1. Startseite
  2. Theater

Real, surreal: „Coriolan“ im Theater Viel Lärm Um Nichts / „8 ½ Millionen“ im Volkstheater

Erstellt:

Multimedial gewitzt: Shakespeares „Coriolan“
Multimedial gewitzt: Shakespeares „Coriolan“ © Theater Viel Lärm um nichts

„Coriolan“ im Theater Viel Lärm um nichts und „8 ½ Millionen“ im Volkstheater - Real Surreales auf Münchner Bühnen

Fatal, wenn einer Politiker werden soll, der es gar nicht so wirklich sein will. Weil ihm das Volk eigentlich schnurz ist, und die politischen Spielregeln auch. Das kennt man irgendwie, und genau das macht diesen „Coriolan“ aktuell. Shakespeares letztes Stück aber ist ein sperriger Brocken, auch deswegen ist er selten auf den Spielplänen. Am Theater Viel Lärm um nichts haben sie die Römer-Tragödie deshalb gehörig aufgebohrt und mit einer 100-Minuten-Multimedia-Variante den Brocken quasi um-materialisiert: zum Spiegel von Machtmechanismen in den Kampfzonen realer Politik.

Die Macht wirkt dabei eher museal: Coriolan (Denis Fink), seine Mutter (Judith Bopp) und der Konkurrent (Alexander Wagner) verharren auf ihren Podesten, fehlen eigentlich nur noch die Vitrinen. Hier herrscht der hohe Text, der tragische Duktus – und das schafft klug Distanz zu denjenigen, die die Macht erst legitimieren: die aus dem Volk.

Womit wir schon beim herrlich wuseligen, aktiven, treibenden Teil in Andreas Seyferths Inszenierung wären. Margrit Carls, die Co-Chefin dieses Pasinger Theaters, hat den Text nicht nur neu übersetzt, verdichtet und wunderbar weitergesponnen, in bester Volkstheater-Tradition (was Shakespeare zu seiner Zeit ja war) – sie brilliert auch als Darstellerin. Carls und Evelyn Plank spielen die aus dem Volk. Und, zurückhaltend formuliert, die zwei sind der Hammer: als Conférenciers, Bürger, Tribunen, Senatsdiener, Kommentatoren, Nachrichtensprecher, Blogger. Chaplineske Clowns mit Steppschuhen: so tippeln sie durch diese Show. Sie halten die Geschichte zusammen, erklären, intervenieren. Und wissen bei allem Anspruch: das hier ist Theater – da kokettiert man auch mal mit dem Publikum oder hadert mit der eigenen Profession: „Steht bei dir Putze im Vertrag?“ Von der schweren Tragödie zur gewitzten Aufklärung: ein toller Abend. Der Beifall: dementsprechend.

Tom McCarthys Kult-Roman „8 ½ Millionen“ von 2005 im Theater zu machen, ist eine Herausforderung, punktgenaue Nacherzählung kann man bei diesem komplexen Werk vergessen. Ein schwerer Unfall, nur schwache Erinnerungen, eine Entschädigung, die besagten 8,5 Mio., und was man damit macht: das ist der Ausgangspunkt. Regisseur Mathias Spaan schickt auf der Bühne 2 des Volkstheaters ein wunderbar neugieriges Ensemble auf eine surreale Entdeckungsreise der sehr besonderen Art.

Die Suche nach dem verlorenen Lebensraum, letztlich nach dem Glück, beginnt mit Paolo Contes „It‘s Wonderful“, in kargem Ambiente, Tisch, Telefonsäule, Treppe, von der Decke hängen Mauerbrocken. Zu denen noch ein Riss kommt, und mit ihm ein Déjà-vu. Und der Wunsch, irgendwie wieder in die Realität zurückzukommen. Durch Nachspielen, durch Nachverwirklichen. Durch eine gebaute Erinnerung.

Klingt sehr konstruiert, aber so wirkt es bei allen Volten an diesem überraschungsreichen Abend nie. Denn Liv Stapelfeldt, Jan Meeno Jürgens, Steffen Link und Janek Maudrich machen aus dieser irritierenden Versuchsanordnung nicht weniger als ein Theaterereignis. Alle spielen sie die namenlose Hauptfigur – zusammen oder abwechselnd – und andere Rollen, sie sind Erzähler und Akteure in dieser Parallelwelt-Studie, die irgendwann in der Pedanterie landet, in einer Hyper-Realität: „nichts machen“ reicht nicht, man muss noch langsamer „nichts machen“. Und das echte Sonnenlicht leuchtet auch falsch. Der Traum wird Albtraum: erst der Tod bringt die echte Wirklichkeit zurück. Beeindruckend, sehenswert.

Peter Eidenberger

Auch interessant