Zorn und Trotz: Maria Stuart im Residenztheater

Bühnenschau im Juni: Klassiker-Transformationen

Sehenswert: Der zerbrochene Krug am Volkstheater, Maria Stuart am Residenztheater

Eine Dorfposse um die Scherben eines Kruges, altes Kunstdeutsch, ein Jurist, der sich in Lügen verheddert, weil er nächtlich nicht ganz standesgemäß unterwegs war: was soll an diesem Lustspiel, von Heinrich von Kleist selbst so betitelt, heute noch interessant sein? Alles, muss man sagen nach dem Besuch von Mathias Spaans Interpretation des 1808 uraufgeführten Klassikers „Der zerbrochene Krug“ am Volkstheater. Denn Spaan schlägt den Bogen spannend von der Historie ins Heute und macht nicht weniger als einen #MeToo-Krimi daraus. Von der historischen Dorfrichter-Stube ins Live-TV-Studio: wie in einer True-Crime-Story schneiden sich Interview-Sequenzen, übergroß auf der Gaze-Wand, mit dem realen Geschehen auf der Drehbühne – von Richter Adam (Pascal Fligg) mit seinen verräterischen Blessuren in den modernen Verhandlungsaal mit dem Anzugschnösel von Gerichtsrat (kein Rechtskontrolleur, nur schmieriger Reputationswahrer: Jan Meeno Jürgens) bis zur Hausfassade, an dem beim Ortstermin verschiedene Fenstersturz-Varianten getestet werden.

Spaan seziert Kleist, baut ihn auseinander und wieder neu zusammen, bleibt aber hart am Stück, gibt Kleists Sprache ihr Recht, vergisst den Witz – bis ins Comedyhafte – nicht. Endet aber ernst, erschütternd, bei seinem zentralen Fokus, der Figur, die so viel mit verschlossenen Lippen über sich hat ergehen lassen: Eve, die junge Frau, Adams nächtliches Ziel. Die Wut friert in einem fest, wenn die grandiose Anne Stein erzählt und sich lange, lange die Hände wäscht – das Techtelmechtel: ein brutaler Übergriff, Adam: ein Weinstein. Verdienter Jubel. Dieser „Krug“ ist ein Muss.

Wen soll sie spielen?, geht die Frage ins Publikum. Elisabeth, kommt die Antwort, und so ist bei der Premiere von Friedrich Schillers „Maria Stuart“ im Residenztheater eben Pia Händler die englische Königin Elisabeth und Lisa Stiegler die schottische Ex-Königin Maria. Könnte auch anders sein, beide Schauspielerinnen haben beide Rollen komplett gelernt (Chapeau schon mal dafür). In Nora Schlockers
(krankheitsbedingt hat Alexander Eisenach die Endproben betreut) Inszenierung des Stücks – Maria findet Asyl bei ihrer Halbschwester Elisabeth, diese sieht zunehmend ihren Thron in Gefahr – ist die zentrale Idee: jede könnte auch in der Position der anderen sein. Und so stolpern sie wie siamesische Zwillinge, Rücken an Rücken gepresst, in diese Inszenierung, die zwei Frauen, die sich schon optisch ähnlich sind: die Gesichter blass, die Haare kurz und rot, Grimassen, Körperzuckungen, die Unwohl signalisieren, ein Irgendwie-Rauswinden aus der von Schicksal und Geschichte zugedachten Rolle. In der zentralen Begegnungsszene tauschen die beiden ihre Halskrausen. Und sind kurz die andere. Die steile, drehbare Rampe auf der offenen Bühne sorgt für spannendes Gefälle und im Spiel für Distanz, Spiegel erweitern oder verengen die Perspektive, als reflektierendes Symbol etwa für das Eingesperrtsein. Die Psychologie schaut dabei mehr auf die beiden Protagonistinnen in ihrem Zorn und Trotz, auch Hass, in ihrem Ringen um Macht und Ängste, um Gesichtswahrung. Die Männer-Welt in ihrem geckenhaften Wams-und Puffärmel-Chic um sie herum (Vertreter politischer Interessen eben, und teils auch emotionaler: u.a. Vincent zur Linden, Oliver Stokowski, Thomas Reisinger) kriegt deutlich weniger Profil. Auch wenn der Abend der Deklamationsgefahr bei Schiller nicht ganz entkommt: großer Beifall.