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Theater und Kabarett im Januar: Wenn der Wahnsinn weiterzieht

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Von: Andreas Platz

Nicht aus der Ruhe zu kriegen: Malarina
Nicht aus der Ruhe zu kriegen: Malarina © Vanja Pandurevic

Bis alles wieder in die Gänge kommt, sollte man sich das Träumen nicht nehmen lassen

Vielleicht muss man ja ernsthaft in etwa so ins neue Jahr starten – mit einem klar formulierten Wunsch. Allerdings: Tatsächlich aber so einer? „Ich will ein Rind von dir“, hört der liebenswerte Obelix-Bauer mit dem Stallduft-durchtränkten Charme immer wieder. Es ist der Petutschnig Hons, nach dem die Fans schreien. Ein Mann so schlagfertig wie Bud Spencer und so kuschelweich wie ein Golden Retriever. Und er freut sich auf 2023: Die Motorsäge hat der Hons jedenfalls frisch geschmiert. (Schlachthof, 4.1.)

Es ist der Traum von der erfüllten Liebe, der vielen Mitmenschen Kraft gibt – gerade in Zeiten, in denen nicht nur Beziehungen oft ziemlich fragil wirken. Hochzeiten geraten ins Wanken, geschenkte Seelen werden zurückverlangt, lange verschwiegene Wahrheiten kommen ans Licht. Was steht dieses Jahr alles so an: Doch nicht etwa auch Die Wiedervereinigung der beiden Koreas? Das jedenfalls ist der hoffnungsfrohe Titel, den Joel Pommerat für seine rasante Szenenfolge aus 20 Mini-Begegnungen gewählt hat, in denen 27 Frauen und 24 Männer um ihr Glück kämpfen. (Metropoltheater, ab 6.1.)

Alexander Kluge, Münchens klügster noch lebender Geistestitan, der mit seinem 90. Geburtstag weite Strecken des feuilletonistischen Diskurses im vergangenen Jahr prägte, gab die Anregung für den überbordenden Augenschmaus Wer immer hofft, stirbt singend. Dahinter verbirgt sich eine Zirkusrevue zu Texten und Filmen von Kluge, die immer wieder um seine eigenwillige These kreist, dass man durch eine Reparatur die Dinge besser verstehen kann – auch das Leben. (Kammerspiele, 7./22./29.1.)

Ähnlich circensisch – mit grandiosen Kostümen und angetrieben von ansteckender Spielfreude – ist auch das Erfolgsmusical Disney – Die Schöne und das Biest angelegt. Weltweit haben bereits über 25 Millionen Menschen mit Belle und dem liebenswerten Zottel-Biest mitgelitten – und geschmachtet. Nun kehrt die Originalfassung zurück. Märchenmagie für die ganze Familie! (Deutsches Theater, ab 11.1.)

Was will der Mann? 8 ½ Millionen hat er einst als Entschädigung für einen Unfall erhalten, dessen Begleitumstände neblig-mysteriös bleiben. Was wie ein großzügiger Trost wirken sollte, entwickelt sich im Stück nach dem Roman von Tom McCarthy allerdings zu einem Damoklesschwert. Die Wirklichkeit fühlt sich an, als hätte man sie aus den Angeln gehoben. Auf welche Gewissheiten kann man sich noch verlassen? Um seiner Erinnerung zurück auf die Sprünge zu helfen, übernimmt der Protagonist die Regie in einem Stück, das seine eigene Realität nachstellen soll. Hilft das? Nur teilweise. Verwirrung bleibt. (Volkstheater, ab 12.1.)

Auf absurde Weise durcheinander geraten wirkt auch die eigentlich angeblich so streng geordnete Welt in einem namenlosen diktatorischen Land der frühen 50er-Jahre. Slawomir Mrozek hat mit Polizei eine bitterböse Komödie verfasst, die von einem Regime erzählt, das nur noch einen einzigen politischen Häftling hinter Gittern hält. Als er plötzlich freigelassen wird, darf ausgerech - net er sich als Experte für die Abwehr umstürzlerischer Umtriebe profilieren. Haarsträubend! (Einstein Kultur, 12./13./14.1.)

Christoph Fitz kennt einen Mann, der sich nach „Zärtlichkeit“ sehnt. So heißt dann auch das neue Solo-Programm. Wenn man sich über den Erhalt von Spam-Mails freut, ist man wirklich ein wenig einsam. Und die eigentlich an den Vormieter adressierten Briefe über Wasserdampf zu öffnen, nur damit man auch mal Post lesen kann, ist schon recht seltsam. Lustig wird’s dann aber doch. Spätestens dann, wenn der nächste Termin beim Urologen ansteht. (Lustspielhaus, 13.1.)

Eine sehr österreichische Frage wirft die jüngst mit dem Salzburger Stier preisgekrönte Kabarettistin Malarina auf: Wie kann man sich als Austro-Serbin geschmeidig in ein Land integrieren, in dem immer noch vom Kaisermord gesprochen wird? „Serben sterben langsam“ ist eine Geschichtsstunde als Politsatire – erzählt von einer Langzeitstudentin, die sich mit ihrem überfälligen Abschluss von der Uni Wien bewusst noch ein wenig mehr Zeit lassen möchte. Falls sie eines Tages doch noch in die Politik wechselt, will sie lieber nicht überqualifiziert wirken. Nimm das, Sebastian Kurz! (Lustspielhaus, 14.1.)

Genau hinhören – auch auf Zwischentöne. Das lernt man nicht nur im Kabarett, sondern natürlich am besten schon ganz früh im Musiktheater. Ein selbiges für junges Publikum ab acht Jahren ist die Klanglandschaften-Erkundung Leise Laute. Darin zirpt, kracht, kreischt, hechelt, gluckst, kräht und krächzt es. Natur pur eben! (Schauburg, ab 15.1.)

Immer was zu sagen – laut wie leise – hat dann auch Helmut A. Binser, der Mann, bei dessen Programmen Hutpflicht herrscht. Zumindest für ihn selbst – den selbsternannten „Bavarian Influencer“. Große Gaudi, mit Hintersinn. (Paulaner am Nockherberg, 15.1.)

Unheimlich schön: Das sagt sich so leicht. Und doch geht es um Skurriles, Überraschendes, um außergewöhnliche Körperkunst – mit kleinen Ausflügen ins Bizarre. Die neue Freaks-Revue stellt Artisten vor, deren Fähigkeiten einfach nur staunen lassen. Ein Sinnesrausch! (GOP Theater, ab 19.1.)

Und dann ist es schon wieder soweit: Ecco Meineke stellt erneut unter Beweis, dass er in der witzig-schmissigen Zunft einfach der Klassenbeste ist. Zumindest hat er immer die markante Nase vorn. Schon in der dritten Januarwoche ist er mal wieder der Allererste – mit seinem „Satirischen Jahresrückblick 2023“. Not to be missed! (Schlachthof, 19.1.)

Als im wilden Revolutionsjahr 1968 sein Buch erschien, stand J. W. Reifenrath mit seinem Forschungswerk Der manipulierte Sex, das auch der Theaterannäherung durch seine Tochter Susanne Reifenrath den Titel gab, schon etwas im Abseits. Er war ein alternder Mann, noch stark geprägt vom Kriegsdienst und dem Gedankengut der Nazis. Und trotzdem hatte er weit ausgeholt zu einem aufklärerischen Befreiungsschlag. „Dieses Buch informiert rücksichtslos offen über nahezu alle Erscheinungsformen der Sexualität der Gesellschaft von heute“, hieß es im Klappentext von damals. Seine Tochter, die das Buch erst spät entdeckte, überprüft das. Kritisch, versteht sich. (Schwere Reiter, 19. bis 21.1.)

Ebenfalls die Probe aufs Exempel wagt Ruth Geiersberger in ihre neuen Versuchsanordnung Wortwechsel und Widerwort. Sie bringt Menschen zusammen, die sich vielleicht etwas zu sagen haben – einen Metzgermeister und eine Schauspielerin, einen Bühnenbildner und eine Bestatterin. (TamS, 20./21. und 27./28.1.)

Wenn die Theater-Realität überbrodelt: In Dreckqueens – Bitches auf die Barrikaden erzählt Susanne Plassmann von einer Probensituation für ein Märchenstück. Als dort überraschend ein Filmteam vorbeischaut, flippen plötzlich alle Beteiligten aus. (Pathos, 26./27.1.)

Nichts für schwache Nerven: Die Performance Horror und andere Sachen spielt auf der Klaviatur der Gruseleffekte – mit tänzerischen Mitteln. Tiziana Pagliario zieht das Publikum mitten hinein in den Moment, an dem ein Traum in den Albtraum kippt. Live-DJ Remo Beuggert sorgt für den nötigen Trance-Sog. (Kammerspiele, 27.1.)

Beim quietschbunten Ausflug in den Kitschomania-Kosmos ist dagegen die Welt noch in Ordnung. Vorausgesetzt man findet auch so viel Gefallen an erbaulicher Literatur, an Zauberkunst und singender-klingender Musik. Likörchen fürs Öhrchen und Scherzchen fürs Herzchen! (Hofspielhaus, ab 25.1.)

Knallbunt und knalllustig geht’s auch im Palast der Großherzogin von Gerolstein zu. Am Fürstenhof grassiert die „Uniformis amor“, eine exaltierte Vorliebe für militärischen Prunk und fesche Armeestiefel. Jacques Offenbach hatte seine turbulente Operette als Satire auf die Kleinstaaterei samt Kriechertum und Günstlingswesen angelegt. Hossa! (Gärtnerplatztheater, ab 26.1.)

Eine Großstadt auf dem Meeresgrund, wo Meeresfrauen, Meeresmänner, Meeresfische und Meeresfrüchte friedlich koexistieren. Noch zumindest. Es ist ein sehnsuchtsvoller Schauplatz, den Bonn Park und Ben Roessler für ihr neues Stück Alles ist aus, aber wir haben ja uns (Unterwasser) gewählt haben. Doch auch hier gilt: Der Untergang einer Zivilisation steht kurz bevor. Die Natur fordert ihr Territorium zurück. (Volkstheater, ab 27.1.)

Zoff am Hof von Theben: Antigone widersetzt sich dem Befehl des Herrschers, ihren Bruder, den Angreifer Polyneikes, zu bestatten. Ihren Kopf setzt sie durch – und geht lieber freiwillig in den Tod, als sich zu fügen. Privatmoral gegen Staatsmacht? Die klassische SophoklesTragödie braucht immer neue Lesehilfen, um auf modernen Bühnen Bestand zu haben. Die slowenische Regisseurin Mateja Koleznik, die vor sieben Jahren hier bereits den „Ödipus“ inszeniert hatte, holt sich diesmal Hilfe beim marxistisch geprägten Philosophen, ihrem im Feuilleton omnipräsenten Landsmann Slavoj Zizek. Spannender Mix. (Residenztheater, ab 28.1.)

Recht weit vom Hauptseminar, dafür ganz nah am Gemüt ist Mario Barth. Allerdings hört sich auch sein Motto irgendwie „philosophisch“ an: „Männer sind Frauen, manchmal aber auch … vielleicht“. Muss man wohl überprüfen – bei Bedarf. Karten kann man sich ja schon mal kaufen. (Olympiahalle, 12.3.)

Autor: Rupert Sommer

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