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Unsere Theater & Kabarett-Tipps für Mai 2022

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Von: Andreas Platz

Motherhood im Pathos
Die Uhr tickt: Motherhood im Pathos © Victoria Dietrich

Kontrolliert durchdrehen – warum nicht? Die Zeiten sind hart genug. Diese Bühnen-Produktionen bringen aufgeschlossene Menschen auf andere Gedanken

Über das möglicherweise höchste problematische Frauenbild, das Luke Mockridge hinter seiner Kuschel-Entertainer-Fassade versteckt (oder nicht), wurde zuletzt viel spekuliert. Unbestritten ist, dass er ein Profi-Unterhalter ist und „A Way Back to Luckyland“ eine originell durchkomponierte Show. (Olympiahalle, 4./5.5.)

Ebenfalls keinen Zweifel gibt es daran, dass sich ein Besuch im Musical Janosch: Oh, wie schön ist Panama für die gesamte aufgeschlossene Familie lohnt. Die Jüngsten haben ihren Spaß am Trubel. Die etwas älteren Junggeblieben schätzen den subversiven Rotzlöffelhumor. (Deutsches Theater ab 6.5.)

Hafen-Romantik, Fernweh, sinnfrohe Sehnsüchte: Die aktuelle Varieté-Produktion Sailors versteht sich als eine „berauschende Nacht an Land“. Es geht zurück in die verruchten 20er Jahre. Und natürlich wird gepichelt, gesungen, getanzt und gefeiert, bis sich die Bohlen biegen. (GOP Theater, ab 6.5.)

Stefan Danziger ist einer dieser äußerlich unbedarft wirkenden Typen, die letztlich eben doch ein Geheimnis umweht. Das hat er zum Thema seines neuen Bühnen-Solos gemacht. Immer wieder wird der polyglott schlagfertige Star der Berliner Comedy-Bühnen gefragt: „Was machen Sie eigentlich tagsüber?“ Gute Frage. (Schlachthof, 6.5.)

Auch beim Spazieren durch eine vermeintlich vertraute Stadt melden sich natürlich schnell Fragen. Wenn man sich Benno Heisel anvertraut, blickt man tief unter die in dieser Stadt oft so blank geputzten Oberflächen. Er nimmt das Publikum mit zu einem Podcast-Spaziergang, bei der im Kopfkino Action herrscht. Das Gute, das Schlechte und das Hässliche erzählt von der Stadt – über Kopfhörer. (Tickets über Theater Hoch X, Treffpunkt Friedhof St. Georg, Bogenhausener Kirchplatz 1, 6./7. und 8.5.)

Es ist ein Stück, das unter die Haut geht. Lieder von Vertreibung und Nimmer-Wiederkehr ist nicht nur das Auftaktstück der diesjährigen Münchner Biennale. Es ist auch ein Text – verfasst vom ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan -, dem man lieber nicht diese gespenstisch beklemmende Aktualität gewünscht hätte. Erzählt wird von einer Grenzstation, an der sich furchtbare menschliche Dramen zwischen zwei Nationen abspielen, die bis vor kurzem als eng befreundet galten. Schluck! (Muffathalle, ab 7.5.)

Ja, mei: Jetzt wird er also auch schon 80 Jahre alt. Gerhard Polt, der alte Grantler, dürfte sich zu seinem Geburtstag vermutlich auch mal so etwas wie ein Lächeln abringen. Immerhin gratulieren ihm die Well-Brüder, vor allem musikalisch. Gemeinsam blickt man in der Meiandacht auf 80 Lebens- und 40 miteinander bestritten Bühnen-Jahre zurück. (Kammerspiele, 7.5.)

Mit Alltagsrassismus befasst sich das Musiktheater-Projekt Davor des Komponisten Yoav Pasovsky und des Regisseurs Robert Lehniger. Sie greifen auf 20 Interviews mit Menschen zurück, die in Deutschland aufgewachsen sind, sich aber durch eine eher internationale Geschichte abheben. Doch auch das Publikum wird befragt: Die Produktion reißt alle Barrieren ein und lässt Zuschauer zu Wort kommen, die sich ebenfalls oft mehr schleichend als überdeutlich diskriminiert fühlen. (Einstein Kultur, ab 8.5.)

Ebenfalls eine packende Biennale-Produktion ist das Brexit-Stück The Little Lies, das auf bitterböse, weil seismisch sehr genaue Gesellschaftsbeobachtungen der Schottin A. L. Kennedy zurückgreifen kann. Die Musik stammt von Anne Cleare. (Utopia, ab 8.5.)

Thomas Steierer braucht – anders als zuvor Polt – bis zum Großkünstlertum noch ein paar Jahre. Trotzdem hört man ihm natürlich jetzt schon sehr gern zu. Hinreißend absurd und schwarzhumorig sind eben seine sehr münchnerisch eingefärbten Großstadtneurosen. Nach den langen Einsamkeitsmonaten hat er viel zu erzählen. Im Herbst steht dann auch ein neues Programm an. (Alte Utting, 10.5.)

Es war eine Anregung vom Münchner Kollegen Albert Ostermaier, die den italienischen Schriftsteller Davide Enia ins Nachdenken brachte. Er reiste auf die Insel Lampedusa, die deutsche Nachrichtenhörer vor allem aus den Flüchtlingsberichten kennen. Gemeinsam mit seinem Vater, einem schweigsamen pensionierten Kardiologen, machte Enia sich vor Ort ein Bild. Seitdem kehrt er immer wieder auf die karge Insel der Tränen zurück. Finsternis nennt er seinen Erfahrungstext, den nun in deutschsprachiger Erstaufführung auf die Bühne kommt. (Residenztheater, ab 12.5.)

Tiziana Pagliaro ist eine unerschrockene Regisseurin. Sie liebt den Nervenkitzel, die Bruce-Lee-Filme und die Splatter-Effekte. Deswegen ist ihre etwas andere Tanz-Performance Horror und andere Sachen auch wirklich kein Abend für Publikum mit schwachen Nerven. Wer gut gegessen hat, dürfte seinen verwegenen Spaß haben. (Kammerspiele, ab 12.5.)

Der Parzival-Stoff, nach dem Versroman von Wolfram von Eschenbach, lässt die Dichter und Theatermacher kaum los. Arno Friedrich hat aus der Ritterschmonzette eine sehr zeitgemäße Reflexion über Identitätsfindung gemacht – mit viel Live-Musik. (Theater Viel Lärm um Nichts, ab 12.5.)

In den Untergrund geht es in der Spuren-Produktion nach dem Libretto und der Komposition von Polina Korobkova. Sie nimmt das Publikum mit in die Kellerräume der Hochschule. Wie unschwer zu erahnen ist, war das früher der ehemalige „Führerbau“. Das Grauen ist immer noch spürbar. (Hochschule für Musik und Theater, 12.5.)

Wer den Titel Heilige Schrift I liest, sollte keine allzu vorschnellen Schlüsse ziehen. Dahinter verbirgt sich ein von Regisseur Falk Richter eingerichteter Abend mit den überbordenden Tagebuchtexten von Wolfram Lotz. Er relektiert über das Schreiben selbst, notiert Phantasieren über skurrile Zusammentreffen mit Peter Handke im dunklen deutschen Wald, über Katzen oder die Abgründe des hiesigen Theaterbetriebs. Durchaus witzig. (Kammerspiele, ab 14.5.)

Die jungen wilden Jahre sind vorbei. Wenn Bewie Bauer vor den Spiegel tritt, drängt sich die Selbsterkenntnis schnell auf: „Ein Teenager wird 45 – Jetzt werd’s g’wampert“, sagt er über sich selbst. Mit purem Optimismus und seiner besten Freundin, der Herzchen-Gitarre, hat Bewie Bauer die letzten Jahrzehnte als Berufsjugendlicher überlebt. Das waren Zeiten. Nicht unbedingt immer gute Zeiten. (Fraunhofertheater, 14.5.)

Das „Explore Dance“-Festival ist in der Stadt. Und den Suite-Abend mit Jenny Beyer sollte man nicht verpassen. Sie führt das Musikerleben auf das zentral Sinnliche zurück. Musik kribbelt in den Beinen, schüttelt den Bauch, durchfährt den ganzen Körper. Sie spielt die berühmten Cello-Suiten von Bach. Und plötzlich gibt es kein Halten mehr: Es muss getanzt werden. (Hoch X, 19./20.5.)

Tobias Mann stellt sich seinem Dämon. Sein Endgegner ist nicht irgendwer. Es ist – er selbst! „Mann gegen Mann“ heißt das neue Kabarett-Programm, in dem es noch weniger gesittet zugeht als auf Twitter. (Lustspielhaus, 20.5.)

Der großen Sinnfrage stellt sich auch Sheila Heti in ihrem Roman Motherhood. Warum sich so sehr unter Druck setzen lassen? „Meine Zeit läuft ab“, heißt es da. „Für Frauen tickt immer die Uhr. Diese Zeitspanne umfasst etwa dreißig Jahre. Anscheinend muss in diesen dreißig Jahren – von vierzehn bis vierundvierzig – alles erledigt werden im Leben einer Frau.“ Lucy Wirth und Patrick Wengenroth haben aus dem taffen Text eine Bühnen-Performance gemacht. (Pathos Transport, 21.5.)

Mit menschlichen Extremsituationen will sich das neue Festival „Ja, Mai“ in der Staatsoper befassen und fährt dafür neben Stück-Premieren auch Konzerte und Diskussionen auf. Es geht ums Sterben, um Traumata, um fragile familiäre Bindungen. Eine der beiden Großproduktionen ist die Bluthaus-Uraufführung, die von Missbrauch im eigenen Elternumfeld erzählt. Der Komponist Georg Friedrich Haas kombiniert dabei eigene Klänge mit den zeitlos berückenden Liebes-Madrigalen von Claudio Monteverdi. (Nationaltheater, ab 21.5.)

Von der fast schon kosmischen Kraft der Liebe (aber auch der Verzweiflung) ist die Euripides-Tragödie getrieben. Stefanie Anna Miller modernisiert den antiken Stoff nicht nur. Sie öffnet ihn auch für viele Mitwirkende – darunter Gehörlose, Gehörgeschädigte und Hörende. Auf sie alle wirkt das Stück Medea.Stille. Poesie findet eine eigene Sprache. (Pathos Transport, 21./22.5.)

Eine Verbundenheit mit dem alten Deutschunterricht muss Daniel Hahn ja einst geritten haben, als er seinem Kulturareal an den Bahngleisen einen Namen gab. Nun dreht das in nächster neuer Nähe beheimatete Volkstheater den Spieß um. Der dortige Jugendclub Writers Room hat sich die Novelle von Gerhart Hauptmann noch einmal vorgenommen. Nun kommt es zur Neubelebung mit Bahnwärter Thiel im Bahnwärter Thiel. Tragik an der Schranke. (Bahnwärter Thiel, ab 22.5.)

„Ja, Mai“, das neue Festival. Auch die zweite große Opernproduktion Thomas ist kein zartes Vergnügen. Im Gegenteil: Das Stück beginnt mit den letzten Atemzügen des titelgebenden Protagonisten und beschäftigt sich dann mit allerlei medizinischen, bürokratischen und ja auch: bestatterischen Fragen. (Nationaltheater, ab 23.5.)

Warum nur suchen Menschen den ganz schlimmen Nervenkitzel? Montags: Fallschirmspringen. Dienstags: Bungee Jumping. Mittwochs: Schwimmen mit Piranhas. John Doyle zieht da nicht mit. „Das Leben ist Abenteuer genug“, sagt er sich. Und eine Kniescheibe ist ihm ja auch noch zuletzt rausgesprungen. (Schlachthof, 25.5.)

Absurd-schräger Humor: Das ist auch die Spezialität von Stefan Kröll. Im neuen „Aufbruch“-Programm übt er sich mal wieder in Gedankensprüngen, Querschlägen sowie allerlei Skurrilitäten. Erfrischend irr! (Fraunhofertheater, 28.5.)

Bleibt zum Schluss ein Stück zum Nachdenken und Ärgerlichwerden: Tax for Free rollt mit den Mitteln der Theaterkunst den Cum-ex-Skandal in der elitären deutschen Finanzwirtschaft auf. (Pathos Transport, 28.5.)

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