„Wie meinst jetzt Dialekt, Spatzl?“ – Ein München-Kabinett in 4 Typen

Heute ist der internationale Tag der Muttersprache. Innerdeutsch wird das zum Anlass genommen besonders die regionalen Dialekte in den Fokus zu nehmen.

Den meisten Münchner*innen wohl zurecht egal, für den Rest aber ein zweischneidiges Schwert: Sind wir doch alle stolz auf den Ruf des gemütlichen Savoir Vivre, den der bairische Dialekt in der hiesigen urbanen Ausprägung genießt. „Vielleicht ein wenig rückwärtsgewandt, aber um Welten besser als sächsisch,“ so denken wir selbstreflektierend und doch leicht patriotisch in uns.

Gleichzeitig ist es uns gewahr: So richtig sprechen können ihn bei Weitem nicht alle. Dabei warad’s so „schee“ oder „griabig“ oder so. Eine verfahren-widersprüchliche Situation, die ganz unterschiedliche Früchte treibt. Wir stellen Ihnen diverse Typen von Münchner Dialektsprechern vor.

1. Der Grantler

Habitat: Die dunklen Ecken traditioneller Wirtschaften.

Besondere Fähigkeiten: Kann in allem Schönen das Schlechte sehen und dies schlagfertig formulieren.

Schwächen: Oft keine optimalen Leberwerte

Wir starten mit einem echten Original der Münchner Dialektsprecher. An sich ist der Grantler durchaus hell im Kopf. In Sentenzen wie „Was soi I woanders? I mag’s ja dahoam scho ned“ offenbart er seine fatalistisch-ironische Weltsicht in authentischem Bairisch. Leider driften manche Spezimen des Grantlers im Biotop des Stammtischs oftmals ins etwas zu patriotische Volkstümeln ab. Er ist somit am bundesweit nicht lupenreinen Ruf der Münchner*innen nicht ganz unschuldig.

Dennoch 8 von 10 Punkten auf der Dialektskala.

2. Der Dipferlscheißer

Habitat: Überall da, wo Weißwürst auch nach 12 Uhr gegessen werden kann man ihn/sie mit erhobenem Zeigefinger auffinden

Besondere Fähigkeiten: Kann gut Norgerl zusammenschütten

Schwächen: Tut dies auch.

Dass man München innerhalb der Stadtgrenzen überhaupt nicht „Minga“ nennt, ist für die meisten ein alter Hut, nicht jedoch für den Dipferlscheißer. Er ist sehr stolz auf dieses bayrische Wort, das sich in seinem aktiven Vokabular befindet, und verbindet es meist mit dem Wort „Oida“, nur um danach wieder in normales Hochdeutsch „abzudriften“. Dennoch fühlt er sich berufen, es dir direkt zu sagen, ja vorzuwerfen, wenn du Giesing und nicht Giasing oder Oktoberfest und nicht Wiesn sagst. Dann noch ein „Mia san mia“ hinterher, um zu zeigen, dass er Teil einer Elite ist, die auf höherem Level kommuniziert. In seiner Pedanterie vergisst er dabei vollumfänglich die Lässigkeit, die bei diesem Dialekt im besten Falle mitschwingen sollte. Dann erklärt er noch, dass es „die Mass“ und nicht „die Maß“ mit langem „a“ heißt und damit hat sich sein Bairisch-Wissen auch schon erschöpft. Diesen Umstand kompensiert man in der Welt der Dipferlscheißer häufig durch Shirts und Käppis mit den Aufschriften 089 oder Heimatliebe.

0,89 von 10 Punkten auf der Dialektskala.

3. Der Bavaro-Hipster

Habitat: LMU, Milla, Substanz

Alter: ca. 30

Besondere Fähigkeiten: Kann den Ritter Hadubrand von Fredl Fesl auch nach 2 Mass noch auswendig.

Schwachpunkte: Singt einfach zu oft den Ritter Hadubrand von Fredl Fesl.

Eine kurze Biografie: In München oder im Umland in ein Elternhaus hineingeboren, das durchaus des Bairischen mächtig ist, wird der Bavaro-Hipster schließlich Franz oder Elisabeth getauft. Bei langen Autofahrten -im Sommer nach Jesolo- hört er/sie bereits als Kind den ganzen Polt rauf und runter, versteht ihn kaum -außer „Nikolausi“-, labt sich aber am Klang und der oft inbrünstigen Performance. Im Kindergarten singt man noch mit der Bären-Gruppe „Sepp Depp Hennadreck“ und „Nikolo Bumm Bumm“, aber dann in der Grundschule passiert es: Man lernt Freund*innen kennen, die Hochdeutsch reden. Man hört gern Blumentopf oder merkt: Hey, die Ärzte sind ja echt ne saugute Band.

Kurz: Man öffnet sich einer ungeahnten Welt der Einflüsse. Und schon geht’s dahin. Mit Anfang 20 hat man dann, außer bei den immer seltener werdenden Oma-Besuchen, das Bairische schon mehrere Jahre nicht mehr genutzt. An der Uni lernt man Niederbayer*innen kennen, staunt über deren lässige Labiallaute und fühlt sich ein wenig im Zugzwang. Man versucht aufzutrumpfen, indem man viiiieeeel Polt zitiert, weiß aber, dass man den Grad der Authentizität der Aussprache der schönen Passauerin nicht (mehr) erreichen wird. Um das zu kompensieren hört man Kofelgschroa oder schreibt im Germanistikstudium Seminararbeiten über Elemente der mittelhochdeutschen Laurin-Dichtung im Oeuvre Fredl Fesls unter besonderer Bezugnahme auf dessen Lied „Der Ritter Hadubrand“.

Den bairischen Dialekt spricht der Bavaro-Hipster gar nicht schlecht, er ist sich aber seiner Unzulänglichkeiten bewusst und fühlt sich nicht authentisch. Einen Akzent kann er/sie sich aber durchaus zuschreiben.

6 von 10 Punkten auf der Dialektskala.

4. Die Bayrische Oma

Habitat: Überall, wo’s gute Prinzregententorte gibt.

Alter: Zeitlos

Besondere Fähigkeiten: Weiß, wo’s in der Metzgergasse am Viktualienmarkt das beste Wammerl gibt.

Schwächen: Keine.

Eine wahre Geschichte: Als ich meine Oma einmal in ihrem Altersheim besuchte, saß sie gerade gemütlich im Gemeinschaftsraum. Auf dem angeschalteten Fernseher lief ein Musiksender, der gerade ein Video des US-Rappers Lil Wayne abspielte. Ich fragte meine Oma „Sag mal Oma, was schaut ihr denn da gerade an?“ Die Antwort kam prompt: „Mei, was werds sei? A Schnaderhipfe hoit, oder?“ Ein „Schnaderhüpferl“ bezeichnet einen urwüchsig-derben Vierzeiler, der als Einleitung zum Landler gesungen wird.

Innerhalb eines kurzen Satzes hat diese Frau also Gangsta-Rap über sein bajuwarisches Pendant definiert, somit leicht verharmlost und also Lil Wayne gedisst. Etwas ernster: Bairisch-Sprechende älteren Semesters haben in ihrer Sprache großes kulturelles Wissen ruhen. Wissen, das überrascht und neue Perspektiven aufzeigen kann. Es gibt wenig Schöneres, als diese bei einem gemütlichen Tee und lustigen Gesprächen zu ergründen.

10 von 10 Punkten auf der Dialektskala.

Autor: Franz Furtner (Sieht sich in Kategorie 3, aber nur weil er noch kein 089-Käppi hat.)