Die besten Bücher im März

Die besten Bücher im März: Unsere Lesetipps!

Eleanor Catton – Der Wald (btb)

Was passiert, wenn Idealismus auf Geld trifft? Genau. Die in Kanada geborene, in Neuseeland aufgewachsene und in England lebende Booker-Preisträgerin Eleanor Catton lässt in ihrem neuen Roman diese Welten aufeinanderprallen, und eins vorweg: es geht nicht gut aus. Mira ist die Gründerin einer neuseeländischen Guerilla-Gardening-Gruppe namens Birnam Wood. Die Aktivisten bepflanzen brach liegende, oft von den Eigentümern vernachlässigte Flächen, meist an der Grenze zur Legalität, praktisch immer ohne Profit. Als ein Erdrutsch eine große, unbewohnte Farm
von der Außenwelt abgeschnitten hat, witterte Mira die Chance ihr Projekt allein aufgrund der Anbaufläche auf rentable Füße zu stellen. Vor Ort trifft sie auf den mysteriösen amerikanischen Milliardär Lemoine, der vorgibt die Farm gekauft zu haben, um einen Endzeit-Bunker zu bauen. Lemoine wirkt fasziniert von Mira und macht ihr ein Angebot: Sie könnte parallel zu den Bauarbeiten die Farm mit ihrer Gruppe bewirtschaften, er würde für die Finanzierung sorgen. Dass dieser Vorschlag zu schön, um wahr zu sein klingt, müssen Mira, ihr radikaler Ex-Freund Tony, der eigentliche Farm-Besitzer Sir Owen und das angrenzende Naturschutzgebiet auf ziemlich harte Art und Weise bis zum actionfilmreifen Finale erfahren … Catton gelingt es ein zeitgemäßes Thema furios, detailgenau und mit schonungsloser Zeichnung ihrer Figuren zu erzählen. Wie gesagt: filmreif.
Rainer Germann

Adriano Sack – Noto (Nagel und Kimche)

Journalistenbücher. Schwieriger Fall. Wer professionell viel, pointiert, klug und kritisch schreibt, erliegt gerne mal der Versuchung, ebenfalls sein Herz zu öffnen und ein wenig mehr zu hinterlassen als die übliche Zeilenschinderei unter Zeitdruck. Ob das dann auch immer wirklich wichtig, wenn nicht sogar „Kunst“ wird, ist oft gar nicht leicht zu beantworten. Adriano Sack, langjährig tätige Edelfeder bei längst nicht mehr immer lebendigen Vorzeigepublikationen wie „Tempo“, „Spiegel“ oder „Vanity Fair“, zuletzt „Welt am Sonntag“-Ressortleiter, hat sich auf die auch nicht mehr ganz jungen Tage dann doch noch an einem Roman versucht. Und zunächst macht er den Fall vermeintlich schnell klar. Auch „Noto“ liest sich wie eine eitle Selbstbespiegelung. Und erzählt von Kulturschickeriamenschen, mit denen man wenig zu tun haben möchte. Ausgangspunkt ist eine Trauerbewältigung: Nach dem jähen, überraschend schnöde abgewickelten Ableben des Lebenspartners zieht es den Erzählenden noch einmal an den Ort, an dem er mit seinem geliebten „Adriano“ lange glücklich war – ins gemeinsame Ferienhaus auf Sizilien. Doch es
wird eine Reise der Missverständnisse, der Enttäuschungen, der Ernüchterung und der Wandlungen: Je stärker die Fassaden bröckeln, desto mehr kommt man dann doch zum Kern. Zu einer echten Liebe, zum Schmerz – und zu einem Abschied. Und dann hat das Buch plötzlich doch so viel zum Sagen. Wie schön!
Rupert Sommer

Tobias Roller – Der Goldhügel (Volk Verlag)

Das vielbeschworene Päckchen, das ein jeder zu tragen hat, wiegt auch für den an Tuberkulose erkrankten Erich Kästner schwer, als er 1962 zur Kur im Tessin weilt, auf dem Collina d’Oro, einem Sanatorium auf dem Goldhügel. Und es wird zu Kästners persönlichem Zauberberg: der parallel zu seiner Krankheit an einer Schreibkrise leidende Dichter schwankt zwischen zwei Frauen, hat einen kleinen Sohn, zu dem er keinen Kontakt hat, wird darüber hinaus von Selbstzweifel und Dämonen aus der Vergangenheit gequält; der eingeschmuggelte Whisky und Zigaretten dämpfen gerade so die mahnenden Worte des Professors, eine junge, glühende Verehrerin lässt kurz wieder etwas Feuer in Kästner auflodern, bis schließlich bei einem Besuch des Ortsgasthofs der Exzess siegt, was fast tödlich endet … Allein wie wunderbar und mit feiner Feder der Gymnasiallehrer Tobias Roller in seinem Romandebüt den Ton Erich Kästners trifft, ist höchst lesenswert und eine wunderbare literarische Hommage, die hoffentlich bei vielen Leserinnen und Lesern den großen deutschen Schriftsteller wieder einmal ins Gedächtnis rufen wird, im Kästner-Jahr 2024. Zum Ende entführt Roller den Überlebenden im Traum auf ein Boot – unter der Ruderbank liegt als Gepäck ein Wanderrucksack: endlich ist er leer.
Rainer Germann

Elias Hirschl – Content (Zsolnay)

Die Gewissheiten zerbröseln. Die Gesellschaft spaltet sich. In der heruntergekommenen Großstadt mit ihren Industriebrachen öffnen sich buchstäblich Abgründe. Doch auf der Kreativetage des Schnellschreibtexte-Mastbetriebs herrscht noch immer gelassene, ans Alberne grenzende Betriebsamkeit. Während draußen die Welt untergeht, spult die namenlose Ich-Erzählerin, die einen nicht nur ihr selbst sinn- und seelenlos erscheinenden Job in der „Smile Smile“-Content-Farm ergattert hat, scheinbar unerschütterbar weiter ihr Tagesprogramm ab. Dies besteht vor allem in endlosen Listicle-Artikeln, die einmal publiziert die Internet-Gemeinde zu Clicks verführen soll. So erfährt man gerade noch Wissenswertes im Stil von „Die 15 schlechtesten Sexszenen Hollywoods“ oder „Die 19 lustigsten Todesfälle durch ungewöhnliche Haustiere“, aber auch „Die 18 besten Alibis bei Fahrerflucht“. Immer wieder gilt: „Nummer 7 wird Dich zum Weinen bringen!“ Im Hintergrund erstellen die Kollegen TikTok-Kurzfilme, in denen allerlei Alltagsgegenstände von Hydraulikpressen zerstört oder in der Mikrowelle verheizt werden. Es muss diese garstig schöne neue Welt sein, von der man in den sozialen Medien immer wieder liest. Elias Hirschl aus Wien trifft den Ton einer gleichzeitig überdrehten wie abgestumpften Generation meisterlich. Er konstruiert eine Dystopie in einer gar nicht so fremden turbokapitalisierten ChatGPT-Kunstwelt, die immer wieder von den Real-Grotesken der Gegenwart eingeholt wird. Spoiler: Eine Liebesgeschichte hat auch noch Platz. Und die Satire, der Ernst, der Wahnsinn funzt!
Rupert Sommer