Bedient auch Fernweh-Sehnsüchte: Daniel Speck.

Bestseller-Autor Daniel Speck: „Nur noch nachts schreiben“

Konzentriertes Arbeiten in mönchischer Lockdown-Ruhe? Von wegen. Daniel Speck hatte zuletzt viel um die Ohren. Aber endlich ist sein neuer Roman „Jaffa Road“ fertig. Worauf man sich freuen darf…

Herr Speck, in der für viele Münchner die Räume enger und Spaziergänge schon als kleine Sehnsuchtsreisen herhalten mussten, öffnet Lesen immerhin Fenster in derzeit kaum erreichbare Welten. Auf welche Entdeckungen und Horizonterweiterungen darf man sich in Ihrem neuen Roman freuen?
Mit „Jaffa Road“ kann man einmal rund ums Mittelmeer reisen. Von Palermo über Zypern nach Haifa, Jaffa und Tunis. Der Roman erzählt die Lebensreise von Maurice Sarfati, der drei Frauen liebte und drei Identitäten hatte. Als er stirbt, treffen sich drei Erben, die einander nicht kannten: Eine Deutsche, eine Israelin und ein Palästinenser.

Sie greifen Erzählfäden aus dem Vorgängerroman auf und spinnen sie weiter. Wie gut muss man den Vorgänger „Piccola Sicilia“ kennen?
Man kann einfach so einsteigen, ohne „Piccola Sicilia“ gelesen zu haben. Alles, was man über Maurice‘s Vergangenheit wissen muss, erzählen sich die Protagonisten von „Jaffa Road“ im Laufe der Handlung.

Wer Israel und die Stadt Haifa kennt, weiß vielleicht von der Jaffa Road. Warum haben Sie als Titel gewählt und wofür kann sie für Sie außer für die Bezeichnung auf einem Stadtplan stehen?
Die „Jaffa Road“ war 1947, als der Roman beginnt, ein Mikrokosmos verschiedener Kulturen. In ihr spiegelt sich die Geschichte des Landes, hier findet Maurice mit seiner jungen Familie eine neue Heimat. Sie ist aber auch eine Metapher, denn sie endet nicht in Haifa, sondern führt als Landstraße am Meer entlang bis nach Jaffa. Dort wohnt eine andere Familie, die schon bald ihr Zuhause verliert. Jede der Geschichten in „Jaffa Road“ öffnet den Weg in eine andere Welt: Wir erleben die gleiche Epoche aus der Sicht von zwei verschiedenen Familien.

Und dann gibt es noch eine dritte Familie in Berlin. Sie streifen wieder die deutsche Historie, diesmal nach dem Krieg, und nehmen die Leser mit an Orte, an denen schon immer Geschichte und Geschichten geschrieben wurden. In wie fern könnte auch ein friedlicher Naher Osten ein Sehnsuchtsort sein?
Keine spannende Geschichte ohne Konflikte. Dort, wo Geschichte sich verdichtet, entstehen die stärksten Geschichten. Zugleich brauchen wir Utopien. Manchmal liegt dieser Sehnsuchtsort in der Zukunft, manchmal in der Vergangenheit. Als ich für „Piccola Sicilia“ vor Ort recherchiert habe, erzählten mir Zeitzeugen, dass in diesem quirligen Hafenviertel Muslime, Juden und Christen in guter Nachbarschaft gelebt haben. Die Frauen passten gegenseitig auf die Kinder auf, man feierte Feste und Hochzeiten gemeinsam, man handelte miteinander, es gab sogar Heiraten zwischen den Konfessionen. Sicher, es war kein Paradies, eher ein mediterranes Potpourri, aber insgesamt entspannter als heute. Die Protagonisten von „Jaffa Road“, die dort gelebt haben, können diese Welt ihrer Kindheit nie vergessen.

Woher kommt den Ihre erhöhte Faszination für Herkunftsgeschichten und nicht ganz alltägliche Familienentwicklungen inklusive von Geheimnissen?
Eine alltägliche Familiengeschichte ohne Geheimnis würde ja niemanden interessieren. Geschichten von Menschen, die ihre Heimat verlassen, um woanders eine zu finden, handeln immer von existenziellen Fragen: Wer bin ich? Und wer will ich werden?

Immer wieder kreisen Ihre Stoffe auch um Orte, die Halt und so etwas wie Verbundenheit geben. Wie könnte so ein Ort für Sie persönlich aussehen?
Ein Münchner Biergarten mit meinen Freunden an einem sonnigen Septembertag kommt dieser Utopie schon recht nahe.

Wer in München aufwächst, bekommt es ja immer wieder auch mit Verhunzungen des eigentlich schönen Heimat-Gedankens zu tun. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, sich mit dem Leben in dieser Stadt anzufreunden?
Ich musste mich nicht damit anfreunden, denn ich bin ja in München geboren und mag meine Stadt. Als Jugendlicher wollte ich immer weg, habe in Rom studiert, aber je mehr andere Städte man bereist, desto mehr lernt man die eigene Heimat zu schätzen.

Die vielen Feinschliff-Arbeiten am neuen Roman fielen genau in Zeiten, in denen das Arbeiten am Schreibtisch vielleicht ziemlich naheliegend war. Wie gut spielte Ihnen das in die Karten, wie schwer war es im Corona-Trubel trotzdem einen klaren Kopf zu bewahren?
Alle meine Freunde dachten, der Lockdown sei für mich eine besonders produktive Zeit. Weil ich mich aufs Schreiben konzentrieren kann. Aber es war ganz anders: Dauernd klingelte tagsüber das Telefon, weil viele ja nicht im Büro waren und mehr Zeit hatten. Jeder wollte mir seine Corona-Geschichte erzählen. Und ich kam nur noch nachts zum Schreiben.

Stimmt eigentlich das Klischee vom Schriftsteller, der sich nach dem stillen Kämmerlein sehnt, auch für Sie?
Bevor ich anfange zu schreiben, er-fahre ich die Welt meiner Geschichte, indem ich auf Recherchereise gehe. Dort geschieht ein großer Teil der Inspiration. Die sinnliche Erfahrung der Schauplätze und Gespräche mit den Menschen vor Ort. Viele kleine Geschichten, die sie mir erzählen, baue ich in meine Romane ein.

Zumindest für das Erscheinen eines Romans, an dem man lange gearbeitet hat, hätte man sich eine etwas unkomplizierte Zeit vorgestellt. Wie lang mussten Sie hadern, um sich mit einer Video-Lesung anzufreunden?
Ich hadere immer noch. Morgen mache ich die erste Zoom-Lesung. In meiner Küche. Für Buchhändlerinnen und Buchhändler. Ich werde lesen und kochen. Denn in meinen Büchern geht’s immer auch ums Essen.

Sie sitzen im Literaturhaus neben Ihrem Freund Jan Weiler, für den Sie ja auch schon unter anderem etwa am „Maria, ihm schmeckt’s nicht“-Dehbuch gearbeitet haben. Wie wichtig ist so ein wenig Rückendeckung vor Ort?
Eigentlich wollten wir den Gästen die leckeren Gerichte aus „Jaffa Road“ kredenzen. Jan kocht noch besser als ich. Als klar wurde, dass es eine Livestream-Veranstaltung wurde, haben wir kurz überlegt, ob wir das Hummus, die Auberginencreme und Shakshuka vor laufender Kamera verspeisen sollen. Aber das wäre gemein. Also reden wir lieber. Ohne vollen Mund.

Ein gewisse Grundaufgeschlossenheit dem Humor gegenüber dürfte Ihnen beiden ja keineswegs fremd sein. Wie sehr darf man sich darauf freuen, dass Sie beiden die Bühne ab und an auch für kollegiale Kabbelei nutzen?
Jan meinte mal, Herr Speck hätte wieder so einen dicken Schinken geschrieben. Seitdem feile ich an einer Retourkutsche. Vielleicht ist sie bis Freitag fertig. Ich schreibe noch dran.

Letzte Frage, natürlich zwangsläufig: Worum geht’s im nächsten Buch und wann kommt es?
Um etwas ganz anderes. Mehr wird noch nicht verraten.

Interview: Rupert Sommer

Daniel Speck stellt „Jaffa Road“ (Fischer Verlag) am 26. März im Literaturhaus München vor. Seine Lesung und das Gespräch mit seinem Freund und Kollegen Jan Weiler wird im Stream übertragen. Alle Infos: www.literaturhaus-muenchen.de