Das visuelle Pendant zur vertrackt krachenden Pracht: Deerhoof

IN München-Review: So wars … bei Deerhoof

Bibidi Babidi Boo: Die US-Indie-Hero*innen Deerhoof entfesselten im Saal X des Gasteig einen bunten Mahlstrom des funky Math Rock.

Die Band Deerhoof – in ihrer vertrackt krachenden Pracht – wurde 1994 von Schlagzeuger Greg Saunier gegründet, und trägt seit 2008 in der Besetzung mit den beiden zwischen Mini- und Maximalismus changierenden Gitarristen Ed Rodriguez und John Dieterich, sowie der bescheiden erdenden und doch ganz eigene Farbtupfer gebenden Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki ihre Song-Miniaturen in die Welt hinaus, die in ihren mäandernden Strukturen und wild wucherndem Eklektizismus auf manche Hörer*innen zirka 17,5-Mal so hermetisch wirken könnten, wie dieser unnötig komplizierte erste Satz der Konzertbesprechung. Nur halt mit viel mehr sprühendem Groove.

Es war schon eine ganz besondere Zusammenkunft, die sich da am Samstag im Saal X des HP8 ereignete. Im halb gefüllten Raum – mit für Rockmusik eventuell etwas sterilem Bürgersaal-Charme – erkannte man so manches Gesicht aus diversen Münchner Bands, des eher lärmigen Spektrums und einige liebenswerte Musik-Nerds, die man öfters auf den eher abseitigen Konzerten trifft. Genau an solche richtete sich auch der Rahmen des Konzerts. Ursprünglich sollte der Abend Teil des Frameworks Festivals im Gasteig sein, aufgrund diverser Erschwernisse wurde ebenjenes im Jahr 2024 auf nur einen Abend heruntergebrochen und da die Vorband Radian aus Wien krankheitsbedingt absagen musste, bestand das Festival schließlich nur aus Deerhoof. Das war aber mehr als ok, denn: Wenn eine Band ein ganzes Festival ist, dann Deerhoof.

Ungefähr so sah das auch im Saal X aus.

Um 21:10 Uhr traten die vier in bunten Outfits auf die Bühne. Das Publikum trug auf Wunsch der Band FFP-2-Masken. Manche murrten, mir war das recht egal. Besonders bei einer Band, die ohnehin so charmant sämtliche Aufmerksamkeit von Hüften, Ohren und Kopf einfordert.
Eröffnet wurde das Set mit dem Song „Paradise Girls“ – minimalistisch wird hier aus kleinen sonischen Versatzstücken auf den vier Instrumenten ein gesamter Groove entwickelt, der wie eine Lokomotive vorwärts prescht, nur um dann in schnellem Wechsel wieder in einen B-Teil zu münden, dann einen C-Teil, dann D-, E- u.s.w. – Es ist wirklich erstaunlich wie tight und zugleich frei und wuchernd die Band ihre Songs performt. Nach drei Songs: Großer Applaus; dann: Stille. Drummer Greg Saunier, der eben noch wie ein Teufel getrommelt hat -teils mit dem linken, in Halloween-Optik besockten Fuß (!) die Snaredrum abdämpfend-, erhebt sich hinter seinem kleinen Schlagzeugset (Bassdrum, Snare, Floor Tom, ein Becken), schlurft quer über die Bühne zum auf circa 1,50 Meter Höhe eingestellten Mikrofon von Sängerin Satomi, bückt sich weit herab und resümiert langsam, ironisch in einer Mischung aus Deutsch und Englisch über die großartige Darbietung der ersten Lieder. Das Publikum musste lachen. Spätestens jetzt war auch für Deerhoof-Lai*innen der Modus für den Rest des Abends etabliert: Wahnsinnig kreative Songs mit catchy Melodien und wunderbar widerborstigen Parts werden gnadenlos ins Publikum gefeuert und transportieren durch ihre Verspieltheit, gewürzt vom Dauerlächeln des Gitarrist Ed Rodriguez und den weiteren trockenen Ansagen eine derart gute Laune, dass es nur noch eine helle Freude ist.

Frühe Highlights des Sets waren „Fresh Born“, das zwischen Kinderliedermelodien und unverschämt evil klingendem Post-Punk mit Duo-Gitarrenattacken, die sogar an Judas Priest denken ließen, changierte und „Love-Lore 2“, eine Mini-Prog-Oper, die aus mir unbekannten, in ihrem Effekt aber höchst erfreulichen Gründen das Knight-Rider-Theme miteinbaute.

Mit „No One Asked To Dance“ einer verträumten Faux-Flamenco-Ballade kehrt schließlich auch mal etwas Ruhe ein. Das folgende „Twin Killers“ beginnt im Mid-Tempo, wird dann schneller und fungierte so als Startrampe für die zweite Hälfte des Konzerts, das hier nicht weiter von Song zu Song, sondern vielmehr als bunter, alles mit sich reißender Mahlstrom des eklektischen funky Math Rock beschrieben sei.

Nach etwas über eineinhalb Stunden Konzert und 21 Songs, zwei davon als Zugabe, ist schließlich unter allen Masken im Saal ein breites Lächeln zu erkennen.

Ein Live-Album als Socken: Kreativer Merch von Deerhoof

Ein Live-Album als Socken: Kreativer Merch von Deerhoof

Danach am Merch-Stand gönnt man sich dann noch ein Paar Deerhoof-Socken, zu dem man via Downloadcode ein limitiertes Live-Album bekommt und ein wunderbarer Abend geht zu Ende. An dieser Stelle nochmal ein Dank an die Veranstalter, dass sie trotz aller Widrigkeiten im Festival-Booking daran festgehalten haben, zumindest Deerhoof nach München zu holen. Ein halb voller Saal X jubelte völlig zurecht.