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Claudia Kaiser und Martin Lickleder: „Hatte München je ein Herz?“

Claudia Kaiser und Martin Lickleder
Glühende Calypso-, kritische München-Liebhaber: Claudia Kaiser und Martin Lickleder © Privat

„Wenn du die Frauenkirche sehen willst“: Claudia Kaiser und Martin Lickleder verraten, was man alles über ihre coole neue Calypso-Komödie wissen muss

Hallo Frau Kaiser, hallo Herr Lickleder, wenn man die „Frauenkirche“ im Titel führt, ist das ja fast wie in Köln mit dem Dom: Es wird ein wenig volkstümlich, und es menschelt. Was hat Sie dazu geritten, Sie wollen doch nicht etwa Erwartungen auf ein Tür-auf-Tür-zu-Komödienstadlstück schüren, oder?
Claudia Kaiser: Aber ja doch! „Der verkaufte Großvater“ war für uns beide als Kinder immer wieder ein schönes Fernseherlebnis. Da hat auch schon der Titel dieses schöne Ineinander von Geld (= verkauft) und Gmüat (= Großvater), die bei einer Komödie nie verkehrt ist und die auch in unserem Titel mitschwingen soll: Ja, in München leben ist ja so vui schee, und dank dem Volksbegehren vom Kronawitter selig darf einem auch niemand die Sicht auf das Wahrzeichen verbauen – aber man muss sich halt die Miete leisten können.

Martin Lickleder: Beziehungsweise auch bereit sein, dafür sogar anderen Menschen das Glück zu verderben. Gegen Tür auf/Tür hätten wir übrigens auch nichts – geht nur in unserem Fall leider nicht, weil unser Bühnenbild aus Umzugskartons besteht …

Ihre Produktion wirft natürlich große Fragen auf, darunter den Dauerbrenner, wie lebenswert eine so teuere, oft kalte Stadt noch sein kann. Wie viel Herz hat für Sie die vermeintliche Weltstadt überhaupt noch?
Claudia Kaiser: Mei, als gebürtige Münchnerin darf ich vielleicht fragen: Hatte sie das je? „Weltstadt mit Herz“ war doch immer nur ein Touristik-Slogan – was insofern konsequent ist, als die Idee „Großstadt München“ an sich ja schon eine Touristik-Erfindung von Ludwig I. war. Trotzdem möchte ich immer noch nirgendwo anders leben. Aber unserer 20-jährige Tochter z.B. gehen hier inzwischen massiv die Freunde aus, die ziehen alle weg, und es kommen auch kaum neue junge Leute her. Weil es sich wirklich keiner mehr leisten kann. Die Stadt erstarrt in Geld.

Martin Lickleder: Ein Herz ist ja erst einmal ein Muskel. Und wenn man sich dann anschaut, wie die Stadt (so als Regierungs- und Verwaltungseinheit) Geschäftliches und Repräsentatives gern ermöglicht und Begegnungsorte wie Kneipen, Clubs und Konzertorte gern verunmöglicht – dann beschleicht einen das Gefühl, dass dieser Muskel doch am liebsten Geld und Prestige pumpt.

Was hat Claudia Kaiser und Sie zur Stückentwicklung gebracht: Wer oder was hat Sie dazu inspiriert?
Claudia Kaiser: Erstens der Wunsch, noch einmal etwas mit dem Ensemble unseres Kinder-Western-Musicals „Loreen schießt in die Luft“ zu machen. Und zweitens eine wahre Geschichte: Ein Freund von uns hat über 15 Jahre bei einem Schwerstbehinderten als Assistent gearbeitet. Irgendwann hat er ein Lehramtsstudium aufgenommen, um seine Existenz auf solidere Beine zu stellen. Das lief auch lange bestens, weil er problemlos seine Seminararbeiten schreiben konnte, während sein Arbeitgeber seinen Computerhobbys nachging - bis dieser sich verliebte. Und auf einmal äußerst unternehmungslustig wurde. Sowas Blödes aber auch.

Martin Lickleder: Eins vom schönsten bei der Arbeit an dem Stück war für uns dann, dass wir diese Verliebten Georg und Nicole, die inzwischen über sieben Jahre verheiratet sind, auch kennenlernen durften. Sie haben auch unser Stück von Anfang sehr unterstützt. Allerdings sollte man hinzufügen, dass ihre Geschichte tatsächlich nur die erste Inspiration war – wir haben sie dann schon sehr anders weitergesponnen. Aus unserem Freund wurde z.B. eine slowakische Assistentin …

Wie zu hören ist, wollen Sie das als durchaus als modernes Volksstück, sogar als Komödie verstanden wissen. Wie schweißtreibend ist der Spagat?
Claudia Kaiser: Schweißtreibend beschreibt es nicht schlecht. Klar, die Prämisse ist stark: Jemand wird von den materiellen Umständen genötigt, seinem Freund und Schutzbefohlenen das Liebesglück zu verderben. Als Sozialtragödie durchaus leicht zu erzählen, aber als Komödie? Da mussten wir schon diverse erzählerische Judogriffe anwenden, und zum Glück ist uns dann auch der Geist von München zu Hilfe gekommen, bzw. gleich mehrere …

Martin Lickleder: Und wir wollten eben unbedingt eine Komödie machen. Erstens, weil es vor allem möglichst vielen Spaß machen soll, und zweitens weil wir ein Stück über gesellschaftliche Zustände wollten. Und die Komödie ist die dramatische Form, die am klarsten sagt: Schau her, da gibt es eine Gesellschaft mit verschiedenen Leuten und Interessen, die sind so und so miteinander verflochten, und darin verheddern sie sich. Jede gute Komödie widerlegt per se das Thatcher-Credo „There’s no such thing as society“. Und das erlebt man, finden wir, sonst im Theater im Moment eher nicht so oft.

Freunde, Fans und Weggefährten werden Sie ja vor allem als Musiker kennen: Wie kamen Sie zum Schreiben und dann auch gleich zum Theater?
Martin Lickleder: Ach, ehrlich gesagt leben wir seit inzwischen über 25 Jahren vom Schreiben. Hier von der Musik leben, da wären wir schön verratzt! Claudia hat z.B. „Rocken und Hosen“ (dtv) geschrieben, ein Buch über das Touren mit den Moulinettes. Und vor zwei Jahren kam im BR ihr Hörspiel „Die Schicksalsmaschine“, in dem sie ihre Erfahrungen als Plotterin und Autorin bei Daily Soaps und Telenovelas verarbeitet.

Claudia Kaiser: Und Martin hat z.B. die vielen Kindern und Ex-Kindern wohlvertraute Serie „TOM & das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“ mitgeschrieben, aber auch schon mit Peter Pichler zwei Theaterstücke gemacht: „bloß a gschicht“ nach Hans Söllner, 2012 und „Zurück ins Paradies“ nach Funny van Dannen, 2014. Und dann haben wir ja eben auch gemeinsam „Loreen schießt in die Luft“ geschrieben, was jahrelang im Kindertheater im Fraunhofer gespielt wurde.

Noch mal zurück zum Schweißtreiben: Musik spielt ja eine tragende Rolle. Warum ausgerechnet Calypso?
Claudia Kaiser: Calypso ist wirklich die witzigste und swingendste Popmusik überhaupt. Schon der aus den 30er Jahren ist einfach umwerfend, aber unsere persönliche Lieblingsvariante ist der Calypso der 50er Jahre, den Einwanderer aus Trinidad als „Gastarbeiter“ nach Großbritannien gebracht haben – Leute wie Lord Kitchener, Lord Invader oder Mighty Terror. „London Is the Place for Me“ von Lord Kitchener war das Vorbild für unseren Titelsong, und sein “My Landlady” – naja, da geht’s um die Vermieterin, muss ich noch mehr sagen?

Martin Lickleder: Und besonders schön: Mit seiner ausgiebig eingesetzten Technik der satirischen Falschbetonung eignet sich der Calypso ausnahmsweise auch wirklich gut für deutsche Texte. Wenn man Deutsch falsch betont, kann es sogar ab und zu richtig funky werden!

Wie schwer war es, die Bandkollegen und befreundeten Musiker zu „calypsoieren“?
Claudia: Gar nicht schwer, das ist eine herrlich jazzhaft wohlklingende und doch herrlich einfache Musik – da waren der Wolfi Schlick (Express Brass Band, Embryo u.v.a.) und der Stefan Berger (Gründungsgitarrist Der Englische Garten) natürlich sofort dabei.

Martin Lickleder: Wie könnte man das nicht spielen wollen?

Interview: Rupert Sommer

Die Calypso-Komödie „Wenn du die Frauenkirche sehen willst“ der Ex-Moulinettes-Musiker Claudia Kaiser und Martin Lickleder wird am am 9./10./11.4., jeweils um 19.30h im Kulturhaus Milbertshofen (Curt-Mezger-Platz 1) gespielt. Weitere Aufführungen sind geplant. Alle Infos zum Stück: www.frauenkirche-sehen.de/