Am 30.6. war Morrissey nach langer Zeit mal wieder in München zu Gast und spielte im halbvollen Zenith ein gelungenes Konzert.
Geht man im Jahre 2025 auf ein Morrissey-Konzert, fühlt es sich so an, als würde man die Welt des (gefallenen?) Indie-Heros aus Manchester schon Stunden bevor er die Bühne erklimmt, betreten. So ist dessen Vegetarismus bekannt und folgerichtig gab es auch in den Standln vor dem Zenith nur Pinsa mit Auberginen und Mozzerella. Dazu dann Gespräche mit den anderen Fans: Wird er heute wieder schimpfen? Den Nationalisten raushängen lassen? Wird er seine Position als Contrarian gegenüber Aufregerthema XY verlautbaren müssen? Auch wegen solcher Fragen, die in den letzten Jahren im Morrissey-Kosmos leider immer dräuender wurden, fühlt man sich bereits vor dem Zenith stehend in der dandyhaften, oft selbstironischen, öfter auch widersprüchlichen Welt des Ex-Smiths-Sängers angekommen.
Nun in die (dankenswerterweise gut gekühlte) Halle selbst: Man gönnt sich ein Bier aus einem von drei mit Mozzer-Song-Zitaten zum Thema Alkohol bedruckten Bechern und genießt… den Vorfilm, denn: Um 20 Uhr beginnt auf der Leinwand am hinteren Bühnenrand eine Collage aus meist musikalischen Videos, die der Maestro wohl selbst kuratiert hat: New York Dolls, Ramones, Benny Hill, The Stooges. Teilweise wohl frisch von YouTube gerippt, so schlecht war die Bildqualität. Dennoch entstand dadurch ein einzigartiger Charme des leicht Unprofessionellen, der die Atmosphäre aufheiterte.
Obskur doch gut bei Stimme
Nach 35 Minuten wird das Saallicht nochmal mehr abgedimmt, auf der Leinwand erscheint eine stilisierte Version der Flagge der USA und das Antlitz des Schriftstellers und Bürgerrechtlers James Baldwin. Dazu betreten Morrissey und seine fünfköpfige Begleitband die Bühne und fackeln direkt eine energische Version des Smiths-Klassikers „Shoplifters of the World Unite“ ab. Das Publikum -enthusiasmiert- wird gleich hinübergehievt in den selbstironisch selbstüberhöhenden „All You need is me“, von da zum Brett „One Day Goodbye will be Farewell“ (beide vom 2009er Album „Years of Refusal“) und schließlich zum The-Smiths-Übersong „How soon is now?“. Tosender Applaus. Und auch wenn das Konzert ab da noch weitere Perlen bereithalten sollte… die Dringlichkeit dieser ersten vier Lieder wollte nicht mehr aufkommen. Obwohl der Sound fürs vielgeschmähte Zenith sehr gut war und die Lieder oft härter daherkamen als ihre Studioversionen. Die Band (Jesse Tobias: Gitarre; Carmen Vandenberg: Gitarre; Camila Grey: Keyboards; Matt Walker: Schlagzeug; Solomon Walker: Bass) war extrem tight und bewies auch im eher engen Korsett der Indie-Rock-Songs enorme Spielfreude.
Die Show
Die Show: Jeder Song wurde auf der Leinwand durch Bilder diverser Ikonen aus Film und Kunstgeschichte untermalt. Die non-binäre Maler-Person Hannah Gluckstein, später Gluck, war dabei die einzige, die von Morrissey in einer Ansage kurz auch benannt wurde. Der Meister selbst: Gut bei Stimme, schwelgerisch wie eh und je und in den Ansagen eher humorvoll als schimpfender Onkel. Wenn die Stimmung zwischendrin etwas abflaute, dann aufgrund der teilweise obskuren Setlistzusammenstellung: Da ging es quer durch seine Soloalben bis in die B-Seiten hinein, was für Morrissey-Expert*innen ein Fest war, ließ den Saal doch merklich etwas ruhiger als zu Beginn werden. Mit der Smiths-Ballade „I know it’s over“ und dem Stück, das bereits 1988 die quallenhafte Existenz, die wir in der Coronazeit durchlebten, vorwegnahm – „Everyday is like Sunday“ – wurde die Stimmung merklich wieder aufgeheizter.
Persönliches Highlight für mich war das sphärische Stück „Life is a pigsty“ vom 2006er Album „Ringleader of the Tormentors“, das mir -damals 16- eines dieser in der Pubertät besonders identitätsstiftenden pessimistisch-ironischen Lieder sein sollte. Und wie eben das Lied an diesem Montagabend da plötzlich durchs Zenith erscholl… das war schon echt fett.
Zwei Zugaben -„Last Night I dreamt that somebody loved me“ (Smiths!) und das eben doch irgendwie mit Nationalitäten hantierende „Irish Blood, english heart“ vor Projektion von Oscar Wilde-, zwischendrin ein kleiner Block, wo alle Musiker*innen etwas sagen durften und wir wurden wieder in die heiße Münchner Nacht entlassen.
Die „Person“ Morrissey
Und hat er jetzt auch Schmarrn geredet? Teilweise! In einer frühen Replik sprach er von Menschen, die dafür, woran sie glaubten ins Gefängnis müssten. Wenn es ihm einmal so ergehe, werde er ein Gefängnis in Saint Tropez wählen, da er da zumindest „topless“ der Dinge harren kann. Märtyertum und Selbstironie in einem. Das hätte noch viel schlimmer kommen können. Und sicher: Der Herr ist ein Narzisst o.Ä., der merkt, wie ihm im zunehmenden Alter die Felle davon schwimmen und der daher um Relevanz ringend lospoltert. Leider teils dumm reaktionär und meist eitel. Genau diese Eitelkeit ist es aber auch, die seine Aussagen regelmäßig als sehr oberflächlich und sein Weltbild als variabel entlarvt, was mir in diesem Fall die vielfach beschworene Trennung von Kunst und Künstler sehr leicht macht. Mal will er anecken und lobt Trump, mal lässt er alle seine Bandmitglieder „Fuck Trump“-Shirts tragen, etc. pp. Wenn man auf diesen Wankelmut und das Spiel mit dem Unsagbaren keine Lust und daher für sich mit Morrissey abgeschlossen hat… fair enough, absolut legitim. Für alle anderen gibt es aber noch durchaus gelungene Konzerte mit teils magischen Momenten zu erleben.