Platten aus nah und fern für den Juli

Neue Scheiben von und mit Wet Leg, Sufjan Stevens (Re-Release), Garbage, Ezra Furman, Feine Sahne Fischfilet, Kadavar, UMME BLOCK, Gobilove und WEB WEB

Platte des Monats: Wet Leg – moisturizer

Man muss es so deutlich schreiben: Das ging flott mit Wet Leg. Songs wie „Wet Dream“ und „Chaise Longue“ eroberten in Windeseile erst die Indienerds und dann – als Support für Harry Styles – die Stadien (und somit den kommerziellen Mainstream) der Welt. Gut so, wenn eine Band wie sie mal ordentlich Staub aufwirbelt. Die Gefahr dabei: One-Hit-, okay, Two-Hit-Wonder. Aber weit gefehlt, das Debütalbum ist gar wunderbar geworden und auch der ab Mitte Juli vorliegende Nachfolger „moisturizer“ weiß auf Anhieb zu begeistern. Die fünfköpfige Combo von der Isle of Wight, gegründet von den beiden Frontfrauen Rhian Teasdale und Hester Chambers, ergänzt von Ellis Durand am Bass, Schlagzeuger Henry Holmes und Joshua Mobaraki an Gitarre und Synthesizer, haut da ein wohlklingend-wuchtiges Pop-Punk-Ding nach dem anderen raus: „CPR“, „liquidize“ und „catch this fists“ legen gleichermaßen pulsierende wie hymnisch vor. Es folgt das fast liebliche, wunderhübsche Midtempo-Popkleinod „davina maccall“. Riff-rockig dann bei „jennifer’s body“ und das filigrane, durchaus gefühlvoll pulsierende und straight nach vorne gespielte „mangetout“. Der „pond song“ kommt zum Luft holen genau richtig, ist er doch einer, der die Spannung zwar hält aber nicht wirklich aufbaut. Ganz anders „pokemon“, das – bei aller Punkattitüde – wieder vom großen Popverständnis der beiden Hauptprotagonistinnen zeugt. Punkige Fuzz-Bass-Sprechgesang-Attacke dann bei „pillow talk“, während „don’t speak“ lasziv-gehaucht daher kommt. Zu guter Letzt dann noch die schlafmützige Bedroom-Pop-Ballade „11.21“ und das freudig ausgelassene, ja geradezu euphorisch feiernde – oft werden Wet Leg zuletzt nicht zu Hause gewesen sein – „u and me at home“. Also wie geschrieben: Saugute Platte! (7.11. Theaterfabrik)

Sufjan Stevens – Carrie & Lowell (10th Anniversary Edition)

Fragt man z.B. Nils Karsten, seines Zeichens Schauspieler am Münchner Volkstheater (und ganz nebenbei herausragend als Franz Wilzek in „Lichtspiele“), was ihn traurig macht, antwortet er auf seiner Actors-Website: „Carrie and Lovell, Track 1-11“. Jetzt könnte er noch 1-7 auf Disc/Vinyl Nr. 2 hinzufügen, hier versammelt Sufjan Stevens nämlich einige wirklich wunderschöne, größtenteils noch minimalistischer gehaltene Demos von Songs wie „Death With Dignity“, „Should Have Known Better“ und – kaum auszuhalten – eine fast 14-minutige Version von „Fourth Of July“, dem mit Abstand alleraller traurigsten Lied alleraller Zeiten. Der Song verhandelt ein Gespräch zwischen Sufjan und seiner todkranken Mutter Carrie (die ihn im Alter von einem Jahr verließ), während sie im Krankenhaus im Sterben lag: „Sie hatte starke Schmerzen und nahm eine Menge Medikamente, aber sie war bei Bewusstsein. Es war so erschreckend, dem Tod zu begegnen und das mit jemandem zu vereinbaren, den man nicht kannte, und seine Liebe auszudrücken. Ihr Tod war so niederschmetternd für mich, weil ich eine Leere in mir hatte…“. Obendrein gibt’s noch mit „Wallowa Lake Monster“ und „Mystery Of Love“ zwei Songs, die zwar im „Carrie & Lowell“-Kontext entstanden sind, es letztlich aber nicht aufs Album schafften. Zu unrecht, wie man jetzt nachhören kann.

Garbage – Let All That We Imagine Be The Light

Der Applaus war groß, als sich Sängerin Shirley Manson mit einem überaus erfolgreichen englischen Schundblatt anlegte. Diese stufte die Band optisch als „nicht wiederzukennen“ ein, was Manson sofort auf sich beziehen musste, da zumindest sie der Meinung ist, dass ihre männlichen Kollegen Butch Vig, Steve Marker und Duke Erikson „fast genauso aussehen wie vor dreißig Jahren. Also kann das ja wohl nur auf mich gemünzt sein.“ Und, so Manson weiter: „Solche Formulierungen werden als Waffe eingesetzt, um eine Frau wie mich auf ihren Platz zu verweisen.“ Sei’s wie’s ist, der Boulevard ist gnadenlos, und gut, dass sich die mittlerweile 58-jährige Rocksängerin zur Wehr setzte. Aber, es ging ja auch noch ein bisschen um die Musik auf ihrem neuen Album und die ist, nun ja, weiterhin ambitioniert. Die ganz großen Songs höre ich (noch) nicht heraus, allerdings sind mit „Have You Met (The Void)“, der ersten discorockigen Singleauskopplung „There’s No Future In Optimism“ und „Get Out My Face AKA Bad Kitty“ und „R U Happy Now“ ein paar ganz ordentliche Alternative Rock-Banger dabei.

Kurz und gut:

Ezra Furman – Goodbye Small Head

Ich mag Ezra Furman sehr gerne auch für Sätze wie diesen, mit dem er sein neues Album gleich selbst mal beschreibt: „Zwölf Songs, zwölf Variationen über die Erfahrung, die Kontrolle völlig zu verlieren, sei es durch Schwäche, Krankheit, Mystik, BDSM, Drogen, Herzschmerz oder einfach nur, um mit offenen Augen in einer kranken Gesellschaft zu leben.“ Was bittschön ist dem noch hinzuzufügen? Ach so ja: Klingt sehr, sehr fein, all das!

Feine Sahne Fischfilet – Wir kommen in Frieden

Was kam da eigentlich gleich nochmal raus, also bei Sänger Monchi und der Anschuldigung wegen sexualisierter Gewalt und so? Nichts, wie so oft. Bleibt die Unschuldsvermutung. Von dem her: Gutes Album. „High Energy Melody Rock mit Trompete“ nennen FSF ihren packenden Sound und bewegen sich dabei weiterhin irgendwo zwischen Hosen, Ärzten und Sportfreunden. (19.12. Zenith)

Kadavar – I Just Want To Be A Sound

Der Bandname klingt ja erstmal eher nach grunzendem Death-Metal, könnte man zumindest meinen. Aber falsch und zwar völlig. Mit ihrem siebten Studioalbum katapultiert die Berliner Band ihren Sound in neue Dimensionen: Von den 60er-Jahren inspirierter, psychedelischer, progressiver, überwiegend hymnischer Gitarren-Rock, der im Stadion funktionieren könnte, derzeit aber noch mit Clubs vorlieb nimmt. (24.10. Theaterfabrik)

UMME BLOCK – NÄCHTE

Leoni Klinger und Klara Rebers mögen es gerne in Versalien, weswegen sie sowohl ihren Bandnamen wie auch die Songtitel stets in selbigen schreiben, also GROSS ! Was schon auch irgendwie passt, denn ihr Musik trägt eine gewissen Größe in sich. Was in erster Linie daran liegen könnte, dass sie – im Gegensatz zur übergroßen Electro-Pop-Konkurrenz – irgendwie echter, organischer, wärmer und analoger klingen. Ein zentraler Punkt der homogen wirkenden Intimität scheint, dass sich Leoni und Klara von Kindesbeinen an kennen, schon seit sehr langer Zeit miteinander Musik machen und überhaupt blindes Vertrauen zwischen ihnen herrsche. Ein zweites Indiz könnte sein, dass sie ihre musikalischen Inspirationen aus allen möglichen Soundrichtungen beziehen und ihre Offenheit die Ursache dafür ist, dass so viele Electro-Pop-Herzen für Umme Block schlagen. NÄCHTE, betonen beide unisono, vertone „nicht eine bestimmte Nacht, verliert sich nicht in oft bemühten Erzählungen über Exzesse und Kontrollverlust“, sondern fange vielmehr die Mannigfaltigkeit und die Stimmung der dunklen Stunden in lautmalerischen Bildern ein. Da dürfte folglich also schon ein großes Faible für Poesie dahinterstecken, womit wir wieder bei der Größe sind, der nämlich des Albums „NÄCHTE“. (Release Show: 13.12. Ampere)

WEB WEB – Plexus Plexus 

Auch in Versalien, ebenfalls aber mit dem nötigen Understatement: Roberto Di Gioias WEB WEB. Di Gioa – für seine Zusammenarbeit mit The Notwist, Till Brönner, Udo Lindenberg, Klaus Doldinger, Max Herre u.a – weltbekannter Münchner Pianist und Keyboarder, ist obendrein auch noch sehr, sehr fleißig. Es ist nämlich schon das sechste Album in sieben Jahren, das er zusammen mit WEB WEB aufgenommen und veröffentlicht hat. „Plexus Plexus“ ist alles in allem herausragend gespielt, stilvoll instrumentiert und klangtechnisch auf höchstem Niveau produziert, was auch, aber nicht nur am ebenfalls in München lebenden Gitarristen JJ Whitefield (The Poets Of Rhythm, Karl Hector & The Malcouns, Embryo, Syrup), liegt. Future-Jazz-Herz was willst du mehr?!

Gobilove – Mother’s Eye

Finger hoch, wer erinnert sich noch an Finn Nelé? Eins, zwei, doch ein paar… Da bin ich aber froh, denn ich mochte den schon immer, irgendwie, seinen akustischen, stets mit rauer Stimme vorgetragenen Folk. Gobilove ist nun sein aktuelles Baby – ein farbenfroher Soundtrip durch psychedelischen Pop mit unverkennbarer 70s-Ästhetik, wobei eingängige Melodien auf hypnotische Grooves, warme Vintage-Sounds und zeitgemäßes Songwriting treffen.