Der Meister in stoischer Intensität: John Cale & Band in der Muffathalle

IN-München-Review: So wars bei… John Cale

Art-Rock-Heros John Cale spielte mit Band am 05.03. in der ausverkauften Muffathalle ein unvorhersehbares Set und wurde zurecht euphorisch umjubelt.

Die bestuhlte Muffathalle ist ausverkauft. Die Bühne ist menschenleer. Plötzlich: Weißes Rauschen auf der Leinwand am hinteren Ende der Bühne, noisy Sphären aus den Lautsprechern, langsam färbt sich das Grau bunt ein: visuell und auch sonisch. Dass Musik intentional gestaltetes Hörbares ist, ist eine der Erkenntnisse, die John Cale uns bereits seit fast 60 Jahren -egal ob solo oder mit The Velvet Underground- immer wieder neu ausgeformt serviert. So auch mit dem Intro zu seinem Konzert am 05.03. in der Muffathalle.
Doch weil der Herr Cale auch weiß, dass es Spaß macht, wenn das Hörbare groovt, geht es direkt nach der abstrakten Klangkomposition und dem Erscheinen des Maestros und seiner Musiker zu „Jumbo in tha Modernworld“, einem funky pluckernden Non-Album-Track von 2006. Als solcher ein überraschender, aber programmatischer Opening-Track des Abends.

Zur Performance: John Cale steht am vorderen Bühnenrand am Klavier, blickt beim Spielen meist stoisch in eine Heftmappe, strahlt aber eine Intensität aus, die ihn zum Zentrum der Aufmerksamkeit werden lässt. Kein Rumgehampel, keine Hockeymaske im Gesicht wie Ende der 1970er Jahre – stille Hingabe zur Darbietung. Jedes grübelnde Kinnkratzen (über-)interpretiert man als Fanboy (mit Plätzen in der ersten Reihe, hehe) so als würde der Meister gerade am nächsten musikalischen Kniff feilen.
Seine Mitmusiker (Drummer mit Analogsynthesizer, Gitarrist mit technischen Spielereien, Bassist mit Hüftschwung) bekommen genügend Raum in den Arrangements, auch Finessen in eigenem Stil einzubauen. Kein Song wirkt auswendig gelernt und wiedergekäut – Diese Band atmet und zeigt am letzten Abend der Tour große Spielfreude.

Wie bereits erwähnt, ist die Setlist kein Greatest-Hits-Programm, aber auch keine reine Präsentation des neuen Albums „Mercy“. Vielfach gelobt, haben sich dem Schreiber dieser Zeilen manche Songs der LP noch nicht erschlossen. Nach einer Phase der Selbstgeißelung, wie sie wohl normal ist, wenn eine*r der eigenen Musik-Held*innen etwas veröffentlicht, was sich nicht direkt ans eigene Herz tönt, war es mir jedoch klar: Das dunkle Wabern vieler Stücke will durch Lebenserfahrung erstmal urbar gemacht werden. Kurz: Genau, ich bin schlichtweg viel zu jung. Das muss es sein. John wusste um diese Ausgangslage und hat die vier Lieder, die von dem Album kamen („Mercy“, „Moonstruck (Nico’s Song)“, „Night Crawling“, „Out Your Window“) an diesem Abend durch den Einsatz von Drums etwas schneller und tanzbarer gemacht. Live kommt sowas immer gut, wenn ich auch gerade das dunkle Tänzeln auf der gefrorenen Grenze zwischen Choral und drony Flächen in „Moonstruck“ vom Album sehr mag.
Mist, wohl doch nicht mehr so jung.

Eines der diversen Highlights des Abends war ein Re-Arrangement des Songs „Wasteland“ vom 2005er Album Black Acetate. Dort eher eine Midtempo-Ballade spielten Cale und Band den Song in der Muffathalle als dunklen Monolithen zwischen Post-Rock und Quasi-Doom-Metal. Über brachialem Synthesizer, kreischendem Bass (kein Oxymoron an dieser Stelle) und verhängnisvollen Beats konterkariert Cale die warmen Lyrics „You comfort me“ als Untergangsprophet mit tiefem Timbre. Gänsehaut!

Weitere Highlights: Die Fanfavoriten „Rosegarden Funeral of Sores“, „Style it takes“. „The Ballad of Cable Hogue“, „Hanky Panky Nohow“. Zu all diesen Songs und ihren aktualisierten Versionen wäre viel zu schreiben und doch wären die Worte nur der Abglanz eines Versuches einer Annäherung an einen Bruchteil der erzielten Wirkung, daher mach ich es kurz: Alle waren sie, wie das gesamte Konzert: großartig!

Gerade als man denkt, dass der Disco-Stomper „Villa Albani“ vom eher belächelten Album „Caribbean Sunset“ vielleicht etwas ziellos mäandert, ist er und damit das Hauptkonzert vorbei. Direkt schämt man sich etwas für den kritischen Gedanken, man klatscht, jauchzt ein wenig, freut sich, dass Cale und Band wirklich wieder kommen, bevor man schließlich umgehauen wird…
Als Zugabe wird „I‘m waiting for the man“ vom Velvet-Underground-Debüt gespielt. Eine wunderbare Version, die es schafft gleichzeitig Cales Platz in der Musikgeschichte zu illustrieren, irgendwie auch bittersüßer Tribut an Lou Reed zu sein und zudem enorm zu fetzen. Nach knapp 1 Stunde und 45 Minuten ist das Konzert vorbei. „See you next time around“ spricht der 80-Jährige zum Publikum. Ich werde kommen.