Electro & Beatz im November: Zwischen Hosenenergie und Avantgarde

Orbit stellt sein Debütalbum vor, Gaga-Guru DJ Hundefriedhof kommt mit Spaßfaktor und Ricardo Villalobos gibt ein München-Comeback

Orbit in der Muffathalle

Ja doch, die Bedingungen für Musiker mögen schon mal bessere gewesen sein als im Zeitalter des Streamings. Und doch gibt es auch heute noch Erfolgsgeschichten wie etwa jene von Marcel Heym aka Orbit. Der nämlich hat seit dem pandemischen Jahr 2020 als Bedroom-Produzent in der Bremer Pampa einen Run hingelegt, den man wohl am besten mit Zahlen wie 27.191.665 zu greifen bekommt. Mehr als Siebenundzwanzigmillionen Streams sind also allein bei Spotify für seinen tiefenmelancholisch-träumerischen Indietronic-Track „Friday Night“ verzeichnet.
Noch irrer wird diese Geschichte, wenn man bedenkt, dass der junge Mann bis heute ohne Label im Rücken agiert. Aber nun, genauso ist das eben, wenn einer einen Nerv trifft. Nach drei EPs ist mit „Countless Feelings But So Few Words” gerade sein Debütalbum erschienen. Zehn Songs von einer derart sanften, warmen und ätherischen Qualität, dass sich nicht nur Fans ähnlich astral agierender Produzenten wie Christian Löffler oder Parra for Cuva Orbits Auftritt am 2. Dezember in der Muffathalle dick im Kalender anstreichen sollten.

Kompromat in der Roten Sonne

Ungleich harscher geht es da schon beim Projekt des französischen Electro-Spezialisten Pascal Arbez-Nicolas aka Vitalic und der französischen Sängerin Julia Lanoë aka Rebeka Warrior zu. Als Kompromat haben die beiden einen Sound ins Leben gerufen, der zwischen New-Wave-Kühle, Electro-Bratzerei und einem gerüttelt Maß an Pop-Appeal so unmittelbar ins Tanzbein geht, dass es letztlich ganz egal ist, ob Warrior nun auf Französisch, auf Englisch oder auf Deutsch singt. Enorm betörend klingt sie nämlich in jeder dieser Sprachen, wie auch der Auftritt der beiden am 5. Dezember in der Roten Sonne beweisen dürfte.

Komfortrauschen im Kulturhaus Milbertshofen

Techno mit analogen Mitteln, das ist durch die Pionierarbeit von Bands wie Elektro Guzzi und der weiteren Verästelung durch Techno-Marching-Bands wie Meute ja längst ein Genre für sich. Mit dem Berliner Trio Komfortrauschen gesellt sich nun ein weiterer hochinteressanter Act zur analogen Techno-Familie. Denn so vital wie diese drei an Gitarre-Schlagzeug-Bass nach vorne drängen, kann man sich einer schweißtreibenden Nikolaus-Party am 6. Dezember im Kulturhaus Milbertshofen ziemlich gewiss sein.

DJ Hundefriedhof in der Roten Sonne

Und damit noch einmal zurück in die Rote Sonne, wo am 7. Dezember mit Sascha Schreibvogel aka DJ Hundefriedhof einer auftritt, der zweifellos zu den schrulligsten Erscheinungen der Elektronik-Landschaft zählt. So ist Schreibvogel auf Instagram oder Youtube zusammen mit seiner Partnerin Lexia Starnum einerseits als eine Art Helge Schneider in Eso- und Natur-Guru-Form unterwegs, um seinen Fans dort per „direkter Strahlenübertragung“ diverse Formen der Energie zu übermitteln. Mal gewinnt er diese rubbelnderweise aus Ponys („positive Pferdeenergie für ein starkes Wochenende“), mal aus eher unbeteiligt wirkenden Schwänen („Wasservogelenergie“), mal aus Hochsitzen („Weitsichtenergie“), oder als „Hosenenergie für die ganze Woche“ auch mal aus einer Waschmaschine. Ziemlich schlüssig also, dass so einer denn auch am Modularsynthie in den Grauzonen zwischen Techno, Goa, Electro und Psytrance einen musikalischen Anarchismus zelebriert, dem mal bassmassierte Miniaturen in Gedenken an die Dinosaurier („Singosaurus Rex“), mal fluffig pumpende Vocal-House-Nummern als Ode aufs Pilze sammeln („Fiffeling“) entspringen, denen es zu keinem Zeitpunkt an Tanzbarkeit mangelt.

Ricardo Villalobos im Blitz Club

So präsent der eine als Gaga-Guru im Netz unterwegs ist, so rar hat sich der Gast gemacht, der am 19. Dezember im Blitz Club aufschlagen wird. Aber gut, wenn man es über Jahre als eine Art Keith Richards der elektronischen Musik so krachen lässt wie der Deutsch-Chilene Ricardo Villalobos, kann man sich als Familienvater schon auch mal irgendwann ins Private zurückziehen. Umso schöner natürlich, dass dieser genialische Avantgardist unter den DJs nun zum ersten Mal seit knapp 20 Jahren wieder in München zu sehen ist, um dort seine trippig-nuancierte Verbindung von Minimal-Techno, House und südamerikanischen Percussion-Sounds hören zu lassen.

Kevin de Vries im Pacha

Bleibt die Frage, für welche Ausnahmeerscheinung man sich an diesem Abend entscheidet. Legt mit dem Kölner Wahlberliner Kevin de Vries doch just am 19. Dezember einer im Pacha auf, der seit Jahren zu den gehyptesten Produzenten und DJs dieser Welt zählt. Und das völlig zurecht übrigens, denn die Eleganz mit der de Vries in seinem originären Melodic-Techno-Sound harte, treibende Beats mit euphorisierenden Trance-Melodien verschmilzt, hat so tatsächlich kein anderer auf dem Kasten.