Neue Platten aus nah und fern für den November

Neue Scheiben von und mit The Lemonheads, Jesper Munk, David Gilmore, Robert Plant, Ash, Biffy Clyro, Bobo & Herzfeld und Claudia Koreck & Gunnar Graewert

Platte des Monats:

Jesper Munk – best of … live (with Deutsches Filmorchester Babelsberg / The Cassette Heads)

Allein, dass an dieser Stelle ein Live-Album, das zudem noch ein Querschnitt durch den Werdegang eines Künstlers ist, vorgestellt wird, sollte Sie aufmerken lassen: Ist sowas doch sonst eher gar nicht meins. Aber im Hause Munk weiß man eben, wie man so etwas stilvoll und spannend gestaltet. Das Doppelalbum „best of … live“ kommt mit 20 beeindruckenden Songs daher. Zehn davon aufgenommen mit seiner Band The Casette Heads  und zehn mit niemand geringerem als dem Deutschen Filmorchester Babelsberg. Was im Streaming als zwei separate Alben veröffentlicht wurde, ist auf Vinyl ein sattes Doppelalbum, das in seiner Aufmachung Freunden physischer Medien helle Freude bereiten wird.

Und die Musik erst: Die Platte mit den Cassette Heads changiert zwischen entspannt jazzy, unverschämt funky, dirty bluesy, verträumten DooWop-Anleihen und vielem mehr, wirkt dabei aber dank eigenständig zeitlosem Mix aus einem wunderbaren Guss. Obacht, Musikjournaillenklischees: Als hätten Donald Fagen, D’Angelo (R.I.P.), Jon Spencer und Ariel Pink gemeinsame Sache gemacht. Und doch mit was ganz eigenem drin, das alles eint. Die Band und Jesper Munk selbst scheinen dabei vor Spielfreude zu platzen. Wenn „Yesterdaze“ nach schwelgerischem Gitarrensolo zärtlich ausklingt, will man direkt wieder von vorne starten, was schade wäre, da man sich dann der Platte mit dem Orchester berauben würde.

Die ist nochmal ein ganz anderes Biest. Und dabei dankenswerterweise völlig schmonzfrei (keine Selbstverständlichkeit bei symphonischen Platten). Wie sich direkt beim Opener „Easier“ die Orchester-Musiker zurücknehmen, um dann am Ende eine noisig majestätische Gitarre immer noch weiter in luftige Höhen zu schrauben… das ist schon wahrlich groß. Und Richard Hawley schaut neidisch rüber. Und so geschmackvoll bleiben die Arrangements auch weiterhin: „Reeperbahn“ etwa, als hätte Jack White einen Bond-Song komponiert (Hat er ja sogar!). „Morning Coffee“: The Commodores feat. Frank Sinatra. Und so weiter… Die Vergleiche tun Munk und der Platte sogar Unrecht, sollen nur illustrieren von welcher Größenordnung wir hier sprechen. Bei jedem Hören gibt es neues zu entdecken und das kann ich Ihnen hier nur nahelegen. Ein tolles Doppelalbum und gerade als solches wahrlich eine Anomalie in der heutigen Zeit. – Franz Furtner

David Gilmour – The Luck And Strange Concerts

Fraglich, ob man über David Gilmour überhaupt noch etwas schreiben soll, muss, kann… oder nicht vielleicht doch schon alles gesagt ist, irgendwie. Sein Ton an der Gitarre einzigartig, in der zuständigen Wikipedia-Liste wird er deshalb auch auf Platz 14 geführt, unter den „The 100 Greatest Guitarists of all Time“. Seine Stimme, na ja, markant und in unseren Hirnen immer auch fest verknüpft mit Welthits wie „Breath“, „Time“ und/oder „Wish You Where Here“. Die sind hier natürlich auch zu hören sowie einiges aus seiner Solokarriere. Wer es visuell liebt, holt sich gleich auch noch „Live At The Circus Maximus, Rome“ als Doppel-DVD. Weihnachten kann kommen, Geschenke für Pink Floyd-Fans sind vorhanden!

The Lemonheads – Love Chant

Zuletzt als ich Evan Dando gesehen habe, hat er meine Frau um eine Zigarette angeschnorrt. Danach spielte er ein grandioses Best of-Programm im Ampere. Der Opener „58 Second Song“ hätte da prima reingepasst: Uptempo, schnörkelloser College-Rock, ganz der Alte. Oder sollte man lieber schreiben der Neue? Also der Evan Dando, der sich gefangen hat, der in seiner Wahlheimat Brasilien zur Ruhe kam und sich an den Evan Dando erinnerte, der Spaß hatte, egal wie viele Drogen und Alkohol er intus hatte. „Deep End“ mag ich auch: Rumpelnder Riff-Rock at its best! Straight 90ies auch „In The Margin“, „Wild Thing“, „Cell Phone Blues“ und einige andere… Etwas balladesker wird’s nur in „The Key Of Victory“. „Love Chant“ passt gut in eine Zeit in der auch Buffalo Tom und/oder Sugar wieder Lebenszeichen von sich geben. Ich mag’s!

Biffy Clyro – Futique

Auch ein schönes Rockbrett präsentieren uns Sänger/Gitarrist Simon Neil und Gefolge auf ihrem soeben erschienenen Album „Futique“. Nachdem es zuletzt, wir erinnern uns kurz an „Elipsis“, doch eher etwas (zu) poppig für manch eine/n zuging, heißt die Devise jetzt wieder: Alternative-Rock. Wieder etwas kompromissloser, dominante Gitarren auf gelegentlich auch gewaltigen, ausladenden Grooves. Apropos: Der Albumtitel stellt dem Info zu Folge eine sehr treffende, bandeigene Wortschöpfung aus „future“ und „antique“ dar. Und ja, hat etwas antikes, vielleicht auch eher retrospektives. Aber es ist ja auch das neue Album mit dem jetzt ausgiebig getourt werden soll, somit also auch etwas zukunftsgewandtes. Fans der ersten Stunde werden weiterhin die Komplexität vergangener Tage vermissen, andere, weniger gestrenge, dafür mehr popaffine Biffys werden ihre wahre Freude daran haben.  (12.2. Zenith)

Ash – Ad Astra

Haha, sehr gut. Und zugleich: Mutig, mit einem Cover von „Zarathustra“ anzufangen. Aber es ist genau die Art von Humor, die den mittlerweile in New York beheimateten Nordiren Tim Wheeler und seine einfach nicht unterzukriegenden Ash immer schon auszeichnete. Es folgen BritPop-Smasher der Güteklasse 1A mit Stern: „Which One Do You Want“ und „Give Me Back My World“ etwa, die mit Hammer-Hooks sowohl auf Gitarren wie auch im Gesang begeistert. Oder auch das zusammen mit Blurs Graham Coxon zusammen eingespielte Rock-Späßchen „Fun People“. Hymnisch auch das poppunkige Uptempo-Schmankerl „Hallion“, inklusive Wohohoho-Chöre. Nach dem viel zu lange geratenen Filler „Deadly Love“ folgt das wunderschöne, akustische und mit Streichern reich ausgeschmückte „My Favourite Ghost“. Harry Belafontes „Jump In The Line“ kommt dann im Hey-Ho-Let’s-Go-50s-to-60s-Calypso-Rock’n-Roll-Gewand daher und nimmt die Herzen nochmal im Sturm. Selten so gute Laune gehabt, zuletzt: Große Liebe, auf ewig!


Bobo & Herzfeld – Ich bin der Welt abhanden gekommen

Nach all der Rockpower, darf’s dann gerne auch mal etwas ruhiger zugehen, finde ich zumindest. Genau das richtige, zum Runterkommen gewissermaßen. Und ja, Christiane „Bobo“ Hebold ist der Welt etwas abhanden gekommen, vor allem meiner. Hebold hatte sich mit ihrer Band Bobo In White Wooden Houses und vor allem ihrer wirklich sensationellen, stilvoll orchestrierten  Coverversion von Soundgardens „Black Hole Sun“ einst in mein Herz gespielt. Das war alles Mitte der 90er, lange her. Danach intonierte sie noch den „Engel“ auf Rammsteins gleichnamiger 97er-Single, danach hörte ich nichts mehr, bis jetzt. Und was ich höre sind weitestgehend sphärische Kunstlieder zwischen Poesie, experimenteller Instrumentalmusik und Kammerpop, gesungen von Bobo, gespielt von ihrem Partner Sebastian Herzfeld am präparierten Klavier, Harmonium, Melodika und Metallschlagwerk. Keine leichte Kost, wer sich aber die Mühe macht und zuhört, wird reichlich belohnt.


Robert Plant – Saving Grace

Robert Plant selbst beschreibt dieses wirklich sehr stimmungsvolle Coveralbum als ein „Liederbuch der Verlorenen und Gefundenen“. Gemeint sind damit wohl die zum Teil   längst vergessenen Urheber solch großartiger Folk-Songs wie „As I Roved Out“, „Chevrolet“, „Soul Of A Man“ und/oder „Too Far From You“, wie etwa Memphis Minnie, Bob Mosley, Blind Willie Johnson, Martha Scanlan, Sarah Siskind, aber eben auch zeitgemäßerer Künstler wie The Low Anthem („Ticket Taler“) und Low („Everybody’s Song“), quasi als Reminiszenz an die jüngst verstorbene Mimi Parker, deren Part Dauer-Duett-Partnerin Suzi Dian respektvoll übernimmt. Entstanden ist die Idee während der Corona-Lockdowns und über die letzten fünf Jahre wurde dann immer wieder mal zusammen aufgenommen. Schön.


Claudia Koreck & Gunnar Graewert – The Loveolution Project

Das hier ist aber mal ein ganz besonderes Heimspiel und zwar eine ebenso hörens- wie lesenswerte Symbiose aus dem Roman „Heidi, sing lauter“ und dem Album „The Loveolution Project“. Aber der Reihe nach: Heidi Morales ist Sängerin und träumt von der großen Karriere. Während sie so vor sich hin träumt läuft ihr der Musikproduzent Mick Montgomery über den Weg. In ihren Herzen tragen sie die Liebe zu den Menschen im Besonderen und der Kunst im Allgemeinen. Ihre Musik soll ein Gegenentwurf zu einer Gesellschaft voller Gier und Hass und Neid und Manipulationen und politischen Intrigen sein…

Und so klingt es dann auch: Harmonisch, engagiert, melodiös, ambitioniert und am modernen Pop-Puls der Zeit produziert. Dabei singt Claudia Koreck diesmal so ziemlich jede Sprache – von englisch über spanisch bis französisch – außer bayerisch, was ihr ganz hervorragend steht. Den Part des Produzenten hat ihr Ehemann und Vater ihrer zwei Kinder Gunnar Graewert übernommen, der ja bereits mit Künstlerinnen wie Helene Fischer und Annette Louisan Chartluft schnuppern durfte und deswegen sehr genau weiß, wie Hits zu klingen haben. Wirklich ein ganz besonderes Heimspiel…