Mit der Reproduktion eines berühmten Bob-Dylan-Konzerts von 1966 begeisterte Chan Marshall aka Cat Power das Münchner Publikum – riss es aber erst zum Schlussapplaus von den Stühlen.
Es war eine Zäsur und nicht weniger als die Erfindung des Folkrocks: Als Bob Dylan in der zweiten Hälfte seines Konzerts im Mai 1966 in Manchester zur E-Gitarre griff und in verstärkter Bandbesetzung sein Publikum zu „Judas!“-Rufen hinriss, wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der Populärmusik aufgeschlagen. Die Musikerin Chan Marshall, die auf eine illustre Karriere als Indie-Chanteuse mit Schwerpunkt auf Covers und auf das Überalbum „The Greatest“ zurückblicken kann, hat dieses berühmte Dylan-Konzert 2022 in der Londoner Royal Albert Hall Song für Song nachgespielt und vor zwei Jahren veröffentlicht. Seitdem tourt sie mit dem Werk und gastierte nun auch in der praktisch ausverkauften Isarphilharmonie. Dem Anlass angemessen versammelte sich ein bunt gemischtes Kulturpublikum, das mit dem Werk beider Künstler vertraut war und bestimmt auch das jüngst im Kino gezeigte Dylan-Biopic Like A Complete Unknown gesehen hat, bei dem das Manchester-Konzert – in die USA verlegt – keine unwesentliche Rolle spielt.
Der Autor staunte nicht schlecht, als nun – 25 Jahre nachdem er Cat Power das erste Mal auf dem Roskilde-Festival noch heroin-chic erlebt hatte – eine vollschlanke, blond gefärbte, im grünen Hosenanzug steckende Dame die Bühne betrat, die aus der Ferne betrachtet modemäßig gar an Claudia Roth erinnerte. Flankiert von Gitarrist Arsun Sorrenti und Aaron Embry an der Harmonica ging es nach großem Begrüßungsapplaus getreu der Vorlage los mit dem anrührenden „She Belongs To Me“, bevor „Fourth Time Around“ den Weg freimachte für den neunminütigen Monolog „Visions of Johanna“, der den einen oder anderen Zuhörer (m/w/d) schon mal schnell in einen meditativen Traumzustand versetzte. Cat Power kontrastierte Dylans nasale Stimmfärbung mit warmer, fast souliger Phrasierung – die nicht enden wollenden Lyrics, die man am besten zwischen Buchdeckeln oder auf einem Innencover mitverfolgt, nahmen durch die Mimik und Körpersprache der Sängerin Gestalt an – zumindest für den Teil des Publikums, der nicht andächtig oder eingeschlafen die Augen geschlossen hatte.
Das zu Tode genudelte „It’s All Over Now, Baby Blue“ erschien danach fast schon erfrischend poppig, bevor mit dem zwölfminütigen „Desolation Row“ ein Blick aus dem Elendsquartier auf sagenhafte Figuren von Aschenputtel und Casanova bis Einstein, Bette Davis, Ezra Pound und T. S. Eliot geworfen wurde. Eine konzentrierte Meisterleistung der Sängerin, hier nicht den Faden zu verlieren – denn Dylans Langgedicht gehört bis heute zu den komplexesten Stoffen der Musikgeschichte. Danach ein Lieblingsstück des Autors dieser Zeilen, seit er Vaters Plattenschrank und das weibliche Geschlecht entdeckt hat: „Just Like A Woman“ bekam durch Marshalls Interpretation wieder mehr Soul, das den Akustikteil abschließende „Mr. Tambourine Man“ wirkte dagegen eher ein bisschen farblos – vor allem, wenn man eh die Byrds-Version schon immer lieber mochte.
Übergangslos wurde dann – verstärkt durch Bassist Erik Paparozzi, Jordan Summers (Organ) und Drummer Josh Adams – losgerockt mit „Tell Me, Mama“, danach das verträumt groovende „I Don’t Believe You (She Acts Like We Never Met)“. Der vorher brillante Sound wummerte anfangs im Rockgewand – das bekam die Technik aber schnell in den Griff.
„Baby Let Me Follow You Down“ ist die einzige Coverversion in Dylans und natürlich auch Cat Powers Set – der coole Bluesrocker stammt aus der Feder von Reverend Gary Davis. „Just Like Tom Thumb’s Blues“ wurde leider aufgrund von Harndrang verpasst, aber pünktlich zurück zur rasant-rockigen Version von „Leopard-Skin Pill-Box Hat“, das immer schon ein bisschen an die Stones erinnerte. Mit einer wirklich wunderbaren Version des großartigen „One Too Many Mornings“ und dem stimmigen Late-Night-Blues „Ballad Of A Thin Man“, bei dem Marshall nochmal stimmlich glänzen konnte, steuerte das Konzert seiner unweigerlichen Klimax „Like A Rolling Stone“ zu – die leider nicht wie erwartet die Leute aus den Sitzen riss. Lag’s am Publikum, das doch die meiste Zeit frenetischen Applaus spendete und am Schluss auch höflich aufstand? Oder kann man den Jahrhundert-Song einfach nicht mehr hören?
Jedenfalls ging damit ein zum Teil zwar sehr schöner, aber auch aufgrund des Themas manchmal etwas arg einstudierter Abend zu Ende. Cat Power könnte wohl bis ans Ende ihrer Karriere mit Covers-Abenden (Cohen, Waits, Newman?) die Welt bereisen – noch schöner wäre aber mal wieder ein neues Werk mit eigenen Songs.