Stammgäste in den eigenen Kinos: Daniela Bergauer und Michael Hehl

„Kino ist ein Fest der Generationen“ – Die ABC- und Leopold-Macher*innen im Interview

Schwabing leuchtet wieder: Daniela Bergauer und Michael Hehl stecken im ABC und Leopold mit ihrer Begeisterung an.

Frau Bergauer, Herr Hehl, was für ein Gefühl ist es, wenn man als Filmfan ein eigenes Kino betreibt – und dann auch noch mitten in Schwabing?
Hehl: Allein schon das ABC ist ein ganz besonderer Ort. Wie viele bekannte Leute die Kinos schon besucht haben! Es fanden ja damals die Dreharbeiten mit Isabelle Huppert zum Film „Malina“ statt, den unser Vorgänger Thomas Kuchenreuther dort möglich gemacht hatte.
Bergauer: Ich bin in München geboren, habe hier studiert und in meiner Studienzeit nicht weit vom Leopold weg gewohnt. Das Leopold und leider auch das mittlerweile geschlossene Münchner Freiheit waren meine beiden Stammkinos. Dort hatte ich meine ersten Kinoerlebnisse – und zum Beispiel auch meinen ersten 3D-Film angeschaut.

Und jetzt?
Bergauer: Es ist schon nicht schlecht, wenn man da selber drinsitzt und sich die Filme in seinem eigenen Kino anschauen kann.

Wie kam denn der Kontakt mit Thomas Kuchenreuther zustande?
Hehl: Wir haben lange verhandelt – und dann ging vieles ganz schnell. Er hat eine Ära des Kinos vor der Digitalisierung noch mitgeprägt – zu Zeiten, als wir noch in Abrahams Schnappsack waren.

Sie stehen ja auch für eine Art Generationswechsel in der Münchner Kinobranche.
Hehl: (lacht) Wir gehören in der Branche zu denen, die noch alle Haare auf den Kopf haben – und das sogar in der natürlichen Haarfarbe.
Bergauer: Allerdings: Thomas Kuchenreuther ist in seinem Denken immer sehr jung geblieben und sehr interessiert an vielen neuen Dingen.
Hehl: Stimmt. Das hat zwischen uns bestens gepasst. Wir haben nun das Glück, dass wir nach langen Verhandlungen für mindestens 20 Jahre für die beiden Kino-Immobilien Leopold und ABC planen können.

Keine Selbstverständlichkeit auf dem überhitzten Münchner Markt – allein schon bei den teuren Mietpreisen.
Hehl: Wir haben lange Mietverträge bekommen. Dafür sind wir den Vermietern sehr dankbar. Sie haben verstanden, dass es eben Kinos sind – und keine Casinos oder Restaurants mit einer Besucherauslastung von 80 Prozent rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche. Man muss Kinos erstmal an den Start gehen lassen, damit sie eine Chance haben, auch neue Zielgruppen zu entwickeln und ein breites Konzept gut umzusetzen.

Was macht denn für Sie die Magie des Kinos aus?
Bergauer: Kino ist doch eigentlich der einzige Ort in der Kultur, wo sich alle Schichten, alle Altersgruppen treffen können, wenn sie es denn wollen. Prinzipiell ist Kino ja ein sehr barrierefreier Ort. Im Programm ist für jeden was dabei. Es ist nicht elitär, es ist aber auch nicht nur doof.

Woher kommt Ihr guter Riecher?
Bergauer: Aktuell stehe ich viel selbst an der Kasse, das ist für mich Marktforschung in eigener Sache. Im Leopold Kino ist wirklich alles dabei – von der 80-jährigen Rentnerin bis zum Frühpubertären. Und ich genieße es, so gut wie mit jedem ins Gespräch zu kommen. Die Leute sind aufgeschlossen und finden es auch toll, dass es solche Orte noch gibt – selbst die Jungen.

Woher nehmen Sie die Ideen?
Hehl: Wir fahren jedes Jahr nach Cannes, sind natürlich auf dem Filmfest München oder besuchen die Leipziger Filmkunstmesse. Schon dort fange ich an, unser Programm entsprechend zu kuratieren – auch mit einem genauen Blick auf die vielen anderen Festivals, die man ja sehr gut auch über das Internet verfolgen kann. Es ist meine Leidenschaft und die Freude zu wissen, dass wir ganz unterschiedliche Menschen an einen Ort binden können. Jeder nimmt aus unseren Kinos das mit, was er möchte.

Wie tarieren Sie den Programm-Mix?
Hehl: Auch im Leopold kann man tolle Klassiker-Reihen zeigen – etwa moderne Klassiker oder wieder mehr Originalsprachliches mit deutschen Untertiteln –, aber eben auch ein Kinder-Programm. Wir haben jetzt eine neue Reihe „Mein erster Kino-Besuch“. Die Besonderheit dabei: Wir dimmen dann das Licht im Saal ein bisschen und reduzieren die Lautstärke leicht.

Und im ABC?
Hehl: Das ABC ist ein bestens etabliertes Haus, es hat ein starkes Profil. Da braucht man gar nicht großartig was ändern. Im Leopold ist es aus verschiedenen Gründen schon wichtig, dass man da auch neue Zielgruppen erschließt, die in den letzten Jahren ein wenig vernachlässigt wurden. Und es geht darum, diejenigen wieder zurückzugewinnen, die nach Corona nicht mehr zurückgekommen sind.

Spürt man das denn immer noch?
Bergauer: Corona hat im Leopold schon eine Kerbe geschlagen. Allerdings gab es trotz allem natürlich auch Vorteile: Die Säle sind top renoviert, da steckt eine sehr gute Projektions- und Ton-Technik drin und wir haben Sitze. Während des Lockdowns haben die Kuchenreuthers mithilfe der damaligen Förderprogramme alles Wesentliche auf den neuesten Stand gebracht. Die Veränderungen, die wir planen, werden nicht radikal einschneidend ausfallen. Wir wollen aber die Farb-Palette erweitern.

Schnell wurde in Ihren Häusern sichtbar: Sie ändern ja auch einige ganz praktische Dinge.
Hehl: Natürlich kann man jetzt bei uns endlich auch mit EC-Karte bezahlen. Und wir gehen von Plastik weg. Bei den Getränken wenden wir uns stärker lokalen, nachhaltigen Erzeugern zu. Und wir haben einen Facebook- und Instagram-Account eingerichtet.

Pflichtprogramm für die Generation Netflix?
Bergauer: Die Diskussion über Filme bringt die Menschen auch in Zeiten von Streaming doch wieder zurück in den Kinosaal. Es ist eben der Ort, wo man sich trifft. Kino ist der Ort des Austauschs und der Begegnung. Das Leopold und das ABC sind doch Orte für ein Fest der Generationen.
Hehl: Ich will unbedingt für alle ein Filmquiz etablieren, das man dann auch gut über Social Media einbinden kann – aber natürlich auch mit entsprechenden Reihen.

Klingt spannend. Und ihr Enthusiasmus steckt an und tut Schwabing gut. Trotzdem: Wie groß war eigentlich Ihre Sorge, dass Sie sich mit dem Einstieg in den Münchner Kinomarkt viele schlaflose Nächte einhandeln?
Hehl: Halb so wild. Es gibt halt Leute, die im Wesentlichen nur ihre Jobs machen. Sie arbeiten von neun bis fünf, um ihre Miete zu bezahlen, ab und zu mal was essen gehen und zweimal im Jahr Malle machen.

Nicht Ihr Fall, wie man annehmen darf?
Hehl: Viele Menschen haben einfach Angst davor, etwas zu wagen. Als Kinobetreiber weiß ich, dass das, was im Leben gilt, auch im Kino gilt. Nur eines ist sicher: Dass nichts sicher ist.

Reicht das schon für gute Nachtruhe?
Hehl: Wir sind natürlich nicht komplett blauäugig. Aber das Kino-Machen lehrt mich schon, eine gewisse innere Ruhe zu entwickeln. Im Kino lernt man sehr schnell, dass man sich – in Anführungszeichen – von der einen Katastrophe in die andere Katastrophe rettet. Das ist dann eben ein Normalzustand. Allerdings: Es gibt für uns auch Strukturen, die Sicherheiten geben. Kinobetreiber ist ein bodenständiger Beruf.

Wie meinen Sie das?
Hehl: Wenn man eine Spielfilmabrechnung macht oder das Programm disponiert, ist das eigentlich ganz normale Büroarbeit.
Bergauer: Meine Freunde finden das alles super. Und auch meine Familie ist stolz auf uns. Es gibt da niemanden, der skeptisch ist. Warum sollten wir uns zu viele Sorgen machen?