Platten aus nah und fern für den Oktober

Neue Scheiben von und mit Ed Sheeran, The Divine Comedy, Baxter Dury, David Byrne, The Hidden Cameras, Gruff Rhys, The Moonband und Van Adam

PLATTE DES MONATS:

The Divine Comedy – Rainy Sunday Afternoon

Mit Freunden sind wir vor über 20 Jahren mal den irischen Shannon in einem Hausboot rauf- und wieder runtergegondelt. Von Süden aus kommend, drehten wir im nordirischen Enniskillen um, aber erst nach einem Besuch im Blake’s Pub. Im Belfast Telegraph wurde Blakes Of The Hollow, so der vollständige Name, 2011 zum Pub des Jahres gewählt. Mir aber ist dieser deswegen noch so gut in Erinnerung, weil ich damals am Tresen saß und relativ erwartbar ein Guinness trank, während ich auf ein Bild von Neil Hannon schaute. Was nicht weniger ungewöhnlich war, denn, so versicherte mir der Barkeeper, dass das Blake’s Hannons Stammkneipe war, als Heranwachsender und junger Mann, denn schräg gegenüber sei er wohl aufgewachsen. Jener Musiker, Sänger und Komponist also, der mir über die letzten 35 Jahre – seitdem er begann mit The Divine Comedy Musik zu veröffentlichen – wirklich sehr ans Herz gewachsen ist. Einige überragende Konzerte habe ich von ihm und seiner Band in München gesehen, egal ob im Substanz oder im Atomic Café. Schließlich fuhren wir 2016 nach Brescia zum Konzert im Rahmen der `Foreverland´-Tour im Teatro Grande, da es damals eine der am nächsten an München gelegenen Locations war, in der  man The Divine Comedy live sehen konnte. Um es abzukürzen: Es war bis heute eines der schönsten Konzerte meines Lebens. Jetzt also mit „Rainy Sunday Afternoon“, sechs Jahre nach dem – meines Erachtens leider eher etwas schwächeren „Office Politics“-Album, wieder ein absoluter Knüller. Zumal dann wenn man auf einen gut gealterten Adult-Chamber-Pop-Chanson-Mix steht, der relativ traditionell und unspektakulär daherkommt, sich aber wie gewohnt, einer flauschigen Decke gleich, wohlig warm über die geschundene Seele legt. Ok, genau wie diese Umschreibung is das Cover schon sehr viel plakatives Klischee: der unrasierte Künstler im Café, den Cappuccino in der Hand, ein Zippo-Feuerzeug vor ihm, einzig die Zigarette fehlt, die musste er wohl gerade draußen vor der Tür ausgemacht haben, falls… Andererseits passt die Musik eins zu eins zum Cover und andersherum, folglich also alles richtig gemacht: „My musical output is, for better or worse, a representation of my personality“ erzählt Hannon auch gerne, kein Wunder also, dass sich seine Songs um die ganz großen ebenso wie die ganz kleinen Themen drehen: Mensch sein, Sterblichkeit, Verletzlichkeit, gute und schlechte Erinnerungen, Beziehungen, politische und soziale Unruhen. All das immer charmant und humorvoll erzählt, versteht sich ja von selbst. „I have, though, like everyone, a darker, more melancholy side. And for one reason or another it has been much in evidence of late. I needed to use this album as an outlet for those feelings. Everyone should get to make an orchestral pop album once in awhile.“ Schon die drei üppig ausgestatteten, dennoch aber niemals überladenen Vorabsingles „Invisible Thread“, „The Last Time I Saw The Old Man“ und „Achilles“ strahlen eine gelassene Souveränität aus und sind wie das gesamte Album ganz, ganz große Popkunst. In Slow-Bossa-Manier kommt das mediterrane „Mar-A-Lago By The Sea“ daher, faszinierend auch der mal nahezu operettenhafte, mal an die Schlager der 30er-Jahre erinnernde Vaudeville-Pop von „Down The Rabbit Hole“. Egal was Hannon von sich gibt, es ist immer garantiert frei von Schmalz und Larmoyanz, dafür aber mit unbeschreiblicher Grandezza vorgetragen. Wer Father John Misty und die Tindersticks schätzt, ist hier bestens beraten, muss aber zum Konzert leider wieder mehrere Stunden Anreise in Kauf nehmen, denn näher als Mailand (25.2.) und Zürich (26.2.) kommen The Divine Comedy München auch diesmal nicht.

KURZ & GUT:

Baxter Dury – Albarone

Oh, wow, ja, knallt. Unter der Ägide von Paul Epworth, ehedem auch schon als Produzent und Komponist von und mit Adele, Frank Ocean oder auch Florence & The Machine tätig, entstand ein ebenso freches wie elektronisch durchgestyltes Tanzmonstrum, welches – wenn’s rockt – auch mal an Prodigy oder The Chemical Brothers erinnert, wenn’s eher discohaft und poppig stampft aber auch mal bei Daft Punk und Air vorbeischaut. Witzig dagegen „Kubla Khan“, das könnte man aufgrund von Durys – wie ausgespuckt wirkendem – Sprechgesang fast als Reminiszenz an den kürzlich verstorbenen Disco-Punk-König Jock McDonald und seine Bollock Brothers verstehen. Überraschend.

David Byrne – Who Is The Sky?

Und auch der Ex-Talking Heads-Chefdenker holte sich einen prominenten Namen auf den Produzentensessel: Kid Harpoon räumte mit seiner Arbeit für Harry Styles diverse Grammys und BRIT Awards ab, und befehligt hier nicht nur den ikonischen, dennoch aber immer grundsympathischen Sängerkauz Byrne durch die 12 Songs, sondern obendrein auch noch das  15-köpfigen Ghost Train Orchestra. Dementsprechend changiert „Who Is The Sky?“ irgendwie und -wo zwischen gediegener Kammermusik, aufbrausendem Balkan Brass und ausführlichen Streicher-Exzessen, bleibt dabei aber immer auch im zeitgemäßen, wenn nicht sogar modernen Pop-Spektrum. Raffiniert.

The Hidden Cameras – Bronto

Auch nix für eingeschlafene Füße ist das neue Album von Joel Gibb alias The Hidden Cameras. Auch hier zischelt und zappelt, groovt und tänzelt es hörenswert vor sich hin. Mit seinerselbstdefinierten„Gay Folk Church Music“ schaffte es Gibb auf durchaus elegante Weise schwule Themen auf die Bühnen – und in Kirchenräume – zu bringen, und das wohlgemerkt lange bevor diese im Pop-Mainstream angekommen waren. Gibb holte sich mit Nicolas Sierig einen – bestenfalls in Insiderkreisen namhaften – Produzenten dazu, was dem Hörgenuss aber keinen Abbruch tut. Ganz im Gegenteil, denn wenn man ehrlich ist, einen Unterschied kann man gar nicht groß ausmachen. Wurde aber auch Zeit, das Sierig jetzt international die Aufmerksamkeit zuteil wird, die er schon seit vielen Jahren verdient hätte. Große Freude!

Gruff Rhys – Dim Probs

Ok, ok, schon klar… aber, wenn wir schon mal dabei sind: Ali Chant hat bereits mit Yard Act und PJ Harvey gearbeitet, was ihn nun scheinbar als Produzenten für die neue Scheibe von Gruff Rhys prädestinierte. Der ehemalige Vorsteher der Super Furry Animals, die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt gerne, backt mittlerweile etwas kleinere Brötchen, die aber nicht minder schmackhaft sind. Seine Stimme wirkt zwar etwas brüchig und verbraucht, die Songs aber sind bärenstarker, geistreicher und durchweg anspruchsvoller Singer/Songwriter-Folk-Pop mit kleineren Bossa- und Electro-Sperenzchen, den man sich getrost gerne zum Starter in der blue hour gönnen darf. Entspannt.

Ed Sheeran – Play

Der ebenso freundliche wie größtenteils immer noch sympathische Pop-Riese war als Kind Eminem-Fan. Zu Hören bekommt man nun seine Rap-Fertigkeit gleich zu Beginn beim Song  „Opening“. Das indisch inspirierte „Shappire“ schließt sich nahtlos an, während „Azizam“ orientalisch anmutet. Es folgt was folgen muss und zwar massentauglicher Mainstream-Pop inklusive Stimmverfremdungen wie bei Daft Punk oder Bon Iver („Heaven“), klassischer UK-Folk („Old Phone“) oder halt die übliche Stadion-Power-Ballade („Camera“). All das ist dann mal besser, mal etwas weniger gut, erfüllt aber seinen Zweck, zumindest bei all jenen, die es mit Sheeran halten.

The Moonband – Relations

Nicht ganz und gar, dennoch aber deutlich hörbar, haben Bandleader Eugen Kern-Emden und seine Formation dem Folk abgeschworen und klingen neuerdings wie Edel-Pop-Marken á la Walk Off The Earth und der gleichen. Mit ihrem mittlerweile auch schon sechsten Album hat die Moonband nun also an Pop- und Tanz-Elementen zugelegt. Dezente Synthesizer treffen dabei auf elegante Grooves, während akustische Instrumente ins zweite Glied rücken. Dennoch bleiben Mandoline und mehrstimmige Gesänge den treuen Fans freilich als Markenzeichen und Anker erhalten. Zwischen Nightlife und Privatsphäre erzählen die melancholisch-melodischen Songs von Konflikten und Ehrlichkeit. Alles in allem ein reifes Album, das lieber zum Tanzen auffordert als in sinnloses Grübeln zu verfallen. Wunderschön!

Van Adam – Das Leben

Hinter dem Pseudonym Van Adam stecken Gitarrist und Sänger Adrian Marwitz und der Pianist Murat Parlak, der u.a. schon mit so unterschiedlichen Leuten wie Branford Marsalis, Anne Clark, Dominique Horwitz oder auch Yehudi Menuhin auf der Bühne Stand. Zwei gestandene Münchner Musiker also, die nun mit diesem neu ins Leben gerufenen Projekt und ihrem ebenso schwungvollen wie ambitionierten Mix aus Rock, Chanson, Klassik und Pop neu durchstarten wollen. Insgesamt sind auf „Das Leben“ sieben Songs und drei Intermezzi enthalten, die thematisch die Höhen und Tiefen des modernen Lebens in einer atmosphärischen Musikreise verknüpfen. Manchmal etwas (zu) pathetisch, kein Wunder bei dem Thema, dennoch aber auch berührend, zuweilen…