Jazz im September: Loslassen unter Rahmenbedingungen

Das Sommerloch schließt sich. Langsam kommt wieder Bewegung in die Jazz-Szene.

Manchmal ist es gar nicht so leicht Christopher Dell folgen zu können. Aber es macht einen Heidenspaß ihm dabei zuschauen, wie er vier Schlegel im unwirklichen Tempo auf Metallplatten sausen lässt. Und wie das dann erst klingt: es ist einfach nur berauschend, was da an unerwarteten Tönen auf einen einprasselt und mit welcher Dynamik der bald Sechzigjährige klöppelt. Wer genau hinhört, spürt, es steckt viel Intellektuelles in dem, was der Vibrafonist spielt. Trotzdem besitzt seine Musik eine geradezu ungeheuerliche Körperlichkeit.

„Ich widme mich der konzeptionellen Arbeit oder auch der Meta-Musik“, sagt Dell, der seit einigen Wochen als „artist-in-residence“ in der Villa Waldberta vom Außenleben unabgelenkt schalten und walten kann, wie er will. „Alles, was ich an Musik mache, hat einen konzeptionellen Hintergrund und ein sehr breit angelegtes Referenzsystem. Und mit dem spiele ich performativ. Das hat auch viel mit einer körperlichen Power zu tun, der ich meine Arbeit widme.“

     Dieser Christopher Dell ist Theoretiker durch und durch – als Musiker, aber auch als international anerkannter Spezialist für Städtebau und Stadterneuerung. Weil sein Tun stets auf tiefen Überlegungen, auf penibelst ausgearbeiteten Konzepten und Systemen gründet und Fragestellungen zum täglichen Schaffen gehören, muss ich einfach von ihm wissen: ist dieser Christopher Dell überhaupt in der Lage sich freizumachen von seinem Wesen als Analytiker und (Vor)Denker, kann er überhaupt loslassen? „Auf dieses Loslassen wird gepocht! Nur brauch ich in jedem Fall eine Rahmung, damit ich loslassen kann und ein Gerüst, an dem ich mich abarbeite“, sagt er und lacht los. „Ich fühle mich frei, weil ich das Schwere genieße.“

     Dell, der durch seine Formation D.R.A., aber auch durch die Zusammenarbeit mit Heinz Sauer, Wolfgang Haffner oder ElbtonalPercussion bekannt wurde und als einer der großen Vibrafon-Virtuosen unserer Zeit gilt, bereitet in der Abgeschiedenheit der Villa Waldberta gerade vier Konzerte im Schwere Reiter vor, eines mit dem Gitarristen und Laptop-Spezialisten Gunnar Geisse (14.9., Matinee) und drei mit dem Neue Musik-Ensemble der/gelbe/klang (12. -14.9.), das mit ihm die „Revisionen“ XIII, XIV und XV aus dem multimedialen Zyklus „Das Arbeitende Konzert/ The Working Concert“ aufführen wird.  

Christopher Dell: „Die prinzipielle Fragestellung ist: „wie kann die Produktion des musikalischen Raums zeigbar gemacht werden. Ich habe mit dem „Arbeitenden Konzert“ eine Art performative Installation als Werkreihe geschaffen, die immer wieder inseriert.“

Zu den einzelnen Aufführungen bringt Dell Werke mit, die „unterschiedliche Perspektiven auf Musik haben.“ Ähnlich wie es Wayne Shorter mit seinem Quartett gehandhabt hat, legt Dell sie dem Ensemble „der/gelbe/Klang“ erst im Konzert vor und wirft es damit ins kalte Wasser. „Noten werden ausgegeben – und die Musiker dürfen vor Publikum Fragen stellen. Es kann auch passieren, dass ich während der Aufführung abbreche und sage: nee, so war das nicht gemeint. Und dann erkläre ich womöglich, dass es bei einem Stück um eine bestimmte Strategie geht, die konzentriert verhandelt werden muss.“ 

Jazz-Tipps:

Die neue Kühlanlage ist endlich eingebaut. Die Unterfahrt kann nach zwei Monaten Auszeit wieder durchstarten und bietet zur Neueröffnung gleich ein paar gut belüftete Highlights: etwa das Quartett Kneebody (1.9.), das Trio Ivoire, das Westafrikanisches und Europäisches zusammenbringt (3.9.), dann die Formation Pietre um den italienischen Bassisten Alessandro Fongaro (6.9.)., das Acoustic Klezmer Quartet des Klarinettisten David Krakauer (10.9.), Christian Muthspiel und das Orjazztra Vienna mit seinem Fellini-Programm (11.9.), das Duo Shuteen Erdenebaatar & Nils Kugelmann (13.9.) oder das Allstar-Quartett der Cellistin Tomeka Reid (30.9.). * Die grandiose Reihe „Jazz+“ geht in eine neue Saison und hat zum Auftakt gleich einen wichtigen Repräsentanten des eidgenössischen Jazz zu Gast: den charismatischen Saxofonisten Christoph Irniger, der sein Quartett in die Seidlvilla mitbringt (9.9.). * Auch der Verein „Offene Ohren“ lässt die Sommerpause hinter sich und veranstaltet im September zwei Konzerte im MUG (Einstein). Eines davon bringt die gefeierte britische Pianistin Julie Sassoon und eine deutsche Ikone der Improvisierten Musik zusammen: den Schlagzeuger Willi Kellers (12.9.). Die Begegnung dürfte spannend werden, da die Beiden durchaus unterschiedliche Ansätze mitbringen.