Matt Healy von The 1975

IN München-Review: So wars … bei The 1975

Wie im Rausch: The 1975 zelebrieren großen Pop in einer Wohnzimmerkulisse im Zenith

Ok, ganz neu ist die Idee nicht, die dänische Hardrockband DAD spielte bereits vor rund 30 Jahren bei ihrer Headlinershow auf dem Roskilde Festival in einer von Ikea inspirierten Kulissen als ironischen Kommentar zum skandinavischen Wohndesignwahn – das war ziemlich großartig und stellte Neil Youngs überdimensionale Verstärker locker in den Schatten. Nun befinden wir uns wieder im Wohnzimmer: Die Show beginnt in dem Set einer Boheme-Wohnung im Retro-Chic; die Band entert die Bühne, dreht die Lampenschirme an und dann taucht unter dem Kreischen aus überwiegend jüngeren weiblichen Kehlen das Objekt der Begierde namens Matthew Healy auf, Sänger der, na was eigentlich, Pop-, Soul-, Indieband The 1975?

Matt Healy
Matt Healy (c) Rainer Germann

Egal, kreisch!, und Healy nimmt zum dramatischen Intro „The 1975“ (sic!) am Klavier Platz, raucht und schenkt sich erst mal einen Drink ein. Die Anfangsakkorde perlen den entzückten Handyhalter*innen entgegen wie Champagner-Bubbles, obwohl sich der Sänger, der durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem irischen Schauspieler Colin Farrell aufweist, eher an Hochprozentiges hält oder das zumindest vorgibt, mit dem Flachmann in der Hand. Healys tipsy shows sind Legende, von rohem Fleisch, das auf der Bühne verspeist wird (New York) bis zu Küsschen mit dem Bassisten und Sympathie für die LGBTQ+ –Gemeinde (Malaysia) – der Mann, der vom Aussehen her, wie auch Drummer George Daniel, einem Irvine Welch- oder John Niven-Roman entsprungen sein könnte, weiß, wie Skandal geht. Da München weder Probleme mit Alkohol noch rohem Fleisch und queeren Menschen hat, verzichtet Matt auf Provokation, wie zuletzt bereits auch in Berlin, logo. Heute geht es um die Show und die Musik und eins vorweg: Beides war ziemlich, nein, eigentlich verdammt gut.

Matt Healy
Matt Healy (c) Rainer Germann

Das aktuelle Album „Being Funny in a Foreign Language“ wurde im ersten Teil des Konzerts in Gänze auf einer Bühne dargebracht, die irgendwo zwischen Al Bundys „Married … with Children“ und der Dean Martin Show angesiedelt ist – nur aktuelle TV-Cut-Ups auf mehreren Röhrenfernsehern erinnern daran, dass wir uns im Jahr 2024 befinden. Die Band um Healy, Daniels, Bassist Ross Macdonald und Gitarrist Adam Hahn spielt auf den Punkt: komplizierte Rhythmusstrukturen, die schon mal an Prince, Nile Rodgers oder Lionel Richie erinnern, treffen auf Weißbrot-Pop Marke Prefab Sprout, Aztec Camera, Spandau Ballet, Harry Styles oder Vampire Weekend. Das Ganze hört sich in Songs wie „Looking For Somebody (To Love)“, „Happiness“ oder „Caroline“ wie ein durchgesoffener und –gekokster Nachmittag in einem Beach Club auf Mykonos an, bevor es der Band gelingt, vom Kreischen begleitet, in die (britische) Tristesse zurückzukehren, die sie mit Songs wie „Robbers“ auch in stylischen Schwarzweiß-Videos durch funky Rhythmen und Binge Drinking zu beleuchten wusste. Mit „I Always Wanna Die (Sometimes)“ wird dann die Coldplay-Karte gespielt; zum Glück hat sich das Healy-Team damals, 2018, nicht darauf beschränkt.

Nein, Zeichnen der Zeit erkannt, und mit „fallingforyou“ und dem formidabel dargebrachten „About You“ kommt auch Dream Pop, die zurzeit schwer angesagte Musikrichtung für einsame Teenager und ihre junggebliebenen Eltern zum Zuge. Kreisch! Mit dem solo und eindrucksvoll dargebrachten „When We Are Together“ an der Westerngitarre – während ein halbes Dutzend in weiße Monteur-Kittel gekleidete Arbeiter*innen die Bühne umgestalten, die Inneneinrichtung abbauen und Fernseher stapeln – gibt Matt Healy dann nach der saufenden Rampensau auch noch den sensiblen Surfer Crooner – geht’s noch? Ja, es kommt noch besser: Nach „Be My Mistake“ vom Album „A Brief Inquiry Into Online Relationships“ verschwindet der Sänger unter der Soundkollage „Consumption“ (das war das mit dem rohen Fleisch in New York) wirklich in einem Fernseher. Take this, Chris Martin.

Die zweite Hälfte des Konzerts wird von der bezaubernden Backgroundsängerin und Gitarristin Polly im Alleingang eingeleitet: „Jesus Christ 2005 God Bless America“ ist wunderbarer Cou ntry-Folk, der einmal mehr die enorme Bandbreite der Band aus Manchester zeigt. Und nun geht es Hit auf Hit: „If You’re Too Shy (Let Me Know)“, ein rasantes „TOOTIMETOOTIMETOOTIME“, das wie Paul Simon auf Benzedrin klingt, nochmal bisschen dirty Funk à la Prince mit „Love Me“ bevor es mit „Love It If We Made It“, „Sex“ und „Give Yourselve A Try“ wieder schwer in die Eighties mit Synthie- und Gitarrenpop geht. Licht an. Aus. Skeeter Davis singt „The End Of The World“ als Rausschmeißer vom Band. Dope.