Lesen! Unsere Buchempfehlungen im Dezember

Neue Bücher von Richard Powers, James McBride, Isabelle Lehn und Austrofred

Richard Powers – Das große Spiel (Penguin)

Ein Buch, das sein Themen-Spek trum fast schon sprengt – und vielleicht seinem Autor den letzten Kick Richtung Nobelpreis geben könnte. Große Worte? Vielleicht, aber dieses weltumfassende Drama verknüpft das Schicksal seiner vier Protagonisten auf raffinierte Weise und hat zweifelsohne das Zeug zu einem Klassiker. Auf einer Insel im Pazifik treffen die Meeresbiologin Evelyne Beaulieu, die Künstlerin Ina Aroita, der intellektuelle Büchernarr Rafi Young und der Computervisionär und Tech-Milliardär Todd Keane zum Showdown aufeinander: nicht weniger als eine schwimmende Zukunft der Menschheit ist geplant. Powers lässt das Leben seiner Figuren in intensiven, meisterhaft erzählten Kapiteln für den Lesenden Revue passieren: von den unendlichen Weiten und vor allem Tiefen des Ozeans wird auf eindrucksvollste Weise erzählt, Kontinente und ihre Bewohner – höchstens eine Randnotiz. Eine spielsüchtige Männerfreundschaft, die sich über kapitalistische Computer-, Social Media- und KI-Visionen entzweit, wird vom demenzkranken Milliardär erinnert – und zum Teil herrlich ironisiert. „Möglicherweise habe ich meine Geburt einem Spielwürfel zu verdanken“, beschreibt Todd Keane seinen Einstieg ins Leben. Spiele werden sein Leitfaden sein, obwohl er eigentlich Ozeanograf werden wollte. Auch sein einstiges Vorbild, die erwähnte Meeresbiologin, sieht das Spiel als wichtigen Baustein der Evolution, wie sie in Interaktion mit faszinierenden Lebewesen unter Wasser erkennen konnte. Richard Powers hat den Begriff Bildungsroman neu definiert – „Das große Spiel“ erweitert den Horizont bis in die Tiefsee und der Frage nach dem Code bzw. auch Sinn des Lebens. Das Buch des Jahres – kann man gerne auch zweimal oder öfters lesen. Rainer Germann

Isabelle Lehn – Die Spielerin (S. Fischer)

Was für ein Krimi, was für ein Vexierspiel – und was für eine erzählerische Leistung, mit Leichtigkeit soviele Bälle in der Luft zu halten. Erzählt wird von einer Frau, die erst nach und nach an Konturen gewinnt. Es ist ein Herantasten an eine Person, die sich den allzu schnellen Zuschreibungen entzieht und die die ganz große Kunst beherrscht, sich selbst kleiner zu machen, um heimlich Großes zu planen. Die junge Frau, die im Roman lediglich „A.“ genannt wird, trägt geschickt den Deckmantel der Biederkeit. Nach ihrem Studium zieht es sie aus Plattes-Land-Provinz Norddeutschland nach Zürich, um als Investmentbankerin Karriere zu machen. Doch die eitlen, albernen, selbstverliebten, notgeilen Jungs wollen sie nicht so recht mitspielen lassen. A. weiß sich zu tarnen, ihre Superkraft ist es, sich unterschätzen zu lassen. So sammelt sie wichtige Trümpfe ein, die nach und nach auszuspielen sind. Riskant wird die Partie, als sie für eine heruntergewirtschaftete Nachrichtenagentur in Berlin Geschäfte einfädelt und Geld investiert, das ganz andere Zwecke erfüllt. Sie wird zur Geheimbuchhalterin der Mafia. Und geahnt hätte das niemand. A. ist eine Frau, die sich entzieht. Man muss sie fürchten. Und Isabelle Lehn für ihre Kaltblütigkeit und den scharfen Sezierblick bejubeln. Ein Buch, das Feminismus nicht einfordert und belabert, sondern mit eisigem Lächeln exerziert. Rupert Sommer

James McBride – Himmel & Erde (btw)

„Langsam bewegen sie sich voran wie Fußgeyer, Wanderer, die ein Zuhause in Europa suchten, westafrikanische Stammesangehörige, die an der Küste Virginias von einem Schiff getrieben wurden, … hinein in eine Zukunft amerikanischen Nichts“. Man kommt nicht umhin, einmal tief durchzuatmen, wenn man bei der Hälfte von James McBrides großer amerikanischer Outsider-Saga angelangt ist. Und wie Außenseiter werden sie von der weißen amerikanischen Herrenrasse auch behandelt in den 1920er Jahren, die Juden und Schwarzen vom Chicken Hill, einem Ghetto in Pottstown, Pennsylvania. Vor Antisemitismus und Rassismus sind sie hierher geflohen, nur um festzustellen, dass man vor Vorurteilen nicht fliehen kann. Mit viel Empathie zeichnet der National Book Award-Preisträger hier die Geschichte des Viertels und seiner Bewohner auf – lässt uns anhand eines Dramas teilhaben an dem Schicksal seiner Figuren. Fast möchte man schreien, wie ungerecht diese behandelt werden, und kann doch nicht aufhören zu lesen, um zu erfahren, wie es weitergeht mit Chona, Moshe, Dodo, Nate, Big Soap, Fatty und Monkey Pants. Und damit ist man in bester Gesellschaft: Barack Obamas Lieblingsbuch des Jahres, bestes Buch des Jahres u.a. im GuardianThe New YorkerHaper’s BazaarTime Magazine. Spike Lee hat schon den Debütroman „Das Wunder von St. Anna“ von McBride verfilmt. Dieser hier wartet schon. Rainer Germann

Austrofred – Gänsehaut – Unerklärliche Phänomene (Czernin)

Strahlende Augen unterm Lichterbaum: Der „Champion“ hat uns beschenkt – mit Weisheiten. Immerhin ist Österreichs geschmeidigster Freddie-Mercury-Wiedergänger schon seit einigen Jahren auf der Piste. Und da erlebt man so einiges, was „Ganslhaut“ erzeugt. Etwa ekstatische Außer-Körper-Erfahrungen auf der Bühne, pure schwarze Magie, wenn man beim Auftritt das Gefühl für Raum und Zeit verliert. Dem Austrofred ist Ähnliches beim Auftritt in der Landesmusikschule im schönen Pongau passiert. Plötzlich war er weg, segelte astromental über das Tal, nur um dann doch wieder jäh in der provinziellen Enge zu landen. Dort beschimpfte man ihn derb als „perverse Sau“. Es ist ein Erlebnis, das sich der Austrofred nicht so recht erklären kann. „Ich habe jedenfalls keine Einstichstellen am Körper gefunden, keine dubiosen Spuren am Anus, keine sonstigen Auffälligkeiten“, berichtet er selbst noch staunend. „Aber was immer mein Körper unbeaufsichtigt in Bischofshofen getrieben hat – ich finde es schade, dass ich nicht dabei war.“ Es ist diese Offenheit, die ihn auszeichnet. Und der Schmäh, mit dem er von Séancen, Begegnungen mit kopflosen Skifahrern auf der Streif oder von Urban Legends (auf dem Land) berichtet. Weil der Austrofred ein kühler Kopf ist, kombiniert er Schauerstoff mit Faktenchecks und Alltagstipps – wie man Hühner hypnotisiert. Frohes Fest! Rupert Sommer

VERLOSUNG

Wir verlosen je zwei Bücher von „Das große Spiel“ und „Himmel & Erde“. Die Teilnahme ist unter www.in-muenchen/verlosungen bis Montag, 16. Dezember möglich.