Der nackte Mann von London: Bodies

Netflix-Serie „Bodies“: Wisse, du wirst geliebt

Die Mystery-Serie Bodies fasziniert auf ganzer Linie – selten war die Weltverschwörung so aufregend

Eine nackte Männerleiche wird in der Longharvest Lane, Whitechapel, London, gefunden – und zwar in den Jahren 1890, 1941, 2023 und 2053. Die Person liegt dort in gleicher Position mit einem auffälligen Tattoo am Handgelenk und einem Schuss ins Auge; eine Austrittswunde oder Kugel im Gehirn wird schon vom ersten Pathologen in Jack The Rippers alter Hood nicht gefunden, auch die anderen Kollegen tappen im Dunkeln. Vier Ermittelnde und diverse Sidekicks sind mit dem Fall Bodies (Netflix) beauftragt: Im viktorianischen England ist es Inspektor Edmond Hillinghead (Kyle Soller), ein braver Familienvater, der schon bald auch wegen seiner Homosexualität im Revier Probleme bekommt; in der mitten im „London Blitz“ angesiedelten nächsten Zeitschiene ist es der jüdische Beamte Charles Whiteman (Jacob Fortune-Lloyd), der antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt ist, außerdem dunklen Geschäften nachgeht. In der Gegenwart hat es die farbige, muslimische Kommissarin Hasan (Amaka Okafor) mit Brit-Faschos und einem, so scheint’s, nicht zu verhindernden Bombenattentat zu tun – hier werden auch die Weichen für einen totalitären Staat der Zukunft gestellt (Motto: KYAL – Know You Are Loved) und in diesem muss sich die androgyne Detektivin Iris Maplewood (Shira Haas) dem Fall des nackten Mannes annehmen.

Natürlich steckt eine große Verschwörung, mit einer von Stephen Graham gespielten Schlüsselfigur, hinter dem ganzen Wahnsinn, wie sich die Handlungsstränge verzweigen und verdichten ist große Erzählkunst in acht Folgen und für den Zuschauer ist die Adaption der Graphic Novel von dem 2021 verstorbenen Si Spencer ein Glücksfall. Die Faszination dieses nach „Liebes Kind“ erneut großen Wurfs des Streaming-Anbieters, beruht auch auf einem gelungenen Drehbuch von Paul Tomalin und Danusia Samal sowie der gekonnten Regie von Marco Kreutzpaintner und Haolo Wang. Jede Zeitebene hat ihren ganz eigenen, ziemlich authentischen Look, geschickt sind die Übergänge in aufgepeppter Splitscreen-Technik montiert. Alle Akteure agieren überdurchschnittlich gut, auch kleinste Nebenrollen sind großartig besetzt. Der temporeiche Reigen in aktueller Diversität mit unzähligen popkulturellen und historischen Verweisen macht „Bodies“ zur Serie der Stunde – Achtung: Binge-Gefahr! Und dass eine Vinyl-Platte dabei am Schluss die wichtigste Rolle spielt: Nostalgie und Zeitgeist pur.

Weitere Tipps:

Edgar Allan Poe steht hoch im Kurs zur Zeit, überhaupt erlebt das 19. Jahrhundert gerade eine Renaissance in Sachen Kunst und Kultur. Der Untergang des Hauses Usher (Netflix) von Horror-Spezialist Mike Flanagan ist eine moderne Adaption einer Kurzgeschichte des amerikanischen Schriftstellers, die zudem mit Versatzstücken und Zitaten aus anderen Erzählungen Poes angereichert wurde. Im Mittelpunkt der tragischen Familiensaga stehen die Zwillinge Rodrick (Bruce Greenwood) und Madeline Usher (Mary McDonnell), die für den Erfolg ihres Pharma-Unternehmens Fortunato Pharmaceuticals buchstäblich über Leichen gegangen sind. Als eine mysteriöse Frau, die Gestaltwandlerin Verna, in Erscheinung tritt, kommen immer mehr Mitglieder der Sippe auf mysteriöse Weise ums Leben. Parallelen zu Pharmagrößen wie der Familie Sackler, die mit ihrer Firma Purdue Pharma und der Herstellung von Oxycodon Milliarden gescheffelt hat und für die aktuelle Opiodkrise in den USA verantwortlich gemacht wird, sind wohl nicht zufällig. Ob allerdings in der Realität die amerikanischen Gerichte als Gestaltwandler in Erscheinung treten, gilt als eher unwahrscheinlich.

Drei junge Paare feiern feuchtfröhlich ihr Wiedersehen auf einer Yacht vor der Küste Italiens, bis sie am nächsten Morgen feststellen, dass sie betäubt wurden. Boot und Funk sind sabotiert, sie treiben auf offener See, ohne Trinkwasser oder Vorräte. Als am Horizont endlich ein Schiff auftaucht, scheint die ersehnte Rettung nahe, doch der fremde Kapitän hat anderes im Sinn … Der italienische Psychothriller Die Yacht – Ein mörderischer Trip (Atlas) von Regisseur Alessio Liguori ist unterhaltsame B-Movie-Kost, auch wenn die Handlung schon bald so durchsichtig ist wie das Mare vor Capri.

Autor: Rainer Germann