Theater und Kabarett im Februar: Hört die Signale

Von diesen neuen Stücken geht starke Sogwirkung aus. Die Nebenwirkungen sind unklar, aber aufregend
Vielleicht hilft der Blick in die Weite – und von außen zurück? Die in Kabul geborene Theater- und Buchautorin Mariam T. Azimi spiegelt sehr deutsche Befindlichkeiten in der Entwicklung afghanischer Frauenschicksale. Es geht in ihrer interkulturell angelegten Bühnenanordnung Nahkampfzone um den Versuch, sich anhand des Beispiels dreier afghanischer Frauen aus jeweils unterschiedlichen Zeitepochen dem Freiheitsbegriff zu nähern und von erstaunlich selbstbestimmten weiblichen Sichtweisen zu erzählen. (Kulturbühne Spagat, Bauhausplatz 3, 3.2.)
Rudolf hockt auf gepackten Kisten. Es geht für ihn auf in ein neues, nicht mehr so ganz selbstbestimmtes Leben. 35 statt wie bisher 145 Quadratmeter – in einer Senioren-Residenz. Bevor die Helfer kommen, entkorkt er noch schnell eine Flasche Rotwein und gerät ins Plaudern, dann ins Schwadronieren. Als er ein Paket für eine neue Nachbarin entgegennimmt, kommt es zur abenteuerlichen Wendung. Thomas Letocha hat die Komödie Und es geht ‚doch’ Gerd Lohmeyer auf den Leib geschrieben. (Theater Und so fort, ab 2.2.)
Aufruhr in der Götterwelt: Kann es sein, dass man die Alten wirklich vergisst? Diese Befürchtung treibt Hera um. Und ganz nebenbei möchte sie Zeus, ihrem Saubock von Ehemann, die außerehelichen Liebschaften austreiben. Also reißt man sich zusammen: Dämmergötterung erzählt von der Digitalisierung des Olymp. PR-Offensive im Internet, auch wenn die Technik ihre Tücken hat. (Kleines Theater Haar, 3. bis 17.2.)
Irgendetwas beweisen möchte sich auch die Dramatikerin Magdalena Schrefel, die sich offenbar zuletzt ein Labor mit rätselhaften Apparaturen, Tränenzentrifugen und Phiolen aufgebaut hat. Es geht darum, im Archiv der Tränen, einer Auftragsproduktion des Residenztheaters, stark verdichtete menschliche Emotionen nachvollziehbar zu machen. „In jeder Träne kristallisiert sich die Welt“, sagt Autorin Schrefel zu ihrem Stück. „Was wäre, wenn es ein Archiv gäbe für sie, wenn es schon immer eines gegeben hätte? In dem Tränen gespeichert würden, zumindest eine Zeit lang. Was würde geschehen, wenn wir systematisch Tränen konservieren würden, zum Beispiel indem wir sie trocknen oder einfrieren? Um sie dann aus einiger Distanz zu betrachten, wie in einem Kaleidoskop oder auf der Bühne: Bin das ich oder ist das meine Traurigkeit? Und welcher Ordnung folgen deine Tränen?“ (Marstall, ab 3.2.)
Was manche Träne enthielt, steckte für Proust im Duft und im Geschmack einer der durch ihn später weltberühmt gewordenen Madeleines-Köstlichkeiten. Der literarische Abend Marcel Prousts Leben und Werk erinnert an den großen Schwärmer, der seinerzeit auf über 4000 Buchseiten versuchte, die Zeit zu stoppen und noch mal neu anlaufen zu lassen. (Hofspielhaus, 4.2.)
Wie Ordnungen ins Wanken geraten: Auch im neuen Jahr verfolgt Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel einen Programmschwerpunkt, der sich mit den Bedrohungen durch Rechte beschäftigt. Dazu passt noch einmal sehr eindringlich das Erinnern auf den Sturm aufs Capitol. Es geht darum, das Gespräch zu retten und die Demokratie abzusichern. (Kammerspiele, 5.2.)
Bob Dylan hat bekanntlich den Nobelpreis für die Lyrik seiner Songtexte erhalten. Leonard Cohen hätte ihn ebenfalls verdient gehabt. Der poetische Bühnen-Musik-Abend A Thousand Kisses Deep verneigt sich vor der kanadischen Singer-Songwriter-Legende, die mit Textzeilen wie jener vom Sprung in allen Dingen, durch den das Licht hineingerät, ein tolles Bild für die Helligkeit, Hört die Signale Von diesen neuen Stücken geht starke Sogwirkung aus. Die Nebenwirkungen sind unklar, aber aufregend Peitscht den Techno-Puls hoch: 16BIT 20 aber auch die vielen Schatten in Cohens Leben gefunden hatte. (Metropoltheater, ab 5.2.)
Musikkabarett als atemberaubende Zirkusnummer: Eigentlich sind sich André Hartmann und sein Klavier ja schon seit Kinderzeiten in Liebe verbunden. Doch dann kommt es zur Krise – wie in vielen leidenschaftlichen Beziehungen: „Ein Klavier sieht rot“. Kann es dem Tastenbändiger gelingen, sein Instrument zu besänftigen? Und welche Rolle spielt dabei die wunderbare Anna Perwein? (Hofspielhaus, ab 8.2.)
Auch Carmela de Feo lässt nur ungern ihre Finger von den Tasten (und Knöpfen) – an ihrem Akkordeon. Im neuen Programm „Allein unter Geiern“ fordert La Signora – klein, Hummeltaille und Haarnetz – mal wieder Galgenhumor ein. (Lustspielhaus, 8.2.)
Endlich mal ausbrechen: Seit Jahren schon häuft das Geschlecht der Atriden Schuld auf Schuld. Und die Leichen türmen sich. Immer wieder Rache. Neue Morde. So kann das nicht weitergehen. Elektra und Orest wollen es endlich verlassen – das Tal der Tränen. In der originellen „Orestie“-Überschreibung blickt das Geschwisterpaar nach einigen Jahren auf Kipppunkte ihrer Leben zurück. (Kammerspiele, 10.2.)
Den althergebrachten Dualismus Mensch-Natur möchte das Performance-Kollektiv service not included hinter sich lassen. In der Katzentisch-Produktion wird ein selbiger gedeckt, an dem eine Expertenrunde Platz nimmt, um über Körper als erneuerbare Kraftquelle zu diskutieren. Warum nicht? (Pathos, 11.2.)
Eine Wucht, eine Kraftnatur ist natürlich auch Franz Joseph Machatschek, der gelernte Maurer aus Wien-Simmering, der sich nach einem Bankrott dringlich neu erfinden musste. Alles was ihm geblieben war, waren Gitarre, Hut und Sonnenbrille. Im Best-of-Programm ist das alles, was die Kunstfigur Der Machatschek ausmacht. Grandios! (Schlachthof, 11.2.)
In die Fußballwelt geht’s in der humorvollen Bewegungsstudie Wir im Finale, bei der die preisgekrönte Choreografin und Tänzerin Katja Wachter den zweiten Jahrgang der August-Everding-Schauspielstudierenden als Regisseurin steuert. Es geht – selbstverständlich augenzwinkernd und ohne allzu aktuellen Realitätsbezug – um eine körperlich wie geistig komplett ausgelaugte Nationalmannschaft, die sich endlich wieder finden muss. (Akademietheater, ab 13.2.)
Vorsicht: Vorschlaghammer-Rundumschlag! Benjamin Eisenberg, den einige Kritiker schon als würdigen Dieter-Hildebrandt-Nachfolger sehen, holt im neuen Programm „Pointen aus Stahl & Aphorismen auf Satin“ mächtig aus. Hammerhartes aus Bottrop. Und die Behämmerten bekommen einen Nachschlag. (Schlachthof, 15.2.)
Wenn der Funke überspringt: Techno hat seit jeher mit immer steigender Beats-Zahl die Club-, aber auch die Protestkultur angetrieben. Wenn an den Reglern gedreht wird, steigt der Puls – einst in der Industrietristesse von Detroit, später dann im noch lange orientierungslosen Berlin nach dem Mauerfall. Paula Rosolen macht in ihrer hypnotischen Tanz-Performance 16Bit Techno zum heiß drehenden Motor einer großen Choreografie. Muss man spüren – in der Magengrube! (Muffathalle, 15./16.2.)
Vielleicht hilft das: Schmunzeln über das eigentlich Todtraurige, das Unsagbare. Duncan Macmillan legt seinem Publikum mit All das Schöne einen bewundernswerten Siebenjährigen ans Herz. Nach dem ersten Suizidversuch seiner Mutter führt der Junge eine Liste – mit all den verbliebenen Dingen, für die sich das Weitermachen lohnt. (Metropoltheater, ab 16.2.)
Es kann nicht allein der Liebeskummer gewesen sein, der Werther in die Verzweiflung trieb. Moderne Therapeuten hätten dem fiebrig fühlenden Feingeist vermutlich einen starken depressiven Schub diagnostiziert. Hätte ihn das gerettet? Es sind die ganz großen Emotionen, die der weltberühmte Goethe-Briefroman beschreibt. Und natürlich spiegeln sie sich auch kongenial im lyrischen Musikdrama von Jules Massenet. (Gärtnerplatztheater, ab 18.2.)
Die juristische Sachlage war eigentlich simpel: Weil der König von Theben das einst befahl, hätte Antigone tatsächlich nicht ihren Bruder, der die Macht herausgefordert hatte, beerdigen dürfen. Und doch glaubt man gern an überzeitliche Verpflichtungen, die Mitfühlenden das Recht geben, Gesetze zu brechen. Die Antigone-Neuinszenierung von Nele Jahnke kreist um die Frage, welche Moral 2000 Jahre später noch gilt – und warum Heldinnen so stark bewundert werden. (Kammerspiele, ab 18.2.)
Cool und gleichzeitig cringe: So kann man rückblickend die androgynen, offen homosexuell, politisch mutig auftretenden Geschwister Erika und Klaus Mann beschreiben. Die Multimedia-Revue Erik*a möchte sich ihnen aus heutiger Sicht neu annähern. (Schauburg, ab 19.2.)
Was sollte schon schiefgehen? Caner Akdeniz blickt in seinem Orakel-Stück zurück auf die eigene Kindheit. Damals übernahm ein Mediengerät die Erziehungsarbeit. Das Fernsehen war sein Freund, Babysitter und Elternersatz. (Schwere Reiter, 24.2.)
Und noch ein Rückblick: Im fernen Jahr 2433 entdeckt eine Schulklasse eine Zeitkapsel. Im Inneren befinden sich jahrhundertealte Aufzeichnungen von einst gleichaltrigen Jugendlichen. Wer kann sie verstehen? Jetzt sind die Time Busters gefragt. (Kammerspiele, 25.2.)
Autor: Rupert Sommer