Jazz im Dezember: Abseits der Stillen Nacht

88 deutsche Spielstätten / Konzertreihen sind kürzlich in München für ihre kreative Programmgestaltung mit dem APPLAUS ausgezeichnet worden – darunter darunter die Milla, „Jazz+“ in der Seidlvilla und die Unterfahrt. Wir feuen uns für die Preisträger und wünschen für die Zukunft die kreative Beständigkeit für die sie jetzt prämiert wurden.

In einer der Preisträger-Locations tritt eine Frau auf, die als Shooting Star des Europäischen Jazz gilt. Verrückt ist, dass Emma Rawicz noch so verdammt jung ist, 23 nämlich, sich erst seit ihrem 16. Lebensjahr mit Jazz beschäftigt, aber so klingt, als hätte sie sich bereits unmittelbar nach der Abnabelung mit der Geschichte des Jazz und der ihres Instruments, des Saxofons befasst. Wirklich eingeschüchtert hat das die aus North Devon stammende Wahl-Londonerin nie, dass es da so viel zu lernen gibt.

Foto: Ssirus W. Pakzad

Emma Rawicz

Immerhin: „Ich war ein wenig überwältigt, weil ich sofort den Eindruck hatte enorm viel aufholen und nacharbeiten zu müssen. Auf der anderen Seite war unglaublich aufregend, mit diesem musikalischen Reichtum konfrontiert zu sein.“ Auch das Jazz-Mantra, unbedingt eine eigene Stimme am Instrument entwickeln zu müssen, hat sie eher als Herausforderung verstanden, denn mit Sorgen erfüllt. „Wenn du dein Instrument liebst und die Musik auch, kommt das durch. Ich glaube nicht, dass du aktiv versuchen solltest, deine eigene Stimme zu finden. Ich bin überzeugt, dass jeder Spieler letztendlich nach sich selbst klingt und durch die Erkundung dessen, was es da draußen an Musik gibt, einen ganz natürlichen Zugang findet.“

        Verblüffend ist, wie unangestrengt Emma Rawiczs Umgang mit Musikern ist, die ihr in Sachen Erfahrung und Lebenszeit so einiges voraus haben. Solche finden sich in ihrer eigenen Big Band, in Formationen wie „Chroma“ oder „Inkyra“. Der Pianist Gwilym Simcock, ihr Duo-Partner im Münchner Unterfahrt-Konzert (10.12.), ist doppelt so bejahrt wie sie. Doch hört man den Altersunterschied nicht wirklich. Die Beiden begegnen sich auf Augen-/ Ohrenhöhe.

Jazz-Tipps

Es gibt im Advent auch ein Leben abseits der Stillen Nacht. Während Solo-Künstler oder Bands wie die Jazzrausch Bigband (05.12. im Bergson), Quadro Nuevo (16.12. Prinze), Oddgeir Berg (6.12., Unterfahrt), oder Lisa Wahlandt (20.12., Unterfahrt) sich im Dezember voll im Weihnachtsliedmodus befinden, sind Andere unbeeindruckt von der staden Zeit. In der Unterfahrt etwa gibt es einen Urknall. Da ist der Saxofonist Darius Jones mit Bassist Chris Lightcap und Schlagzeuger Gerald Cleaver ganz unsentimental unterwegs (2.12.).

Im Prinzregententheater ist Bassist Avishai Cohen auf eine Begegnung zwischen Orient und Okzident aus (3.12.), während Céline Rudolph zeitgleich im Nightclub ihr Faible für sommerliche, zwischen Leichtigkeit und Melancholie vermittelnde brasilianische Musik pflegt (3.12.). * Ein absolutes Muss ist das Duo des Tenorgottes Mark Turner und des Pianisten Ethan Iverson in den Kunstwerken Dachau (5.12.). *  Es gibt so viele Entdeckungen zu machen derzeit, etwa die Pianistin Clara Vetter, die ihr Trio am 5.12. um den charismatischen Gitarristen Ronny Graupe verstärkt, oder das Trio der Bassistin Natasha Zaychenko (16.12., beide Unterfahrt). * Etwas etablierter ist bereits die Tastenfrau Svetlana Marinchenko, die ihren Dreier SVM3 um den Gitarristen Beatdenker aufstockt und zwischen elektronischen und akustischen Welten vermittelt (17.12., Unterfahrt).

Ein Pflichttermin für Freunde avancierter Klänge führt am 10.12. ins Schwere Reiter, wo Saxofonistin Silke Eberhardt mit ihrer Formation Potsa Lotsa XL das Programm „Amoeba´s Dance“ aufführt (10.12.). * Die Saxofonistin Anna Tsombanis stammt aus Berlin, machte aber Wien zur Wahlheimat. Dort erspielte sie sich manchen Achtungserfolg. Jetzt gastiert sie bei „Jazz+“ in der Seidlvilla und hat grandiose Mitspieler im Schlepptau: Beate Wiesinger und Andreas Waeltli (beide Bass) sowie Herbert Pirker (Schlagzeug). * Der österreichische Schlagzeuger Matthias Ruppnig fühlt sich dagegen in Berlin bestens aufgehoben. Den Vibe von dort ließ er in sein international besetztes Projekt FOAM fließen, das am 19.12. in der Unterfahrt aufspielt. * Dort blüht zwischen den Jahren der Wahnsinn auf. Die herrlich überdrehte Performance-Künstlerin Erika Stucky fällt über das Stones-Repertoire des Albums Sticky Fingers her (28.12.).