Große Geste: Matt Berninger mit The National im Zenith

IN-MÜNCHEN-REVIEW: So wars … bei The National im Zenith

Sichere Bank: The National bieten bei ihrem Konzert im Zenith einen überwiegend mitreißenden Querschnitt durch ihre Karriere 

Kann es sein, dass das Soundgrab-Gespenst im Zenith verbannt wurde? Durch bessere Technik, versiertere Tontechniker? Nun, zumindest war der Raumklang in dieser Industriehalle zuletzt bei Arctic Monkeys fast schon richtig gut und auch heute Abend lässt der Sound erst mal wenig zu wünschen übrig. The National sind wieder einmal in der Stadt, 2014 haben sie hier gespielt, 2019 zuletzt. Die Halle gut gefüllt, das Publikum altersmäßig gut durchmischt. Kann sein, dass die Kooperationen mit Taylor Swift in Sachen Produktion und Duett ihre juvenilen Früchte getragen hat für diese Formation, die nicht nur für vermeintlich cool gebliebene Typen älteren Semesters (und ihre Partnerinnen) zur Kultband wurde, sondern auch so aussieht, als würde im Lehrerzimmer bereits zur Pause Rotwein getrunken werden, siehe auch Mads Mikkelsen in „Der Rausch“. Alles Nebensächlichkeiten, wenn die Dessner-Zwillinge die Gitarren teils im Doppelpack unisono kreischen lassen, als wären die Neunziger nie zu Ende gegangen, und Bryan und Scott Devenport an Drums und Bass ihre Version von nervöser Postpunk-Rhythmik spielen, die zusammen mit dem sonoren Bariton von Frontmann Matt Berninger für einen ziemlich einzigartigen Sound sorgt. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten und Mitte der 00er-Jahre legte das Quintett mit „Alligator“ und „Boxer“ zwei der beachtenswertesten amerikanischen Indierock-Alben des Jahrzehnts hin. Mit „High Violet“, dem bislang wohl erfolgreichsten Werk, wurden aus den Clubs große Hallen, auf die The National bis heute gebucht sind. Warum der Sprung in die Stadien dieser Welt bis heute nicht richtig geklappt hat, kann daran liegen, dass die Band einfach zu gut ist für die breite Masse. Kann aber auch andere Gründe haben. Dazu später mehr.

Los geht es diesmal im Zenith nach dem herzlich empfangenen Support Bartees Strange (ziemlich cooler Soul-Indierock, leider nur die letzte Nummer gehört, da das Konzert kurzfristig um 45 Minuten vorverlegt wurde) mit dem Einspieler „Je sais pas danser“ von der französischen Sängerin Pomme. Dazu Backstage-Impressionen in Super 8-Ästhetik auf dem großen Screen – hier geht’s um Kunst, kein Zweifel. Das Publikum begrüßt die durch zwei Gastmusiker an Percussion, Keyboards und Blasinstrumenten verstärkte Formation mit großem Applaus – und schon kann die Show mit „Once Upon A Poolside“ und dem Hit „Eucalyptus“ vom neuen Album „The First Two Pages Of Frankenstein“ beginnen. Spätestens bei den Zeilen „What about the Cowboy Junkies? What about the Afghan Whigs?“ werden die Boomer unter den Fans wach und stimmen lautstark mit ein: „You should take it, ‚cause I‘m not gonna take it/You should take it, I‘m only going to break it“. Beringer agiert anfangs beim Opener noch verhalten, doch dann gibt’s kein Halten mehr: Der Mann erinnert von seiner Gestik her immer mehr an Jarvis Cocker und Morrissey, die Arme dem Publikum mal fordernd, mal fragend entgegengestreckt, das Mikrokabel wie ein Lasso peitschend, der salopp getragene Anzug passt bestens und ist anscheinend nicht nur für Herrn Cave die angesagte Garderobe für den anspruchsvollen Popstar, zuletzt auch gesehen bei Father John Misty und Alex Turner. Ein treibender Groove startet „Tropic Morning News“ und mit „New Order T-Shirt“ schließt sich ein früher Höhepunkt nahtlos an, beide Songs ebenfalls vom neuen Werk. Es groovt sich ein: „Don’t Swallow The Cap“ vom unterschätzten Album „Trouble Will Find Me“, „Bloodbuzz Ohio“ von „High Violet“ – mit „The System Only Dreams In Total Darkness“ ist der Bogen dann fast schon überspannt, langsam wird’s ein bisschen hektisch, der Sound kurzfristig lauter/schlechter; das Konzept des ewig zappelig auf der Snaredrum rollierenden Schlagzeugs, die breit angelegten, molligen Harmonien sowie die von Beringer oft in ähnlicher Tonlage und Melodie vorgetragenen Gesangslinien wirken zunehmend etwas ermüdend.

Zum Glück wird für die wunderbare Ballade „I Need My Girl“ zurückgefahren, bevor es mit „This Is The Last Time“ zumindest dramaturgisch wieder etwas spannender weiter geht. Irgendwie wirkt die Band plötzlich etwas müde – eine Diskussion zwischen Bryce Dessner und Beringer, welche der „hundreds of versions“ von „Apartment Story“ vom Album „Boxer“ nun die beste ist, lässt leider den Schluss zu, dass die dargebrachte, „the demo“, eher ein bisschen lasch daherkommt. Auch das folgende „Lemonworld“ kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Set in seinem Mittelteil einfach ein bisschen gefällig wird – in einem Stadium könnte so was zum Stimmungskiller werden, um nochmal zum Thema zurückzukommen. Mit dem folgenden, von Publikum eifrig mitgesungenen, „Conversation 16“ nimmt die Band langsam wieder Fahrt auf: „It‘s a Hollywood summer/You‘d never believe the shitty thoughts I think“ – wer könnte da nicht begeistert mit einsteigen. Nach zwei weiteren, eher getragenen Songs vom neuen Werk („Alien“, „Grease In Your Hair“) dann praktisch ein Ausflug in die eigene eher wildere Vergangenheit mit „Deep End (Paul’s In Pieces)“ und „Smoke Detector“ vom kürzlich erschienen Überraschungsalbum „Laugh Track“ – ein frischer Gegenentwurf zu „Frankenstein“, parallel dazu aufgenommen. Danach noch das selten dargebrachte „Rylan“ und mit „England“, „Graceless“ und der unvermeidlichen, aber immer gern gehörten Obama-Wahlkampfhymne „Fake Empire“ geht es nach zwischendurch etwas langen 110 Minuten unter großem Applaus verdient in die Zugabe. „Light Years“ drosselt nochmal angenehm das Tempo, bevor mit „Mr. November“ und „Terrible Love“ musikalisch das große The National-Feuerwerk abgebrannt wurde – hier hätte auch das Olympiastadion gebebt. Das ebenfalls ganz neue „Space Invader“ erinnert mit seinem indietronischem Finale gar ein bisschen an The Notwist (oder Radiohead, ha!) und mit dem fast schon intimen „About Today“ von der EP „Cherry Tree“ von 2004, schließt sich diese fast zweieinhalbstündige Werkschau als sichere Bank für die Fans, die viele schöne, einige große und auch ein paar langatmige Momente erleben durften. Nachtrag: Die besten The National-Konzerte fanden übrigens nicht im Zenith, sondern 2008 und 2011 auf dem Rathausplatz in Dachau statt. Damals trank Matt Beringer zwar noch meist ein, zwei Fläschchen Wein nebenbei weg, aber zusammen mit seiner Band hat er einen einfach weggeblasen. Heute zieht der Sänger heimlich an der E-Zigarette – wahrscheinlich wegen dem „Smoke Detector“.