahnsinnig tolle Musiker, die mit mir spielen. Tolle Menschen, die das Herz am richtigen Fleck haben. Das ist mir das Wichtigste, und ich versuche gerade in letzter Zeit aufzuhören, mir ständig Wachstum zu wünschen. Klar, man kann immer etwas verbessern, aber von außen bekommt man ja nur noch suggeriert, dass einem etwas fehlt. Ganz ehrlich: Mir fehlt es an nichts, und das zuzugeben, das tut echt gut.
4. Was ge-/missfällt dir in/an München?
Vielleicht gerade das, dass man sich manchmal schwer gegen das Gefühl wehren kann, irgendwas im Leben nicht erreicht zu haben. Und dass man im Umkehrschluss alles ganz einfach erreicht, wenn man nur genügend Geld hat. Aber wie gesagt, ich halte das für einen Trugschluss. Arm sein macht unglücklich, reich sein macht unglücklich – alles dazwischen, ich glaube, das ist der Platz an der Sonne. Manchmal macht es mich auch traurig, dass München so wenig für seine eigene Kulturszene einsteht. Damit meine ich nicht die Staatsoper oder die Philharmoniker, sondern die freie Szene. Gerade jetzt, wo sämtliche Medien Kürzungen erfahren, haben wir Kulturschaffenden der freien Szene das ganz stark gemerkt. Plötzlich sind wir nicht mehr „interessant“, dabei glaube ich, dass die Rückbesinnung auf das Lokale in den nächsten Jahrzehnten total wichtig wird. Schön, dass die IN München das nach wie vor anders macht und ganz nah an den Münchner Künstler*innen ist.
5. Welchen (Münchner) Prominenten würdest du gerne zum Kaffee/Bier treffen?
Muss es ein lebendiger Prominenter sein? Sonst wäre das nämlich Erich Kästner. Seine Texte sind einfach so klug. Und Sophie Scholl. Ich würde sie fragen, warum sie damals erst von der Hitlerjugend begeistert war und vor allem, warum sie ihre Meinung später völlig umgekehrt hat. Was hat sie zum Umdenken bewogen, obwohl sie so involviert war? Das interessiert mich, weil es mir so vorkommt, als könnte man daraus ganz viel für die heutige Zeit lernen. Ansonsten ist mir Prominenz eigentlich ziemlich einerlei – der Mensch dahinter ist das, was interessant ist, und den lernt man in der Regel erst abseits der Prominenz kennen.
6. München ist für mich wie …
… eine echte Heimat. Ich bin mit 14 hier durchgefahren und hab, jung wie ich war, vor dem Chinesischen Turm gestanden und gesagt: „Hier will ich mal leben.“ Fünf Jahre später bin ich zum Studieren nach München gegangen – nicht wegen der Stadt, sondern wegen meinem damaligen Lehrer. Später habe ich mich an diesen Moment im Englischen Garten erinnert. Meine Großeltern sind heimatvertrieben; als Kind habe ich immer ihre Geschichten aus der Heimat gehört – wir waren also dort, wo wir wohnten, eigentlich gar nicht verwurzelt, nicht zu Hause. Meine Oma, Traudl Hanika, hat aber eine Geschichte immer wieder erzählt: Nach der Vertreibung wurden die Flüchtlinge auf Orte verteilt, meine Großeltern landeten in Hessen. In den folgenden Jahren gab es in München auf der Theresienwiese immer wieder Flüchtlingstreffen, wo man hinfuhr und sich in den alten Zeiten verlor. Meine Oma hat München geliebt und gesagt: „Warum haben sie uns denn nicht hier abgeladen?“ Sie hat sich sehr gefreut, dass ich hier gelandet bin – und mich mit 93 Jahren sogar noch hier besucht. Wir haben einen Spaziergang an der Isar gemacht.
